Pädiater und Eltern kranker Kinder müssen sich im Alltag mit einer Vielzahl der insgesamt 12 Sozialgesetze auseinandersetzen. Das Problem dabei: Viele sind dabei häufig "mit der Lektüre der Vorschriften stark überfordert."

Davon ist Prof. Dr. Dr. h.c. Ulrich Preis, Leiter des Instituts für Deutsches und Europäisches Arbeits- und Sozialrecht (IDEAS) an der Universität zu Köln, überzeugt, wie er im Gespräch mit der "Kinderärztlichen Praxis" bekräftigt. Die Gesetzeswelle, die das Land seit Jahren gerade im Gesundheitsbereich überrollt, zeuge zwar von Aktivität, ist aber nicht immer zielführend. Ein Drittel des Bruttoinlandsproduktes wird mittels sozialrechtlicher Gesetze (um-)verteilt. Das Rechtsgebiet ist so riesig, dass kein Sozialrechtler von sich behaupten würde, alles zu überblicken. Preis: "Sie haben zwar das Zeug dazu, sich in Gesetzen zurechtzufinden und diese miteinander zu kombinieren. Das ist allerdings ein Weg, der besonders langwierig ist."

Doch was rät der renommierte Professor für Sozialrecht aus Köln Eltern und Pädiatern, die weder die Zeit noch die Kompetenz haben, sich in das Gesetzeswirrwarr hinein zu vertiefen? Bei Unklarheiten über gesetzliche Fragen sollte man sich möglichst an Sachbearbeiter auf der unteren Ebene wenden, weil diese in der Regel ein hohes Maß an "Umsetzungswissen" besitzen und so hilfreiche und einordnende Rechtsinformationen liefern können. Im Übrigen empfiehlt Preis immer wieder "Fragen, Fragen, Fragen". Zum Beispiel den Bundesverband für körperlich und mehrfach behinderte Menschen (bvkm), dem es stets gelingt, die Gesetzestexte so zu veranschaulichen, dass man damit ganz gut umgehen kann.

Juristische Auseinandersetzungen, die Preis selbst immer wieder führen muss, bleiben dennoch nicht aus. Das betrifft Widersprüche gegen fehlerhafte Bescheide, insbesondere bei neuen Gesetzen. Sehr häufig geht es dabei gerade im Kindesalter um dringend benötigte Hilfsmittel, die aber von der Krankenversicherung zunächst abgelehnt werden und die häufig zu sehr langen juristischen und häufig auch zermürbenden Auseinandersetzungen führen.

Kommentar: Jetzt haben wir es schwarz auf weiß: Wenn selbst ein renommierter Rechtsprofessor einräumt, mit den für Kinderbelange relevanten Sozialgesetzen hierzulande seine liebe Not zu haben, müssten doch eigentlich bei den Gesundheitspolitikern die Alarmglocken schrillen. Dem ist aber nicht so. Im Gegenteil: Gerade in jüngster Zeit sind so viele neue Gesetze auf den Weg gebracht worden wie niemals zuvor. Da diese zudem von Kasse zu Kasse höchst unterschiedlich ausgelegt werden, sind damit Eltern und Pädiater gleichermaßen überfordert. Häufig bleibt dann nur noch der Rechtsweg. Doch muss das sein? Nein. Man könnte Gesetze entschlacken und vereinheitlichen und eine Beratung aus einem Guss anbieten. Doch der Zug fährt derzeit leider genau in eine andere Richtung.


Autor
Raimund Schmid


Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2020; 91 (5) Seite 326