Die Zahlen internetabhängiger Jugendlicher und junger Erwachsener steigen rasant – mittlerweile gehen Experten von etwa 600.000 Internetabhängigen und 2,5 Millionen problematischen Nutzern in Deutschland aus.

Mit der jetzt vorgestellten BLIKK-Medienstudie werden nun auch die gesundheitlichen Risiken übermäßigen Medienkonsums für Kinder immer deutlicher. Sie reichen von Fütter- und Einschlafstörungen bei Babys über Sprachentwicklungsstörungen bei Kleinkindern bis zu Konzentrationsstörungen im Grundschulalter. Wenn der Medienkonsum bei Kind oder Eltern auffallend hoch ist, stellen Kinder- und Jugendärzte weit überdurchschnittlich entsprechende Auffälligkeiten fest.

Dazu die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler: "Für mich ist ganz klar: Wir müssen die gesundheitlichen Risiken der Digitalisierung ernst nehmen. Es ist dringend notwendig, Eltern beim Thema Mediennutzung Orientierung zu geben. Kleinkinder brauchen kein Smartphone. Sie müssen erst einmal lernen, mit beiden Beinen sicher im realen Leben zu stehen. Unter dem Strich ist es höchste Zeit für mehr digitale Fürsorge – durch die Eltern, durch Schulen und Bildungseinrichtungen, aber natürlich auch durch die Politik."

Die wesentlichen Ergebnisse der BLIKK-Studie im Überblick:
  • 70 % der Kinder im Kita-Alter benutzen das Smartphone ihrer Eltern mehr als eine halbe Stunde täglich.
  • Es gibt einen Zusammenhang zwischen einer intensiven Mediennutzung und Entwicklungsstörungen der Kinder
  • Bei Kindern bis zum 6. Lebensjahr finden sich vermehrt Sprachentwicklungsstörungen sowie motorische Hyperaktivität bei denjenigen, die intensiv Medien nutzen
  • Wird eine digitale Medienkompetenz nicht frühzeitig erlernt, besteht ein erhöhtes Risiko, die Kontrolle im Umgang mit digitalen Medien zu verlieren

Beim Projekt "BLIKK‐Medien" sind 5.573 Eltern und deren Kinder zum Umgang mit digitalen Medien befragt und zugleich im Rahmen der üblichen Früherkennungsuntersuchungen die körperliche, entwicklungsneurologische und psychosoziale Verfassung umfangreich dokumentiert worden. Die Studie geht weit über die üblichen Befragungen zu Mediennutzung hinaus! Doch was tun, um den richtigen Umgang mit den digitalen Medien frühzeitig kontrolliert zu üben? Nach Ansicht von Dr. med. Uwe Büsching, Kinder- und Jugendarzt und Vorstandsmitglied des Berufsverbands der Kinder –und Jugendärzte (BVKJ), lassen sich mit vorschneller Verordnung von Ergo- oder Sprachtherapie allein die Gefahren nicht abwenden. Gerade, wenn das Verhalten oder die Entwicklung auffällig ist, sollte immer auch ein unangebrachter Umgang der Eltern wie der Kinder mit Medien in Betracht gezogen werden. Eine Medienanamnese und eine qualifizierte Medienberatung müssen zukünftig die Früherkennungsuntersuchungen ergänzen.

Die Techniker Krankenkasse (TK) und die Hessische Landesstelle für Suchtfragen (HLS) e. V. haben passend zu dieser Problematik das Modellprojekt "DigiKids" gestartet. Ziel ist es, Kinder zu befähigen, sich in den digitalen Lebenswelten selbstsicher zu bewegen und nicht von ihnen schon in jungen Jahren abhängig zu werden. DigiKids zeigt Kindern deshalb auf einer Website, wie sie digitale Medien nutzen, ungefilterten und zu hohen Medienkonsum vermeiden und wie sie sich davon abgrenzen können.

Kommentar: Diese Studie war überfällig. Mit ihr sollten sich alle Pädiater – insbesondere sozialpädiatrisch ausgerichtete Kinder-und Jugendärzte – befassen. Denn dieses Thema wird sie in Zeiten der neuen und sozialen Medien so schnell nicht mehr loslassen. Und dafür müssen sie sich wappnen, denn eine Medienanamnese onlineabhängiger Jugendlicher kann nicht einfach aus dem Ärmel geschüttelt werden. Und die Beratung erst recht nicht. Denn darin müssen dann auch die Eltern miteinbezogen werden, gerade wenn sie schlechte Vorbilder sind. Modellprojekte wie "DigiKids" kommen da gerade zur rechten Zeit.


Autor
Raimund Schmid


Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2017; 88 (5) Seite 290