Medizinische Fachgesellschaften kritisieren, dass ungesunde Lebensmittel zu sehr an Kinder beworben werden. Die Bundesregierung sieht das etwas anders.

Die Selbstverpflichtungen der Lebensmittel- und Werbeindustrie in Deutschland, ungesunde Lebensmittel verantwortungsvoller an Kinder zu vermarkten, greifen zu kurz. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Marktstudie der Verbraucherorganisation Foodwatch. Die Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK) und medizinische Fachgesellschaften fordern deshalb gesetzliche Werbebeschränkungen.

Die Bundesregierung müsse sich von der Strategie der Freiwilligkeit verabschieden, die sowohl bei der Lebensmittelwerbung an Kindern als auch bei der Reduktion von Fetten, Zucker und Salz in Fertiglebensmitteln vor allem auf freiwillige Vereinbarungen mit der Industrie basiert. Die Foodwatch-Studie untermauert nun aber, dass insgesamt nach wie vor 242 von 283 untersuchten Lebensmittel, die an Kinder vermarktet werden (85,5 Prozent) zu viel Zucker, Fett oder Salz enthalten. Sie sind nach Kriterien der Weltgesundheitsorganisation unausgewogen.

„Die Bundesregierung ist mit ihrer Strategie der freiwilligen Selbstverpflichtung gescheitert“, kritisiert zum Beispiel Barbara Bitzer. Bitzer ist Geschäftsführerin der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und Sprecherin der Deutschen Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK).

Sie plädiert stattdessen für einen strikteren Maßnahmenkatalog, der unter anderem eine Steuerentlastung von gesunden Lebensmitteln, eine verbindliche Kennzeichnung aller Lebensmittel mit den Nutri-Score oder verbindliche Standards für die Kita- und Schulernährung umfasst. Das fordert auch Professor Berthold Koletzko, Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit an der Kinderklinik der Universität München. „Die Freiwilligkeit lässt vor allem sozial schwächere Familien und Kinder zurück.“ Die Krankheitslast durch ernährungsbedingte Krankheiten nehme weiter zu. „Wir wissen, was wir ändern müssen, aber wir ändern nichts“.

Bundesernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) widerspricht diesen Stellungnahmen vehement. So weist das Ministerium darauf hin, dass die Verhaltensregeln der Werbebranche zum 1. Juni 2021 verschärft wurden. Konkret werde die Altersgrenze über alle bereits bestehenden Regeln hinweg von 12 auf 14 Jahre erweitert. Danach darf Lebensmittelwerbung für Kinder und junge Jugendliche unter 14 Jahren weder direkte Aufforderungen zum Kauf noch zum Konsum enthalten.

Klöckner bezeichnete die Anhebung der Altersgrenze als überfällig. Kinder würden damit „jetzt deutlich besser geschützt.“ Verschärfte staatliche Regulierungen seien dann erforderlich, falls sich die bisherigen Maßnahmen als unzureichend erweisen sollten. Darauf warten pädiatrische Gesellschaften und andere Verbände nun aber schon lange vergeblich.


Raimund Schmid