Das Aufwachsen in Zeiten multipler Krisen hat zu enormen psychischen Belastungen bei Jugendlichen geführt. Damit steigt der Unterstützungsbedarf – doch das Hilfesystem scheint zunehmend am Limit. Die Trends und vorliegenden Daten, die die Stiftung Kindergesundheit jetzt veröffentlicht hat, sind beunruhigend.

So sind im Jahr 2021 deutlich mehr Teenager zwischen 15 und 17 Jahren aufgrund psychischer Belastungen in ein Krankenhaus eingewiesen worden, als dies noch 2020 der Fall war. Bei den emotionalen Störungen liegt die Zunahme in einem einzigen Jahr bei 42 %, beim multiplen Suchtmittelmissbrauch bei 39 % und bei depressiven Episoden immer noch bei 28 %.

Die Corona-Pandemie habe viele Entwicklungsschritte, die für die Identität eines Jugendlichen oder Adoleszenten elementar sind, durchkreuzt oder unterbrochen: Dies hat unter anderem zur Folge, dass die psychischen Belastungen bei Jugendlichen deutlich gestiegen sind, begründet Professor Berthold Koletzko, Kinder- und Jugendarzt in München sowie Vorstand der Stiftung Kindergesundheit, diese Entwicklung. Und jetzt kämen weitere belastende Faktoren hinzu, wie der Krieg gegen die Ukraine und der Klimawandel. Das Phänomen „Klimaangst“ ist deshalb als neues Kriterium als eine „angemessene Reaktion auf eine konkrete Bedrohung“ im Kindergesundheitsbericht aufgenommen worden.

Das Aufwachsen im Zeitalter multipler Krisen müssten die Jugendlichen nun aber erst allmählich lernen. Manche benötigen hierzu jedoch Unterstützung. Doch an professioneller Unterstützung mangelt es immer mehr. „Bildungssystem, Gesundheitssystem und Jugendhilfe – alle drei Hilfesysteme sind chronisch überlastet“, stellt Dr. Katharina Büren, Fachärztin und ärztliche Direktorin des kbo-Heckscher-Klinikums in München, zunehmend fest. Entsprechende Angebote müssten daher dringend ausgebaut werden.

Kommentar:
Um die Folgen von multiplen Krisen im Kindes- und Adoleszentenalter künftig besser auffangen zu können, ist sicher auch der Ausbau von medizinisch/pädia­trischen Interventionen – wie etwa eine Stärkung der Jugenduntersuchungen – erforderlich. Viel notwendiger wäre es jedoch, endlich flächendeckend psychosoziale, psychotherapeutische und psychiatrische Angebote in Schulen und bei der Jugendhilfe zu etablieren. Um multiple Krisen noch rechtzeitig auffangen zu können, müsste aber massiv in sozialpädagogische, psychologische und gesundheitsorientierte Fachkräfte investiert werden. Das ist erst mal aufwendig. Insgesamt jedoch bei Weitem nicht so teuer als – wie bisher – nichts oder zu wenig zu tun.


Autor
© Hartmut Kreutz
Raimund Schmid


Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2023; 94 (6) Seite 384