In unserer Praxis haben wir seltener Infektionskrankheiten gesehen, z. B. Streptokokken-Angina, Scharlach, Windpocken, Gastroenteritis. Dafür war eine erhöhte Inanspruchnahme psychosomatischer Beratung feststellbar, berichtet Kinderarzt Markus Landzettel und nennt weitere Veränderungen in der Corona-Pandemie.

Das Jahr 2020 war überschattet von den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie. In den pädiatrischen Praxen sind neue Herausforderungen zu meistern. Die Pädiater haben als "Anwälte der Kinder und Jugendlichen" dabei schon immer auf neue Herausforderungen zeitgerecht reagiert. In Pandemiezeiten gilt dies umso mehr.

Die AHA+L+A-Maßnahmen (Abstand, Hygiene, Alltagsmaske, regelmäßiges Lüften, Nutzung der Corona-Warn-App) haben Veränderungen in der Epidemiologie nicht-meldepflichtiger und meldepflichtiger Infektionskrankheiten bewirkt. Wie lange dieser Effekt anhält, ist ungewiss. In der Praxis haben wir seltener Infektionskrankheiten gesehen, z. B. Streptokokken-Angina, Scharlach, Windpocken (ja, es wird geimpft …), Gastroenteritis.

Stattdessen werden viele Praxen nun situationsgerecht häufiger Coronatests durchführen müssen. Der enge Schulterschluss mit der Epidemiologie ist dabei aus fachlicher Sicht zwingend notwendig. Auch wenn Kinder grundsätzlich empfänglich für SARS-CoV-2 sind und das Virus übertragen können, sind sie wohl nicht die Superspreader, für die man sie anfangs gehalten hat. Da Kitas und Schulen wichtige Orte des sozialen Lernens sind, müssen sämtliche Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie sorgsam überprüft werden. Grundlegende Einschränkungen sind aus epidemiologischer Sicht berechtigt, sie wirken aber nachhaltig auf den biographischen Verlauf der jungen Menschen, die mit vielen Fragen und Ängsten in die Zukunft blicken.

Die AHA+L+A-Maßnahmen haben laut der COPSY-Studie (Corona und Psyche) auch zur Zunahme von Hyperaktivität, emotionalen Problemen und psychosomatischen Beschwerden geführt. In unserer Praxis war eine erhöhte Inanspruchnahme psychosomatischer Beratung und auch von Konsiliarberichten für die Weiterführung der ambulanten Psychotherapien feststellbar.

Die Pandemie hat die Folgen der sozialen Ungleichheit auf den Bildungserfolg verschärft. So ist die Misshandlungsrate durch häusliche Gewalt in dieser Zeit angestiegen. Kinder und Jugendliche in finanziell belasteten Verhältnissen benötigen vermehrt einen Ersatz von ausfallenden Kita- und Schulessen. In diesem sozialpädiatrischen Bereich müssen das Screeningverfahren und entsprechende Fragebögen verfeinert werden.

Die Aspekte und Themen der Sozialpädiatrie werden somit immer komplexer. Die ausfallenden Fördermaßnahmen – vor allem die fehlende Sprachförderung in Kitas und Schulen – wird die Bildungskluft verstärken. Bei ausfallender Betreuung kann auch nicht einfach die Ausstellung von Logopädie-Verordnungen die Lösung sein. Daher müssen jetzt Konzepte erarbeitet werden, wie Kinder und Jugendliche in Sozialkontakte treten können, die durch Zoom-Meetings nicht möglich sind.

Die vermehrte Nutzung von digitalen Endgeräten und der digitale Unterricht (Homeschooling) führen mit der Zunahme von digitalen Streamingdiensten zu mehr Bildschirmzeit. Hier die richtige Dosis zu finden, fällt weder den Eltern noch den Pädiatern leicht.

Glaubt man den Erhebungen, so ist durch die Pandemie mit einer verminderten Rate an Frühgeburtlichkeit bei gleichbleibender Geburtenrate zu rechnen. Es wird vermutet, dass die zur Bekämpfung der Pandemie getroffenen Maßnahmen die Risikofaktoren beeinflusst haben, die zu einem frühzeitigen Ende der Schwangerschaft führen können.

Fazit: In der Corona-Pandemie haben sich die ambulant tätigen Pädiater den neuen Herausforderungen durchaus gestellt. Dabei sind aber immer wieder neue und zum Teil schwierige Spagate zu meistern. Aufgrund der anhaltenden Pandemie wird sich daran auch so schnell nichts ändern.


Dr. Markus Landzettel, Darmstadt


Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2021; 92 (2) Seite 68