Die DGSPJ würdigte auf ihrer der 71. Jahrestagung in München einen hervorragenden Kinderarzt und sein vielseitiges Engagement für den interkulturellen und interreligiösen Dialog.

Dr. Hans Joachim Landzettel hat sich in seiner gesamten Berufslaufbahn als niedergelassener Kinder- und Jugendarzt in Darmstadt sozialpädiatrisch für die Gesundheit aller Kinder und Jugendlichen in seiner Praxis und Heimatstadt, durch ehrenamtliches Engagement darüber hinaus in Deutschland, aber auch weltweit engagiert.

Die DGSPJ würdigte auf der 71. Jahrestagung der DGSPJ in München einen hervorragenden Kinderarzt und sein vielseitiges Engagement für den interkulturellen und interreligiösen Dialog.

Dr. Landzettel hat seine Heimatstadt Darmstadt zum Beginn des Studiums der Humanmedizin 1954 im Alter von 20 Jahren verlassen, die Stationen waren Frankfurt, Marburg, München und in der Weiterbildung auch Mannheim. 1960 hatte er, noch gefördert durch die Studienstiftung des Deutschen Volkes, promoviert. Nach Abschluss der Facharztweiterbildung ließ er sich 1967 in einer Praxis nieder und war dort 35 Jahre lang tätig.

Sein soziales und gesellschaftspolitisches Engagement speist sich auch aus familiären Quellen: Seine Großmutter Elisabeth Kern (1880 – 1944) war Stadtverordnete der SPD von 1919 bis 1933. 1919 wurden erstmals Frauen zur Wahl zugelassen, sie war eine von 6 Frauen unter 60 Abgeordneten. Elisabeth und ihr Mann Jakob Kern verloren politische Mandate und Arbeitsplätze mit der Machtergreifung, der Großvater wurde in Dachau in Schutzhaft genommen und kehrte später wieder nach Hause zurück. Im Haus der Großeltern Kern wuchs Dr. Landzettel während der Kriegsjahre auf.

Er gründete mit Inge Landzettel eine Familie mit 4 Kindern und jetzt 11 Enkelkindern, seine Frau ist 2017 verstorben, auch sie war Stadtverordnete von 2006 bis 2011, diesmal für Bündnis90/Die Grünen.

Nach seiner Pensionierung 2002 übernahm sein Sohn Markus Landzettel die Praxis und führt sie seitdem weiter.

Dr. Landzettel hat sich vielfältig engagiert, sei es als Vorsitzender des Fördervereins Kinderkliniken Prinzessin Margaret in Darmstadt, im Kindernetzwerk mit zahlreichen fachlichen Beiträgen, in der Kommission für ethische Fragen der DAKJ oder als Landesvorsitzender des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte.

Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, beispielsweise die Ehrenplakette der Landesärztekammer Hessen und das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.

Besonderes kinderärztliches Engagement zeigte er in der Versorgung von über 30 Roma-Kindern, die 1979 – 1984 in Darmstadt lebten und deren Integration aufgrund von Rassismus, Stigmatisierung und bürokratischen Schikanen misslang und die durch Zerstörung eines von ihnen bewohnten Hauses wieder vertrieben wurden.

Anfang der 2000er-Jahre sammelte er Spenden, um kriegsversehrten Kindern aus Afghanistan eine operative Behandlung in Deutschland zu ermöglichen und war dort selbst mehrfach nach der Pensionierung ärztlich ehrenamtlich tätig.

Mir persönlich ist er erstmals durch eine Publikation aus dem Jahr 1991 begegnet. Ich arbeitete noch an meiner Promotion zum Thema Kindesmisshandlung und nahm 1985 in Frankfurt an der 81. Jahrestagung der DGKJ unter Leitung von Prof. Dr. Otto Hövels mit dem Hauptthema Kindesmisshandlung teil. Vielleicht war er auch dort, jedenfalls hat Dr. Landzettel in der Folge eine Fragebogenaktion unter hessischen Kinderärzten durchgeführt mit dem Ergebnis, dass Ende der 80er-Jahre noch 17 % der Praxen in der Großstadt und 55 % der Praxen in ländlichen Gebieten berichteten, innerhalb des vergangenen Jahres keinen einzigen Fall von Kindesmisshandlung und Vernachlässigung beobachtet zu haben [1].

Wir haben uns dann erst viele Jahre später persönlich kennengelernt durch sein Engagement für das Erinnern an jüdische Kollegen und das Gedenken an den Entzug der Approbation 1938 im Rahmen der Ausstellung "Fegt sie hinweg!" sowie seine Recherchen zu dem Kasseler Kinderarzt Dr. Felix Blumenthal, der sich 1942 aus Verzweiflung über die Schikanen und Demütigungen der Nationalsozialisten das Leben nahm.

Dr. Landzettel war über 21 Jahre aktiv im Kirchenvorstand seiner evangelischen Gemeinde und hat zahlreiche Gelegenheiten genutzt, um mit jüdischen, muslimischen und anderen christlichen Gemeinschaften zusammenzuwirken und den interreligiösen und interkulturellen Dialog zu fördern.

Es war ihm immer wichtig, Kindern zuzuhören und ihre Ängste ernst zu nehmen. Darauf wies er bereits in den 90er-Jahren hin, als Umfragen zeigten, dass drei Viertel aller Kinder und Jugendlichen Angst vor Technikfolgen und chemischer Umweltbelastung äußerten, deutlich häufiger als Erwachsene! Er machte diesen Umstand auf der 50. Jahrestagung der Kinderärzte aus Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland mit rund 300 Teilnehmern in Darmstadt 1990 zum Thema und beklagte, Eltern, Politiker und Ärzte stünden diesen Herausforderungen der jungen Generation doch noch recht hilflos gegenüber. Daran hat sich nicht viel geändert und zu unserer Beschämung musste eine 16-Jährige schließlich das Wort, das Mikrofon und die Medienaufmerksamkeit ergreifen, damit die Sorgen ernst genommen werden. Unsere Anwaltschaft für die Lebensgrundlagen und die Zukunftschancen war sicherlich nicht groß genug. Sie sind uns ein Vorbild, diese Anwaltschaft ernster zu nehmen und mit Taten wirksam werden zu lassen.


Literatur
1. Landzettel HJ (1991) Zum Thema Kindesmisshandlung. Erste Ergebnisse einer Fragebogenaktion der hessischen Kinderärzte. Der Kinderarzt 21: 1301 – 1305



Korrespondenzadresse
Prof. Dr. med. Ute Thyen
Universität zu Lübeck
Klinik für Kinder- und Jugendmedizin
Ratzeburger Allee 161
23562 Lübeck

Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2019; 90 (6) Seite 455