Die gesundheitlichen, sozialen und psychischen Folgen des Cannabiskonsums werden gerade für Jugendliche massiv unterschätzt. Daher warnte Professor Rainer Thomasius von der Uniklinik Eppendorf beim 51. Kinder- und Jugendärztetag in Berlin auch eindrücklich vor der Legalisierung des Suchtstoffes, den die Ampelkoalition anstrebt.

Die Abhängigkeitsrate verdoppele sich (von 9 auf 17 %), wenn mit dem Konsum von Cannabis bereits in der Adoleszenz begonnen wird. Bei täglichem Konsum ab dem Jugendalter könne der Grad der Abhängigkeit rasch auf bis zu 50 % anwachsen, warnte der Vorsitzende der Gemeinsamen Suchtkommission der kinder- und jugendpsychiatrischen Verbände. Eine Abhängigkeit, die bereits vor dem 15. Lebensjahr einsetzt, führe überdurchschnittlich häufig zum Schulabbruch.

Der wissenschaftliche Leiter des Kinder und Jugendärztetags, Prof. Klaus-Michael Keller, stellte in Berlin klar, dass es sich bei Cannabis um keine harmlose Droge handele und daher das „Nulltoleranzprinzip“ gelten müsse. Im Falle einer Legalisierung würde sie sich schnell weiter ausbreiten, weil sich der illegale Markt für unter 18-Jährige nicht verringern und der legale Markt stark anwachsen würde. In Colorado sei der Anteil von Suiziden mit Cannabisbeteiligung seit der Legalisierung bei 10- bis 16-Jährigen auf das Doppelte gestiegen. Mit der Legalisierung konterkariere man zudem die bislang „ausgesprochen erfolgreiche“ Cannabispolitik in Deutschland, so Thomasius. Seit 30 Jahren bewege man sich bei jungen Menschen konstant bei einer niedrigen Cannabis-Konsumrate von 2 % (Gesamtbevölkerung sogar nur 0,4 %). Das droht nun „zerschossen“ zu werden, wenn der bis Ende 2022 vorliegende Gesetzentwurf der Ampelkoalition politisch durchgewunken würde.

Diese Brisanz der Thematik konnte der niedergelassene Pädiater Jakob Maske, Bundespressesprecher des BVKJ, in Berlin nur bestätigen. Vor Corona sei der Cannabiskonsum gerade bei 16- bis 17-jährigen Jugendlichen der häufigste Grund für Einweisungen in psychiatrische Einrichtungen gewesen. Daher sei es von ­Seiten der Ärzte dringend notwendig, das Thema Cannabis bei der Jugendgesundheitsuntersuchung 2 (J2) und auch bereits bei der J1 aktiv anzusprechen.

Kommentar:
Es war überfällig, dass der Kinder- und Jugendärztetag 2022 das Thema Cannabis in den Fokus gerückt hat. Hilfreich ist in diesem Zusammenhang auch, dass Kinder- und Jugendpsychiater der TU Dresden nun ein Handbuch für die ambulante Therapie von jugendlichen Drogenkonsumenten (in 84 % aller Fälle Konsumenten von Cannabis) erstellt hat. Das Erschütternde dabei: Die im Schnitt 13,5 Jahre alten Cannabiskonsumenten sehen den Suchtstoff häufig als Selbstmedikation ihrer psychischen Probleme an oder konsumierten ihn zur Entspannung. Das ist fatal, weil bei 2/3 der Jugendlichen danach trauma­tische Erlebnisse auftreten und fast 3/4 von ihnen unter psychischen Komorbiditäten leiden. Eine Verharmlosung von Cannabis ist daher gerade für junge Menschen genau die falsche Botschaft, warnten die Pädiater in Berlin zu Recht. Im Falle der geplanten Legalisierung dürfte aber genau diese Botschaft bei den Jugendlichen ankommen.
Weitere Informationen zu dem von der TU Dresden erstellten Handbuch für die ambulante Therapie von jugendlichen Drogenkonsumenten finden Sie hier.


Autor
Raimund Schmid


Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2022; 93 (5) Seite 342