Unter breiter Beteiligung fand das erste Public-Health-Zukunftsforum in Berlin statt, die DGSPJ war zur Vertretung der Belange von Kindern und Jugendlichen besonders eingebunden. Ein Bericht von Professor Ute Thyen.

Der aktuell publizierte 5. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung zeigt erneut, wie sehr Gesundheitschancen von sozialer Ungleichheit beeinflusst werden. Auch wenn es richtig ist, dass sich die Gesundheit der Bevölkerung im Laufe der Zeit und bei zunehmendem Wohlstand in vielen Aspekten verbessert, werden nicht alle Menschen – und insbesondere nicht alle Kinder und Jugendlichen – an dem Fortschritt beteiligt.

Es hat sich in den vergangenen Dekaden gezeigt, dass es nicht gelingt, mit individueller Gesundheitsförderung und Verhaltensänderungen zu gesünderem Lebensstil die bereits pränatal beginnende schwerwiegende Kumulation von Risiken in manchen Familien abzuwenden. Hier wird ein gesellschaftlicher Ansatz sowie staatlich unterstütztes und koordiniertes Handeln erforderlich.

Der Ansatz von Public Health

Der bevölkerungs- bzw. systembezogene Ansatz von Public Health ist ein kritisches Element für die nachhaltige Weiterentwicklung eines Gesundheitswesens und für die Verminderung gesundheitlicher Ungleichheiten. Aus diesem und anderen Gründen, wie Auswirkungen der Klimaveränderungen, Beeinträchtigung der weltweiten Biodiversität durch Antibiotika, neue Biotechnologien, Digitalisierung und Herausforderungen durch die demographische Entwicklungen, hat sich die Public Health Community einem Zukunftsprozess verschrieben. Dieser wurde angeregt durch eine Stellungnahme der Akademien der Wissenschaften im Jahr 2015 [1]. Das Robert Koch-Institut unter Leitung von Lothar Wieler übernahm 2016 die Koordinierung eines umfassenden Prozesses der Neuorientierung von ­Public Health in Deutschland mit Federführung durch Bärbel-Maria Kurth. Der Prozess wird unterstützt durch zahlreiche Fachgesellschaften und Institutionen, die gemeinsam ein erstes White Paper zur Situation erstellten. Die Bedeutung von Public Health für die Gesundheit der Menschen in Deutschland ist bisher institutionell nur unzureichend abgesichert und soll gestärkt werden. Dies gilt für Forschung und Lehre, den Öffentlichen Gesundheitsdienst und auch für Querschnittsbereiche, in denen ­Public Health nicht ausreichend repräsentiert ist. In der Vergangenheit gab es verschiedene Initiativen, um die historisch bedingten strukturellen Defizite in Deutschland aufzuarbeiten, die nun gebündelt werden sollten [2].

Unter breiter Beteiligung fand das erste Public-Health-Zukunftsforum am 08./09. 11. 2016 in Berlin statt, die ­DGSPJ war hier als Fachgesellschaft zur Vertretung der Belange von Kindern und Jugendlichen besonders eingebunden. Neben Plenarvorträgen von Helmut Brand, Tobias Kurth, Marie-Luise Dierks, Thomas Altgeld und Manfred Wildner wurden in 12 von jeweils 2 Inputgebern und Moderatoren geleiteten Arbeitsgruppen die wichtigsten Herausforderungen und Lösungsansätze diskutiert.

Weiteres Zukunftsforum im Dezember 2017 in Berlin

Dieser sehr fruchtbare Prozess stieß auf große Zustimmung, sodass das RKI für die Dauer von 2 Jahren eine Geschäftsstelle eingerichtet hat, die ein weiteres Zukunftsforum Public Health am 11. und 12. Dezember 2017 in Berlin organisieren wird. Die Referate und die Ergebnisse der Arbeitsgruppen des ersten Zukunftsforums werden in der Zeitschrift „Das Gesundheitswesen“ publiziert.

Die Geschäftsstelle ist seit dem 02. 05. 2017 besetzt und wird dem Austausch der vielen Beteiligten dienen. Ein erstes Arbeitsergebnis ist ein kurzes Eckpunktepapier mit den 4 zentralen Herausforderungen für die Politik, das auf der Website des Zukunftsforums (www.zukunftsforum-public-health.de) eingestellt ist, ebenso wie die Berichte über das vergangene Zukunftsforum.

Zentrale Forderungen

Die zentralen Forderungen an die politisch Verantwortlichen der Länder und des Bundes sind kurz zusammengefasst [3]:

Auch wenn jeder Mensch viel für die eigene Gesundheit tun kann, so sind doch wirtschaftliche und soziale Rahmenbedingungen entscheidend für die Gesundheit der Bevölkerung. Politische Entscheidungsträger gestalten diese Rahmenbedingungen durch die Schaffung gesetzlicher Grundlagen, die Bereitstellung objektiver und verlässlicher Informationen und die Gestaltung von Infrastruktur wesentlich mit. Die Gesundheit der Bevölkerung ist ein wichtiges Ziel von Politik. Wissenschaftliche Evidenz und Transparenz müssen dabei die Grundlage des politischen Handelns sein.

Die Gesundheit der Menschen, die Wirtschaft und die Umwelt sind untrennbar miteinander verbunden. Gute Luft, sauberes Wasser, gesunde Ernährung und bewegungsfördernde Lebensräume sind ebenso wichtig für die Gesundheit in jedem Lebensalter wie Bildung, Arbeit und Wohlstand. Gesunde Menschen sind die Voraussetzung für eine gesunde Wirtschaft – und umgekehrt. Politik muss systematisch die Auswirkungen von Entscheidungen auf Gesundheit berücksichtigen (Health in all Policies).

In Armut lebende Menschen haben ein höheres Risiko zu erkranken und vorzeitig zu sterben. Soziale Ungerechtigkeit beeinträchtigt die Gesundheit und führt zu Konflikten in der Gesellschaft. Die Beseitigung von Armut und Ungerechtigkeit ist außerordentlich wichtig für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Die Gesundheit gesellschaftlich Benachteiligter muss verbessert und ihre Teilhabe an der Gesellschaft gefördert werden. Dies trägt dazu bei, gesellschaftliche Konflikte und Extremismus einzudämmen.

Was für unsere Gesundheit wichtig ist, gilt auch für globale Gesundheit. Wir lernen das Gleiche immer wieder: Soziale Ungerechtigkeiten, Zerstörung der Umwelt und strukturelle Gewalt führen zu (internationalen) Konflikten und Gesundheitsproblemen. Diese bleiben nicht auf einzelne Länder begrenzt. Die wissenschaftliche Evidenz für den Klimawandel ist eindeutig. Auswirkungen sind heute schon spürbar. Sie bedrohen bereits in diesem Jahrhundert Sicherheit, Wirtschaft und Gesundheit national und global. Deutschland muss international Verantwortung übernehmen, sich für Chancengleichheit einsetzen, Diskriminierung abbauen, funktionierende Gesundheitssysteme stärken und eine führende Rolle bei der Eindämmung des Klimawandels einnehmen.

Dass diese strategische Ausrichtung eingebunden werden muss in einen weltweiten Prozess, der die Chancen und Gefahren der Globalisierung adressiert, zeigt der kürzlich veröffentlichte Forderungskatalog von 20 nationalen Akademien der Wissenschaften. Nationale bevölkerungsmedizinische Strategien sind nur zu verwirklichen im Sinne der Integration und Beachtung in allen Politikbereichen, von Umweltschutz, Verkehrsplanung, über Wirtschaft, Bildung und Sozialem. Diese Politiken sollen wiederum eingebettet sein in ein globales Gesamtkonzept („One Health“), das nicht nur die Gesundheit aller Menschen, sondern auch die Erhaltung der Natur des Planeten bedenkt [4].


Literatur
1. Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften and Union der deutschen Akademien der Wissenschaften (2015): Public Health in Deutschland – Strukturen, Entwicklungen und globale Herausforderungen. Halle (Saale), 88 Seiten. Download unter http://www.leopoldina.org/uploads/tx_leopublication/2015_Public_Health_LF_DE.pdf
2. Dragano N, Gerhardus A, Kurth BM et al. (2016) Public Health – mehr Gesundheit für alle Ziele setzen – Strukturen schaffen – Gesundheit verbessern. DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0042-116192 Online-Publikation: 18.10.2016; Gesundheitswesen 78: 686 – 688
3. Positionspapier des Zukunftsforums Public Health: Durch Stärkung der Öffentlichen Gesundheit (Public Health) zu verbesserter Bevölkerungsgesundheit und einer gerechten Gesellschaft. Download unter www.rki.de/zukunftsforum-public-health
4. Science 20 Dialogue (2017) Improving Global Health. Strategies and Tools to Combat Communicable and Non-communicable Diseases. Download unter http://www.leopoldina.org/uploads/tx_leopublication/2017_03_22_Statement_S20.pdf Bericht über die Veranstaltung unter https://www.leopoldina.org/de/veranstaltungen/veranstaltung/event/2458/



Korrespondenzadresse
Prof. Dr. med. Ute Thyen
Präsidentin der DGSPJ
Chauseestraße 128/129, 10115 Berlin


Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2017; 88 (4) Seite 261-264