Die Trauer von Kindern und Jugendlichen mit Memory Books begleiten. Von Esther Fischinger, 1. Auflage, 163 Seiten, kartoniert. 2017, Vandenhoeck&Ruprecht, Göttingen; ISBN: 978-525-40471-3; 30,- Euro

Esther Fischinger gibt einer Fragestellung Raum und Zeit, wie Kinder mit dem Tod eines Elternteils "fertig" werden – oder gerade diesen Weg nicht einschlagen, sondern vielmehr in der Erinnerung einen Ort zum Ankern und damit der Bewältigung ihrer Trauer suchen. Dass sie dabei vielfach intensive therapeutische Hilfe benötigen, dies wird dem mehr und mehr auch von Kummer betroffen werdenden Leser bewusst.

Die Autorin, bekannt als Systemische Familientherapeutin und Klinische Psychologin, hat ein mit farbigen Abbildungen von Gemälden ihrer Patientin Merle ausgestattetes Buch allen in der Trauerbegleitung und Trauerbewältigung tätigen und palliativ denkenden und handelnden Experten in die Hände gelegt.

Merle trauert um ihren Vater

Schlägt man dieses wohlfeil gestaltete Buch auf, so sucht man vergeblich nach dem Vorwort der Autorin. Sie tritt einen Schritt zurück und überlässt das Vorwort ihrer Patientin: Um sie geht es und niemand anderen, dies ist die Botschaft. Kernaussage ist, dass Trauer einen Menschen – auch ein Kind – lebenslang begleiten kann, und Trauer somit auch nicht pathologisiert werden darf. Sie gehört zum Leben dazu. Der immer faszinierter werdende Leser entdeckt die Dynamik des Trauerns, da hier ein Kindertagebuch zunächst ohne Kommentierung offenbar und dann mit "memory books" das Erinnern an den durch Selbsttötung verlorenen Vater wachhält, um schließlich mit einem Abschiedsbuch dem Vater ein bleibendes Gedenken zu hinterlassen.

Es kann nicht ausbleiben, dass sich die Autorin thematisch der Theorienbildung zur Trauerbewältigung zuwendet und verschiedene Denkmodelle hierzu vorstellt. Dass dabei die Phasen der Entwicklung von Kindern generell beachtet werden müssen und wie Trauer in diesen Lebensabschnitten von Kindern erlebt wird, scheint unverzichtbar zu sein.

Zeitweilige Abwehr von Trauer und auch die Auseinandersetzung mit dem Verlust eines Elternteiles beherrschen von der Intensität her die Lebensabschnitte eines älter werdenden und weiterhin trauernden Kindes sehr unterschiedlich. Fischinger betont die Bedeutung der verbliebenen Kernfamilie, in der zum Beispiel der Vater nun fehlt. Mit Beispielen verdeutlicht sie, wie auch weitere Familienmitglieder den Verlust des Vaters betrauern. Fischinger erinnert daran, dass es nicht – wie in diesem Fall – "nur" um den Verlust des Vaters geht, als vielmehr um den gravierenden Verlust der so wichtigen Bindungsperson "Vater".

Der Wunsch, aus dem Leben zu scheiden, wird vielfach als ein Akt der Selbstbestimmung gegen das Leben betrachtet. Dass Leben aber bedeutet, Bindungen zu dem Nächsten und hier zum eigenen Kind zu entwickeln, diese Bindung zu durchleben. Diese Erkenntnisse ziehen sich wie ein roter Faden durch dieses Buch. Die Selbsttötung durchschneidet dieses Band der Bindung, zumeist unangekündigt und deshalb so unendlich traumatisierend.

Schreiben und malen kann helfen

Schreiben und malen über das durchtrauerte Leben ist ein Angebot in einer – wie hier – therapeutischen Führung, Begleitung und eines empathisch ausgerichteten Mittrauerns. Trauer will erzählt sein, dies kann der Leser erleben. Die "memory books" ergreifen den Leser, nehmen ihn an die Hand in das Land, wo das Weinen, Trauern und auch Erinnern Raum und Hilfe erhalten.

Zu diesem Buch gäbe es noch so viel zu sagen, aber das Gegenteil soll erreicht werden. Ein jeder, der trauert, oder Trauernden die Möglichkeit schenkt, Unaussprechliches zu sagen oder darüber zu malen, auch zeitweise schweigen zu wollen, muss dieses mit Hingabe geschriebene und gestaltete Buch als sein Eigentum erwerben.

Merle gibt uns auf den Weg des Lesens mit: "Ich bin Merle. Seit neun Jahren lebe ich mit einem Gefühl der Trauer, aber ich lebe". Und so wird der Leser mitgenommen auf seinen eigenen Weg der Trauer über einen oder auch mehrere Verluste von Menschen, denen er nie begegnen konnte, oder die er hergeben musste und dabei nicht gefragt wurde, ob er diesen Verlust aushalten kann, oder auch nicht.

Univ. Prof. em. Dr. med. Dr. h. c. Hubertus von Voss, München


Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2017; 88 (3) Seite 206