Umsetzungsstand, Auswirkungen auf die Kinder- und Jugendgesundheit und weitere Überlegungen zur Stärkung von Child Public Health.

Sozialpädiaterinnen und -pädiater sowie ÖGD-Unterstützende muss es interessieren, ob sich – und wenn ja, welche – Effekte aus dem "Pakt für den ÖGD" für die bevölkerungsbezogene Kinder- und Jugendgesundheit ableiten lassen. Mit diesem 2020 sehr öffentlichkeitswirksam vorgestellten Programm fördert der Bund immerhin mit 4 Mrd. Euro einen Personalaufbau im ÖGD-Sektor. Doch was ist bereits konkret auf den Weg gebracht, und wie geht es weiter?

Bisher ist die Laufzeit bis Ende 2025 begrenzt. Bis Ende 2021 mussten die Länder allerdings bereits 1.500 Vollzeitstellen besetzen und haben diese Tranche erreicht; bis Ende 2022 sollten weitere 3.500 Vollzeitstellen hinzukommen. Wie weit dieser Prozess im laufenden Jahr bereits vorangeschritten ist, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen.

Destatis, vormals das Statistische Bundesamt, hat nach § 7 Bundesstatistikgesetz die Aufgabe erhalten, zunächst für den Zeitraum 2020 bis 2021 eine Erhebung zur Ermittlung des Personals im Öffentlichen Gesundheitsdienst durchzuführen. Damit sollten genau jene Personalzuwächse im ÖGD erfasst werden, die durch den im September 2020 geschlossenen Pakt für den ÖGD vorgesehen waren.

An der Erhebung beteiligten sich auf freiwilliger Basis 98 % der Behörden des ÖGD. Hierzu zählen nicht nur die örtlichen Gesundheitsämter als kommunale Einrichtungen, sondern auch Behörden auf Länder- und Bundesebene. Die Kernaussage der Untersuchung lautet: "Das Ziel von mindestens 1.500 neuen unbefristeten und besetzten Stellen in Vollzeitäquivalente aus dem Pakt für den ÖGD wurde erreicht." In der Pressemitteilung von Destatis am 22. 06. 2022 wird sogar von 2.290 neu geschaffenen und besetzten Stellen gesprochen. In der Gesamtschau waren Ende 2021 insgesamt 21.460 Personen unbefristet im ÖGD beschäftigt, sodass der Zuwachs sogar über 10 % liegt. Das neu rekrutierte Personal setzte sich zum Zeitpunkt 31. 12. 2021 wie folgt zusammen:

  • 20 % Ärztinnen/Ärzte und Zahnärztinnen/-ärzte
  • 28 % Verwaltungspersonal
  • 52 % Fachpersonal, das sich aus folgenden Berufsgruppen zusammensetzt:

  • - Medizinische Gesundheitsberufe
  • - Gewerbe- und Gesundheitsaufsicht, DesinfektionAltenpflege
  • - Ernährungs- und Gesundheitsberatung, Wellness (?!)
  • - Erziehung, Sozialarbeit, Heilerziehungspflege
  • - Mathematik und Statistik
  • - Biologie
  • - Chemie
  • - Physik
  • - Umweltschutztechnik
  • - Umweltmanagement und -beratung
  • - Gesellschaftswissenschaften

Wie geht es weiter mit dem Pakt für den ÖGD?

Im Mai 2022 hatten die Bundesländer erstmals gefordert, zügig über eine weitere bundesseitige Unterstützung für den ÖGD ab 2026 zu befinden und geben dieser Forderung weiterhin Nachdruck. Dabei berufen sie sich auf die aus ihrer Sicht erforderliche Planungssicherheit und haben – angesichts unklarer Anschlussfinanzierung – abgelehnt, eine Selbstverpflichtung für weitere 1.000 unbefristete Stellen abzugeben. Geeinigt haben sich die Bundesländer untereinander über weitere "Verteilquoten" für den Personalaufwuchs zwischen 2022 und 2025. Vor Mitte 2023 wurden jedoch keine Gespräche zur Anschlussfinanzierung in Aussicht gestellt. Mit Spannung bleibt zu erwarten, wie sich zunächst die Bilanz am Ende des Berichtszeitraums 12/2022 darstellt.

Kindergesundheit braucht Multiprofessionalität

Der Sachverständigenrat für Gesundheit und Pflege (SVR) stellt fest, dass der ÖGD auf kommunaler Ebene seinem Aufgabenspektrum nur dann gerecht werden kann, wenn eine quantitativ und qualitativ verbesserte Ressourcenausstattung umgesetzt werde. Es sei "nicht nur mehr Personal notwendig, sondern auch eine noch bedarfsgerechtere multiprofessionelle Zusammensetzung der Qualifikationen".

Nun geht aus der Analyse von Destatis nicht hervor, welche der aufgeführten Berufsgruppen im KJGD angesiedelt sind. Bedauerlicherweise ist nicht einmal zu eruieren, welcher Anteil des ärztlichen oder Fachpersonals den Aufgaben der öffentlichen Kinder- und Jugendgesundheit direkt zugeordnet werden kann. Die Zahl neuer Arztstellen beläuft sich auf ca. 460 (20 %), die Zahl der Gesundheitsämter in Deutschland liegt (2020) bei 375. Die meisten Ämter dürften also eine zusätzliche Arztstelle erhalten haben. Die Facharztrichtung ist aber nicht zu identifizieren.

Die für aufsuchende Tätigkeiten besonders wichtige Berufsgruppe der sozialmedizinischen Assistentinnen/Assistenten (Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen/-pfleger mit Zusatzqualifikation) ist nicht speziell ausgewiesen, möglicherweise wird sie in der Kategorie "medizinische Gesundheitsberufe" subsummiert. Dafür erscheinen Qualifikationen bzw. Berufsgruppen mit sehr fragwürdiger Ansiedlung in einem kommunalen Gesundheitsamt. Wie erfreulich wäre es, an dieser Stelle von einer größeren Zahl von Kita- und Schulgesundheitsfachkräften mit einer Basisqualifikation in der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege zu lesen.

Gleichzeitig erfahren wir an anderer Stelle, dass Fachkräfte aus "sozialpädagogischen oder vergleichbaren Berufsgruppen gezielt in Mental Health und Mental First Aid fortgebildet" werden sollen. Denn das BMFSFJ wird mit 10 Mio. Euro den Einsatz von Mental-Health-Coaches in 100 Schulen fördern. Wo diese angesiedelt sind und wie die Steuerung und Fachverantwortung verortet wird, müsse aber erst noch geklärt werden.

Wird der KJGD für sein originäres Aufgabenspektrum gewappnet sein?

Aus der Personalaufstockung hervorgehende Wirkungen werden nur dann zu Tage treten, wenn der Kinder- und Jugendgesundheitsdienst (KJGD) wieder das tun kann, wofür er eingerichtet und qualifiziert ist. Wesentlich dürften gerade jetzt sozialkompensatorische und das Kindeswohl schützende Aufgaben sein.

Der Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD) hat gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt betont, dass der KJGD sogar noch mehr vermag als die bekannten Aufgaben. Der BVÖGD empfiehlt darüber hinaus Untersuchungen und Beratungen von Schulkindern und Eltern im vierten und neunten Schuljahr, eingebettet in ein Konzept von Schulgesundheitspflege, wie es in anderen europäischen Ländern und in einigen Bundesländern noch bis vor wenigen Jahren geübte Praxis war.

Auch der Deutsche Ärztetag hat sich 2022 in Bremen für die Einführung eines Schulfachs "Gesundheit und Nachhaltigkeit" in allen Schulformen ausgesprochen, um die Gesundheitskompetenz für alle Schülerinnen und Schüler zu vertiefen. In der Aufbereitung und Vermittlung der entsprechenden Inhalte kann der KJGD mit seiner Expertise wirksam unterstützen und z. B. auf Materialien und Tools aufsetzen, die die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) erarbeitet hat.

Flächendeckende gesetzliche Verankerung wäre hilfreich

Eine Synopse der recht heterogenen Ländergesetze für den ÖGD im Hinblick auf die Verankerung von Aufgaben der kommunalen Daseinsfürsorge und Schulgesundheitspflege wäre eine lohnenswerte Aufgabe. Ob allerdings ernsthaft erwogen wird, die Gesetzesgrundlagen zum Beispiel im Sinne einer Nationalen Präventionsstrategie zu überarbeiten und anzupassen – darüber gibt es derzeit nur Mutmaßungen. Bisher übt sich die Gesundheitsministerkonferenz in Zurückhaltung bezüglich eines solchen Vorstoßes, da Konflikte im föderalen System vorgezeichnet sind.

Durch legislative Anpassung könnte die Rolle der Kommunen eine Stärkung erfahren. Insbesondere KJGD und sozialpsychiatrische Dienste könnten besser und nachhaltiger verankert werden. Letztere fungieren auch und gerade als kommunale Dienstleister und sind dort, wo man sie noch hinreichend ausgestattet hat, als niedrigschwellige Versorgungs- und Auffangnetze für psychisch Kranke und deren Umfeldpersonen. Sie sind aber auch wichtig, wenn es um Betreuung von und Weichenstellungen für Kinder psychisch kranker und suchtkranker Eltern geht.

Für die Erfüllung der postpandemischen Aufgaben gerade der Kindergesundheit ist – wie sich mehr denn je abzeichnet – ein "Health in all policies"-Ansatz notwendig. Akteure der Öffentlichen (Kinder-)Gesundheit haben hier ihren eigenen aktiven Anteil, aber auch bündelnde und koordinierende Aufgaben. Diese müssen wahrgenommen, wertgeschätzt und verankert werden, um sie nachhaltig zu Einsatz und Nutzen bringen zu können.

Einordnung in Strukturen und Ziele auf Bundesebene ist noch unklar

Bezüglich der Fortentwicklung des Präventionsgesetzes gibt es Signale, dass das BMG zunächst den Bericht der Nationalen Präventionskonferenz abwarten will, der im Juli erwartet wird. Dementsprechend wird sich die Umsetzung der Maßnahmen, die sich daraus ableiten und für die es dadurch entsprechende, über den bisherigen Rahmen hinausgehende Finanzierungsgrundlagen gäbe, weiter hinauszögern.

Grundsätzlich sei sowohl individuell als auch auf Struktur- und Bevölkerungsebene die Gesundheitskompetenz das Fundament einer effektiven Prävention, so Prof. Doris Schaeffer von der Universität Bielefeld, die dazu seit vielen Jahren forscht. Auch in diesem Kontext bleibt nur zu spekulieren, ob die ÖGD- (und Schul- und Kita-!)Gesetze der Länder im Sinne einer Nationalen Präventionsstrategie oder gar Nationalen Public-Health-Strategie überarbeitet und angepasst werden.

Wie hilfreich die angekündigte Gründung einer wissenschaftlichen Fachgesellschaft in unserem Kontext sein kann, bleibt unklar, solange es keine weiteren Konkretisierungen zu Funktion und Struktur einer solchen gibt. Bemerkenswert ist, dass der Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege einen systematischen Austausch zwischen Praxis und Wissenschaft und die wissenschaftliche Verankerung des Fachs "Öffentliches Gesundheitswesen" fordert.

Gelingt auch ein Pakt für Öffentliche (Kinder-)Gesundheit?

Mit Spannung erwartet man die Konzeption des angekündigten Bundesinstituts für Öffentliche Gesundheit (BIÖG) und den damit verbundenen neuen Aufgabenzuschnitt von RKI und BZgA. Welches Aufgabenportfolio dem BIÖG zugeschrieben wird und welche Organisationsform und Struktur sich daraus ableiten, ist derzeit noch ungewiss. Zu hoffen bleibt, dass die KJGDs als wichtige Akteure in der kommunalen Praxis und als Koordinierende von Child Public Health eine angemessene Berücksichtigung finden.

Viele Überlegungen zur Verbesserung der Bevölkerungsgesundheit sind derzeit im Gange. So denkt man z. B. außerhalb des Sozialgesetzbuches V an den Einsatz von Community Health Nurses und an die Einrichtung von bundesweit 1.000 Gesundheitskiosken als niedrigschwellige Anlaufstellen für Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf. Hier sollen nicht nur Basisversorgungsleistungen erbracht werden, sondern es soll auch der Zugang zur Regelversorgung verbessert und koordiniert werden; dreiviertel der Kosten sollen die gesetzlichen Krankenkassen und 20 % die Kommunen übernehmen.

Es wird also weiterhin viel Tatkraft und Kreativität erforderlich sein, um aus dem Pakt für den ÖGD einen Pakt für Öffentliche (Kinder-)Gesundheit zu machen.


Weiterführende Literatur
1. Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen und in der Pflege: Aktuelles Gutachten, vorgelegt 31.1.2023: https://www.svr-gesundheit.de/publikationen/gutachten-2023
2. Destatis/Statistisches Bundesamt: Qualitätsbericht. Erhebung zur Ermittlung des Personals im Öffentlichen Gesundheitsdienst nach § 7 Bundesstatistikgesetz. 2020-2021, erschienen am 22.06.2022; dazu auch: Pressemitteilung Nr. 260 vom 22.06.2022
3. Beerheide R, Haserück A (2023) Öffentliche Gesundheit: Steuerung gefragt. Dtsch Aerztebl 120 (5): A-178/B-158
4. Kurz C, Osterloh F (2023) Prävention: Vorbeugen statt heilen. Dtsch Aerztebl 120 (7), 17.2.23
5. Drucksache 20/5650 des Deutschen Bundestags: Abschlussbericht der Interministeriellen Arbeitsgruppe "Gesundheitliche Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche durch Corona". https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/K/Kindergesundheit/Abschlussbericht_IMA_Kindergesundheit.pdf
6. RKI-Studie zur Kindergesundheit während und nach der COVID-19-Pandemie, Quartalsberichte unter https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Studien/Kida/kida_node.html
7. Schaeffer D, Hurrelmann K (2018) Nationaler Aktionsplan Gesundheitskompetenz. Die Gesundheitskompetenz in Deutschland stärken. Berlin. KomPart 2018; darin: Strategiepapier#1 zu den Empfehlungen des Nationalen Aktionsplans: "Das Erziehungs- und Bildungssystem in die Lage versetzen, die Förderung von Gesundheitskompetenz so früh wie möglich im Lebenslauf zu beginnen"
9. Horacek U (2022) Child Public Health. Öffentliche Kinder- und Jugendgesundheit ist gewinnbringend für eine Public-Health-Strategie. Kinderärztl Prax 93: 230 – 232


Autorin
Dr. Ulrike Horacek

Vorstandsmitglied der DGSPJ


Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2023; 94 (3) Seite 211-213