Teilhabeorientierung nach ICF als Qualitätsmerkmal in der Versorgung chronisch kranker Kinder und Jugendlicher. Die Part-Child-Studie.

Was war die PART-CHILD-Studie?

Im Zeitraum von 2018 bis 2021 wurden im Rahmen des Versorgungsforschungsprojekts PART-CHILD (gefördert durch den Gemeinsamen Bundesausschuss) bundesweit 15 SPZ-Teams in teilhabeorientiertem Arbeiten über 2 mal 2 Tage nach ICF (= International Classification of Functioning, Disability and Health) geschult und die Auswirkungen der Schulungen sowohl auf die Arbeitsweise der Fachkräfte (FK) im SPZ als auch auf die Teilhabe von Kinder und Ihren Eltern untersucht. Die PART-CHILD-Intervention umfasste neben Schulungen noch 2 weitere Bausteine, nämlich

  1. eine ICF-Web-App und

  2. einen Baustein zur Begleitung der Umsetzung in den SPZ, das sogenannte IMPLEMENT.

Die ICF-Web-App wurde allen Fachkräften (FK) in den SPZ zur Nutzung zur Verfügung gestellt und erlaubt eine deutlich einfachere Codierung durch die Verwendung von Schlüsselbegriffen, die eingegeben werden können, um ICF-Codierungen zu suchen und auszuwählen. IMPLEMENT umfasste Unterstützungsleistungen, die eine Umsetzung der Schulungen und ihrer Inhalte in den Alltag der SPZ-Prozesse und -Organisation erleichtern sollten (z. B. Nachschulungen, Coaching der SPZ-Leitung etc.).

In Abbildung 1 sind die einzelnen Faktoren der Wirkkette der PART-CHILD-Intervention, die letztlich zu Veränderungen führen soll, dargestellt. Die Daten der PART-CHILD-Studie zu dieser Wirkkette sind ausgewertet, wurden bereits bei Kongressen präsentiert und befinden sich auf dem Weg zur Publikation in internationalen und nationalen peer-reviewed Journals. Die wesentlichen "lessons learned" sind nachfolgend zusammengefasst.

Die PART-CHILD-Intervention führte im ersten Schritt zu einer Haltungsänderung der Fachkräfte (FK) mit intensiviertem Bewusstsein für die Wichtigkeit von Teilhabe, Bedürfnissen und Präferenzen von Kind und Eltern, einer veränderten Wahrnehmung der eigenen Rolle bezüglich der Zuständigkeiten und Grenzen einer professionellen FK sowie das Erkennen der Notwendigkeit, dass die Kommunikation auf eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Eltern und Kinder auszurichten ist.

Das folgende illustrierende Zitat aus den Interviews mit FK der PART-CHILD-Studie spiegeln diese Veränderung wieder: "… was denn entscheidend für die Lebensqualität der Kinder und Familien ist. Und das sind in der Regel nicht die fünf Grad mehr Gelenkbeweglichkeit, wenn die im Alltag gar nicht gebraucht werden. Also das war schon was sehr Einprägsames. Und die Möglichkeit, jetzt sich hier mit den Kollegen auch einfach mit dieser anderen Sichtweise oder überarbeiteten Sichtweise intensiv auseinandersetzen zu können. Also, dass wir am Anfang wirklich die Möglichkeit hatten, gegenseitig zu überlegen, passt denn dieses Ziel. Wie sieht eigentlich die Teilhabe überhaupt aus bei diesem Kind? Das war schon auch eine große Bereicherung, muss ich sagen." (Zitat aus den Interviews mit einer FK in einem der 15 SPZ.)

Andere Sichtweisen im Fokus

Die Haltungsänderung auf Ebene der Fachkräfte führte zu Verhaltensänderungen auf SPZ-Team-Ebene, die sich insgesamt – basierend auf allen qualitativen Interviews – in einem veränderten Vorgehen und in einer veränderten Organisation im SPZ widerspiegeln:

  • Kinder und Eltern wurden explizit vermehrt nach ihren Bedürfnissen und Teilhabe- und Therapiepräferenzen befragt.

  • Teilhabe und ICF-Themen wurden innerhalb von Besprechungen wichtige Bestandteile.

  • In der Logik der ICF-Komponenten (Körperstrukturen, Köperfunktionen, Umweltfaktoren, persongebundene Faktoren, Aktivitäten und Teilhabe) wurde verstärkt gedacht.

  • Entlang der Systematik der 9 ICF-Lebensbereiche (LAKMoSHIBeG, Abb. 2) wurde gemeinsam erfasst, was das Kind im Alltag macht.

  • SPZ-intern entstand eine ICF-Arbeitsgruppe, die die Veränderungen begleitet.

  • In die bestehenden Dokumentationsvorlagen wurden die 9 ICF-Lebensbereiche (LAKMoSHIBeG, Abb. 2), Teilhabeziele und geeignete, typische ICF-Formulierungen eingearbeitet.

  • SPZ-intern hat sich die Zusammenarbeit intensiviert.

  • Zeitressourcen für den Veränderungsweg wurden in vielen SPZ geschaffen.

Im Gegensatz dazu zeigen die Ergebnisse von PART-CHILD, dass nur sehr vereinzelt mit der Vergabe von ICF-Codes zu den wichtigsten Aspekten der Alltagssituation des Kindes begonnen wurde. Die dazu – jetzt kostenfrei im Netz – zur Verfügung stehende ICF Web APP (app.icf-praxis.de) wurde in Augenschein genommen, aber noch nicht genutzt.

In PART-CHILD konnte nicht nachgewiesen werden, dass die gesicherten Haltungs-, Verhaltens- und Organisationsänderungen im SPZ-Team sich auch auf die Beteiligung der Eltern an der Entscheidungsfindung (SDM) und auf die Teilhabe des Kindes im Alltag – also auf nachgelagerte Anteile der Wirkungskette (Abb. 1) – auswirkten. Das lässt sich im Wesentlichen dadurch erklären, dass die Umstellungsprozesse auf das teilhabeorientierte Arbeiten nach ICF durch die Corona-Pandemie sehr viel länger dauerten als geplant und nicht vollständig erfolgen konnten. Somit war nach den im Studienprotokoll vorgesehenen 18 Monaten nach Beginn der PART-CHILD-Schulungen noch kein Effekt auf der Ebene von Kindern und Eltern (= Endpunkte auf Ebene der Eltern und Kinder) nachweisbar.

Insgesamt konnte die Hypothese, dass die PART-CHILD-Intervention zu einer qualitätsorientierten Standardisierung der Versorgung von Kindern inklusive organisationaler Veränderungen in SPZ führt, bestätigt werden. Die Auswertung der einzelnen angestoßenen Prozesse hat zum Verständnis der Wirkung der PART-CHILD-Schulungen beigetragen und wird das Schulungskonzept zur teilhabeorientierten Versorgung nach ICF zukünftig weiter verbessern.

Was meint Teilhabeorientierung nach ICF?

Mit der Veröffentlichung der ICF-CY in deutscher Sprache durch die WHO 2006 in Ergänzung zur ICD war eine Klassifikation geschaffen, die eine systematische Ergänzung der ICD-Diagnose um die Dimensionen von Aktivitäten und Teilhabe sowie deren Kontextfaktoren erstmals ermöglichte. Die erste Euphorie, dass damit recht einfach die Teilhabebedarfe eines chronisch erkrankten Kindes abgeleitet werden könnten und sich quasi wie von selbst eine bedarfsgerechte Versorgung einstellen würde, ist der Ernüchterung gewichen. Als Hürde entpuppte sich die Beherrschung des Codierungssystems mit seinen ca. 1.500 Codes. Es folgten umfängliche Schulungsanstrengungen, um das ICF-Klassifikationswerk zu erlernen, immer noch in der Hoffnung, wenn alle Anwenderinnen und Anwender die Lebenssituation von Kindern präzise nach ICF codierten, dass sich dann eine gelingende Teilhabe der zu versorgenden Kindern automatisch einstelle. Auch das hat sich inzwischen als Irrtum herausgestellt. Im Gegenteil, diese Codierungsschulungen haben ein Schreckgespenst ins Leben gerufen, das noch immer umhergeistert und uns in den PART-CHILD-Schulungen in Form von erheblichen Widerständen begegnet ist, die es erstmal auszuräumen galt.

Das folgende Zitat spiegelt dies wider: "Man muss wirklich das im Alltag leben. Das ist, glaube ich, erst mal wichtiger als drei Nummern aufzuschreiben. Also ich habe das jetzt gesehen, ich habe von einem auswärtigen Ergotherapeuten einen wunderbaren Therapieplan bekommen mit lauter ICF-Ziffern. Das war prinzipiell dann auch alles nicht falsch, aber es war viel zu viel. Das Kind konnte sich am Ende immer noch nicht anziehen und das wäre das Ziel gewesen." (Zitat aus den Interviews mit einer FK in einem der 15 SPZ.)

In PART-CHILD konnten wir zeigen, dass sich Teilhabeorientierung in der Versorgung dann einstellt, wenn Fachkräfte sich die entsprechende o. g. Haltung mit einem partnerschaftlichen Rollenverständnis gegenüber Patientinnen und Patienten sowie Kolleginnen und Kollegen (ungeachtet der Hierarchie und Berufsgruppe) aneignen und das notwendige Handwerkszeug erwerben.

Wie Teilhabe dem Kind nutzt

Der erste Erkenntnisschritt in den Schulungen war, zu verstehen, wie Teilhabe dem Kind nutzt und warum diese nur gelingen kann, wenn Kind und Eltern nach ihrer Perspektive auf den Alltag im Kontext ihrer Erkrankungen gefragt und bezüglich ihrer Bedürfnisse, und Präferenzen stets in die Entscheidungen mit einbezogen werden. Abbildung 3 stellt die Dimensionen der Teilhabe aus Sicht des Kindes anschaulich dar und illustriert die Prozesse, über die gelingende Teilhabe dem Kind nutzt:

  • Bei der Teilhabe des Kindes geht es um das Teilnehmen, d.h. um dabei zu sein und um zu erleben, einbezogen zu sein.

  • Die Teilhabe des Kindes steigert seine eigene Aktivitätskompetenz durch eine Zunahme an Handlungserfahrungen im Alltag.

  • Die Teilhabe des Kindes ermöglicht es ihm, aus den Handlungserfahrungen persönliche Präferenzen und Teilhabezielen zu entwickeln.

  • Durch die entwickelten Präferenzen und Teilhabeziele gestaltet das Kind seine Alltagsaktivitäten.

Nicht die Fachkraft, sondern Kind und Eltern sind Experten

Ein zweiter Erkenntnisschritt war, zu verstehen, dass wir Fachkräfte für die Teilhabebedarfsermittlung auf die Beschreibung und Bewertung der Alltagssituationen von Kind, Eltern und anderen Bezugspersonen angewiesen sind, bevor wir sinnvolle und angemessene Handlungsempfehlungen geben können bzw. dass Handlungsempfehlungen alleinig aus den medizinischen Erkenntnissen, die wir durch Anamnese und Untersuchungen in Erfahrung bringen, zu kurz greifen. Diesen Gedankenpfad zu Ende gedacht, benötigen wir streng genommen keine Empfehlungen mehr, sondern stellen unser Fachwissen den Familien zur Verfügung und unterstützen diese in ihrer für sie passenden Entscheidungsfindung. Dies wird in PART-CHILD als "Handlungsplan" bezeichnet.

Handlungsplan für eine gelingende Teilhabe

Es folgte jetzt der dritte Erkenntnisschritt, dass alle Beteiligten sich in einer für alle verständlichen Systematik und "Sprache" schriftlich und mündlich verständigen müssen, um die Behinderung für das chronisch funktionell beeinträchtigte Kind abzuschaffen, indem wir uns auf geeigneten Handlungsbedingungen (Umweltfaktoren nach ICF) einigen, die für eine gelingende Teilhabe des Kindes erforderlich sind. Es ist die Aufgabe von uns Fachkräften, die entsprechenden Maßnahmen zu organisieren. Die reine Veranlassung von Therapie und Förderung ist nicht mehr sachgerecht.

Für die Absprachen unter allen Beteiligten benötigen wir deshalb ein präzises und doch allgemeinverständliches "Vokabular" und eine "Grammatik" in Ergänzung zu den Fachsprachen von Medizin, (Sozial)-Pädagogik und Rechtswesen. Das genau bietet uns die ICF mit den Codes, Schlüsselwörtern und den Anwendungsregeln. Deshalb braucht es für die teilhabeorientierte Versorgung die ICF."Wir können ja alles Mögliche fragen und wir haben dann hinterher nicht mehr 7 Seiten Brief, sondern 15 Seiten Brief, haben aber nicht mehr Zeit dafür. Wie kriegen wir diese vielen Informationen so reduziert, dass wir dem Thema gerecht werden, den Patienten gerecht werden?" (Zitat aus den Interviews mit einer FK in einem der 15 SPZ.)

Was sind die ersten Schritte in der Anwendung?

Zunächst genügt es, wie in den PART-CHILD-Schulungen vermittelt, sich die Inhalte und Struktur der 9 Lebensbereiche (LAKMoSHIBeG) gedanklich anzueignen und deren Anwendung zu üben, um die Teilhabethemen des Kindes zu sortieren. Gleichzeitig gilt es zu üben, in den Gesprächen mit Kind, Eltern und Kolleginnen und Kollegen das Gehörte schnell und verlässlich den 5 ICF-Komponenten zuzuordnen (Abb. 4) und entsprechend zu dokumentieren.

Erst zum Zeitpunkt, an dem jede FK im SPZ-Team die Strukturierung der Teilhabethemen nach LAKMoSHIBeG und die ICF-Komponenten Profilierung (kurz ICF-Profil erstellen) beherrschen würde (erfahrungsgemäß erst nach 1 – 2 Jahre regelmäßiger Anwendung in der Praxis), sollte es an das Codieren gehen. Die Vergabe von bis zu 12 ICF-Codes aus den 5 ICF-Komponenten reicht gemäß den Empfehlung der WHO aus, um eine bestimmte Lebenssituation des Kindes genau zu klassifizieren.

Folglich wird uns langfristig das Codieren nutzen, um uns bezüglich der Teilhabe von Kindern wirklich präzise und effizient über die Berufsgruppen hinaus zu verständigen. Allerdings sollte das Erlernen der Codierung nicht der erste oder zweite Schritt, sondern ein weiterer in der Reihe sein. Und zugleich zeigt die Erfahrung, dass das Heraussuchen von Codes sehr effektiv hilft, die Inhalte der neun Lebensbereiche und die Dimensionen der ICF-Komponenten zu verinnerlichen, um sie dann automatisch im Gespräch mit Eltern und Fachkräften parat zu haben. Insofern sind regelmäßig beispielhafte Codierungsanwendungen und eine Diskussion über die richtige Verwendung einzelner Codes in Kleingruppen bei einzelnen Kindern gemäß der Rückmeldungen während der Online-Austauschforen in PART-CHILD 4 – 6 x im Jahr sinnvoll.

Auch Kinderärzte in Kliniken und Praxen, die sich über die Akutversorgung hinaus an der Versorgung chronisch kranker Kinder beteiligen, werden sich mit der teilhabeorientierten Versorgung nach ICF befassen müssen.

Die genannten wesentlichen Aspekte bezüglich des Wissens zur teilhabeorientierten Versorgung nach ICF sind in der ersten Zeile eines Best-Practice-Modells, das die Lernschritte der Schulungsinhalte veranschaulicht, enthalten (Abb. 5).

Wie sieht die teilhabeorientierte Versorgung nach ICF in der Praxis aus?

In den PART-CHILD-Schulungen ging es nicht nur um die Wissensvermittlung und Erkenntnisgewinn, sondern auch um den Erwerb erster Kompetenzen, wie konkret eine teilhabeorientierte Versorgung nach ICF der Kinder im Praxisalltag gestaltet werden sollte. Das Konzept zu Wissen, Kompetenzen und Fähigkeitserwerb in den Schulungen ist in Abbildung 5 veranschaulicht und aus didaktischen Gründen als linearer Ablauf vom Anliegen zum Handlungsplan und dessen Umsetzung dargestellt, wohl wissend, dass es im Praxisalltag Schleifen und Sprünge geben wird und geben muss. Die Schritte der Praxisanwendung benötigen die darunter abgebildeten Querschnittskompetenzen

  1. ICF-Items codieren u. dokumentieren,

  2. erweiterte Gesprächsführung, und

  3. im Kontext von Netzwerken planen.

Wie eigne ich mir das Wissen um teilhabeorientiertes Arbeiten an

Das PART-CHILD-Projekt hat gezeigt, dass die Umsetzung der Schulungsmaßnahme zur teilhabezentrierten Versorgung und zur konsequenten Implementierung der ICF-Perspektive in Kultur und Organisation eines SPZ möglich ist und dass sie Veränderungen in Haltung und Verhalten von Fachkräften als Voraussetzung einer tatsächlichen Kulturänderung zur Folge hat.

Neben der Grundschulung von interdisziplinären Teams (bestehend aus 16 Fachkräften, geschult von 2 Trainerinnen/Trainern) über 2 × 2 Tage à je 8 Unterrichtseinheiten und einer Schulung der SPZ-Assistenzkräfte (durch 2 Trainerinnen bzw. Trainer) für 6 Unterrichtseinheiten bedurfte es einer begleitenden konzeptionellen Unterstützung des Veränderungsmanagements über mindestens 4 – 6 Monate. Hierfür bewährten sich online fachlich moderierte Austauschforen à 2 – 3 Unterrichtseinheiten im Abstand von 6 Wochen, Team- und Leitungssupervision in Präsenz.

Voraussetzungen für eine erfolgreiche Schulung des SPZ-Teams waren initial ausreichend Ressourcen für die teilnehmenden Zentren und eine Unterstützung durch die SPZ-Leitung und Geschäftsführung. Eine direkte Finanzierung des Zusatzaufwands der SPZ war im Rahmen von PART-CHILD nicht vorgesehen und erscheint zukünftig geboten, wenn eine flächendeckende Schulung erfolgen soll.

Aktuell streben die wissenschaftlichen Fachverbände von SPZ und Frühförderstellen, DGSPJ und VIFF (= Vereinigung für interdisziplinäre Frühförderung – Bundesvereinigung), gemeinsam die Entwicklung eines zertifizierten Teilhabe- und ICF-Schulungskonzepts mit Ausbildung der entsprechenden Trainerinnen und Trainer an. Dies könnte langfristig die Grundlage für ein "Teilhabe mit ICF-Gütesiegel" von Versorgungseinrichtungen wie dem SPZ, der Frühförderstelle oder von Rehabilitationszentren sein, dessen Erwerb von den Leistungsträgern zu finanzieren wäre.

Eine weitere Voraussetzung für eine bedarfsgerechte Schulung aller Einrichtungen ist ein professionelles Referentinnen/Referenten- und Teilnehmerinnen/Teilnehmer-Management durch eine geeignete Akademie. Hierfür konnte im PART-Child-Projekt die GK Quest Akademie in Heidelberg gewonnen werden, die diese Aufgabe im Projekt erfolgreich übernommen hatte. Unter dem Namen ICF-Praxis werden hier seit März 2021 Schulungskurse nach dem PART-CHILD-Konzept angeboten. Das fachliche Konzept wird stetig in engem Austausch mit der DGSPJ weiterentwickelt.

Voraussetzungen zur teilhabeorientierten Versorgung

Die Erfahrungen aus PART-CHILD haben gezeigt, dass das Schulungsprogramm in der zeitlichen Abfolge an die Bedarfe der Einrichtungen angepasst und über einen längeren Zeitraum verteilt werden kann, weil der Kompetenzerwerb am effektivsten gelingt, wenn das Team sich auf den Weg eines 1- bis 2-jährigen Änderungsprozesses begibt, der durch Wissensvermittlung direkt gefolgt von Praxiserprobung und Auswertung strukturiert begleitet wird.

In der Summe sind nach den jetzigen Erfahrungen mindestens 48 Unterrichtseinheiten Schulung und genauso viel Zeit für die Einübung im Praxisalltag pro Fachkraft aufzuwenden. Ein Teil der begleitenden Maßnahmen zur Förderung der Umsetzung – insbesondere fachlich moderierte Austauschforen – eignen sich für 1- bis 2-stündige Onlineformate in kürzeren Abständen. Die jeweiligen Maßnahmen zur Unterstützung der Umsetzung (IMPLEMENT) sollten vorab in einem Beratungsgespräch zwischen der Referentin oder dem Referent und der Einrichtungsleiterin oder dem -leiter abgestimmt werden.

Die Unterstützung durch die Geschäftsleitung ist eine Grundvoraussetzung für einen erfolgreichen Veränderungsprozess. Ein anstehender Leitungswechsel oder größere Teamveränderungen wirken sich gemäß den PART-CHILD-Daten sehr hinderlich auf die Veränderungsprozesse hin zur teilhabeorientierten Versorgung aus. Aus unserer Erfahrung aus PART-CHILD lohnt sich eine Verkürzung der fachlich geleiteten Befassung mit der Thematik nicht, weil der Veränderungsprozess und Kulturwandel seine Zeit und Intensität benötigt, um vollzogen zu werden. Den Prozess nicht zu Ende zu führen, wäre aus unserer Sicht Vergeudung von Ressourcen.

26 SPZ bislang geschult

In Anbetracht der allerorts angespannten Arbeitssituation könnte eine langsamere Umsetzung über einen längeren Zeitraum von 4 bis 5 Jahren eine gewisse Freude an dem Thema aufrechterhalten und somit geeignet sein, die Umsetzung in die Praxis der Versorgung von Kindern mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen zu erreichen. Allerdings müssen wir dabei genauso teilhaborientiert bei uns selbst vorgehen, wie wir es mit den zu versorgenden Kinder machen: Steigerung der Aktivitätskompetenz durch Anleitung in den Schulungen und geduldige Praxiserprobung mit einer unterstützenden Begleitung.

Bis jetzt wurden von dem PART-CHILD-Trainerinnen/Trainer-Team 26 SPZ und 2 Rehabilitationseinrichtungen vollständig geschult. 8 Einrichtungen aus den Bereichen SPZ, Frühförderstellen und Rehabilitation wurden in Deutschland, Italien (Südtirol), Österreich und der Schweiz mit einzelnen Modulen aus dem Best-Practice-Modell geschult. 95 Fachkräfte aus SPZ, Frühförderung, Heilmittelerbringer und Kita sind mit der Teilnahme an einem vierstündigen Online-Kurs "Erster Infokurs ICF-Praxis" in das Thema Teilhabe & ICF eingestiegen.

Das Wissen zum Thema könnte zukünftig zudem durch das Literaturstudium von Fachartikeln, dem Abschlussbericht von PART-CHILD auf der Homepage des G-BA und einem Praxislehrbuch zum Thema Teilhabe und ICF basierend auf den PART-CHILD-Erfahrungen erfolgen. Diese Veröffentlichungen sind für das kommende Jahr zu erwarten.


Weiterführende Literatur
Michael Eichinger, Tatiana Görig, Sabine Georg, Dorle Hoffmann, Diana Sonntag, Heike Philippi, Jochem König, Michael S. Urschitz, Freia De Bock (2022) Evaluation of a Complex Intervention to Strengthen Participation-Centred Care for Children with Special Healthcare Needs: Protocol of the Stepped Wedge Cluster Randomised PART-CHILD Trial. Int. J. Environ. Res. Public Health 19, 16865.


Korrespondenzadressen
Priv. Doz. Dr. med. Heike Philippi

Sozialpädiatrisches Zentrum Frankfurt Mitte
Theobald-Christ Straße 16
60316 Frankfurt am Main

Univ.-Prof. Dr. Freia De Bock
Klinik für Allgemeine Pädiatrie, Neonatologie und Kinderkardiologie
Medizinische Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Universitätsklinikum Düsseldorf


Mögliche Interessenkonflikte
Als Sprecherin des ICF-CY Fachausschuss der DGSPJ bin ich für die inhaltliche Gestaltung der ICF-Praxis-Schulungen bei der GK-Quest-Akademie Heidelberg verantwortlich und führe selbst Teilhabe und ICF-Schulungen auf Honorarbasis durch.

Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2023; 94 (1) Seite 60-67