Seit Beginn der COVID-19-Pandemie wird deutlich, wie sehr sich die psychische Gesundheit von vielen Kindern und Jugendlichen verschlechtert hat. Wie rar die dringend benötigten Therapieplätze sind und wie lange die Wartezeiten dauern, zeigt eine Studie der Universität Leipzig.

Das Team um Professor Julian Schmitz vom Institut für Psychologie der Universität Leipzig untersuchte, wie sich im Frühjahr 2021 die Situation in den Praxen in den letzten sechs Monaten im Vergleich zum gleichen Zeitraum vor der Pandemie, verändert hat. In einer Online-Umfrage wurden 324 Kinder- und Jugendpsychotherapeuten aus Deutschland gebeten, die letzten sechs Monate mit einem Sechsmonatszeitraum von vor zwei Jahren zu vergleichen. Es wurden fünf- und siebenstufige Likert-Skalen, Fragen mit Mehr- und Einfachauswahl sowie numerische und ein freies Antwortformat verwendet.

Die Ergebnisse ihrer Studie veröffentlichten die Autoren kürzlich in der Fachzeitschrift Die Psychotherapie und bezeichnen sie als „alarmierend“. Seit Pandemiebeginn hätten sich die Wartezeiten nahezu verdoppelt. Für ein therapeutisches Erstgespräch verlängerte sich die Wartezeit im Bundesdurchschnitt von fünf auf zehn Wochen, für einen Therapieplatz von drei auf sechs Monate. Besonders akut sei die Situation in ländlichen Gebieten, wo die Wartezeit mittlerweile wegen der schlechteren therapeutischen Versorgung bei über einem Jahr liege. Nach Angaben der befragten Therapeuten wurden mehr Erstgespräche durchgeführt und es kam häufiger zu Therapieverlängerungen, Therapieabbrüche kamen seltener vor. Bei der Hälfte der Kinder und Jugendlichen sei eine pandemieassoziierte Symptomverschlechterung aufgetreten. Alle erfragten psychischen Störungen würden deutlich häufiger auftreten. Vor allem wurden bei Kindern und Jugendlichen Depressionen, Angst- und Anpassungsstörungen, Zwangs- und Essstörungen sowie Schlafstörungen festgestellt. Wegen des eingeschränkten Kontakts zu Gleichaltrigen habe auch die Medienabhängigkeit zugenommen.

In den Praxen seien mehr Akutfälle behandelt worden, was jedoch auf Kosten von Langzeittherapien ging. Es erfolgen mehr Telefon- und Videositzungen als vor der Pandemie. Die Zusammenarbeit mit Eltern hat sich verstärkt, die mit dem interdisziplinären Netzwerk verringert. Die Gründe für diese Entwicklung sieht Schmitz in der veränderten Tagesstruktur durch Homeschooling oder Wechselunterricht, eingeschränkten Freizeitmöglichkeiten und sozialen Kontakten, allgemeiner Unsicherheit, im Wegfall vieler Angebote des Hilfesystems und der konkreten Angst vor einer Corona-Infektion.

Die Studie, die auch von der Bundespsychotherapeutenkammer aufgegriffen wurde, zeigt – so Schmitz – dass ein kontinuierliches Monitoring notwendig ist. Dies sei besonders wichtig, da gerade bei den Krankenkassen die Meinung vorherrsche, dass es genug Therapieplätze für Kinder und Jugendliche gebe. Der Psychologe und sein Team wollen in einem nächsten Forschungsprojekt mit Unterstützung einer Stiftung diese Daten kontinuierlich erfassen.


Quelle:
Einfluss der COVID-19-Pandemie auf die ambulante psychotherapeutische Versorgung von Kindern und Jugendlichen, Maria Plötner, Katja Moldt, Tina In-Albon, Julian Schmitz, Die Psychotherapie (2022)

Katharina Maidhof-Schmid | Raimund Schmid