Ist vegetarische oder vegane Kost für Kinder mit ihrem hohen Wachstums- und Enwicklungsbedarf geeignet? Dazu gibt es unterschiedliche Meinungen, auch unter den Fachgesellschaften. Die Autoren dieses Beitrags geben aber eine klare Empfehlung für die Ernährung von Säuglingen, Kindern und Jugendlichen, Schwangeren und Stillenden.

Vegetarische Kostformen finden sich verbreitet in armen Ländern. Seit einigen Jahren zeigt sich auch in wohlhabenden Ländern ein Trend zu vegetarischer Kost, häufig infolge ethischer und weltanschaulicher Einstellungen, manchmal auch mit gesundheitlicher Begründung.

Aus pädiatrisch-ernährungswissenschaftlicher Sicht sind vegetarische Kostformen ebenso wie andere, auch medizinisch indizierte Ausschlussdiäten, wesentlich daran zu messen, ob alle Nährstoffbedürfnisse im Kindesalter mit hohem Wachstums- und Entwicklungsbedarf ausreichend und sicher gedeckt werden können.

Standard: durchkalkulierte, praktisch bewährte Konzepte

Das Forschungsinstitut für Kinderernährung (FKE) hat wissenschaftlich basierte Ernährungskonzepte für alle Phasen des Wachstumsalters entwickelt, beginnend mit dem "Ernährungsplan für das erste Lebensjahr", an den sich nahtlos das Konzept der Optimierten Mischkost für Kinder und Jugendliche von 1 – 18 Jahren anschließt [1, 2, 3].

Die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat diese lebensmittelbasierten Konzepte mit durchkalkulierten Nährstoffgehalten als vorbildlich für Europa herausgestellt [4]. Die Konzepte des Forschungsinstituts für Kinderernährung (FKE) sind wissenschaftliche Referenzinstrumente für die Kinderernährung in Deutschland [5, 6] und gleichzeitig Grundlage für die tagtägliche Ernährungsberatung von Kinder- und Jugendärzten [7].

Mögliche Vorteile restriktiver Kostformen in der Überflussgesellschaft für Erwachsene

Ein hoher Anteil pflanzlicher Lebensmittel kann, vereinfacht gesagt, einzelne Krankheitsrisiken senken, etwa bei Herz-Kreislauf-Krankheiten [8] und Diabetes mellitus Typ 2 [9]. Da sich Personengruppen mit vegetarischen Diäten in typischen gesundheitsrelevanten Risikofaktoren systematisch von der Durchschnittsbevölkerung unterscheiden, wird die Abschätzung separater gesundheitsfördernder Aspekte der vegetarischen Kost erheblich erschwert [10, 11, 12, 13].

Mögliche Nachteile restriktiver Kostformen für Kinder

Bei Ausschluss ganzer Lebensmittelgruppen in der Kinderernährung entsteht das Risiko, dass einzelne Nährstoffe nur in kritisch knapper Menge oder sogar unzureichend zugeführt werden [14].

Vegetarische Kostformen im Einzelnen

Unter dem Oberbegriff "vegetarische Ernährung" lassen sich im Wesentlichen 2 Hauptgruppen abgrenzen:
  • Lacto-ovo-Vegatarier lehnen den Verzehr von Fleisch und Fisch (getötete Tiere) ab, akzeptieren aber Milch.
  • Veganer ernähren sich ausschließlich von pflanzlicher Kost [15].

Lacto-ovo-vegetarische Kost

Obwohl Nährstoffe wie Eisen und Zink mit hoher Bioverfügbarkeit, Vitamin B12 und Jod reduziert sind, besteht bei summarischer Betrachtung für Kinder und Jugendliche kein erhöhtes Risiko hinsichtlich Wachstum und Entwicklung [16, 17].

Für einzelne Personengruppen wie Schwangere, Säuglinge und Kleinkinder kann die Zufuhr einzelner Nährstoffe, wie etwa Eisen, kritisch knapp werden.

Vegane Kost

Bei veganer Ernährung drohen multiple Nährstoffdefizite; reduziert sind zusätzlich zur lacto-ovo-vegetarischen Kost Vitamin D, A, B2, Kalzium und Jod; es fehlen Vitamin B12 und tierisches Protein. Ein vollständiger Ausgleich potenzieller Defizite ist sehr aufwendig und erfordert ganz spezielle Kenntnisse und eine regelmäßige differenzierte Substitution [18].

Ein gravierendes medizinisches Problem ist die unzureichende Versorgung von gestillten Säuglingen veganer Mütter mit Vitamin B12 [9]. Zahlreiche Fallberichte beschreiben ausgeprägte Mangelzustände mit Anämie und zusätzlich (teilweise irreversiblen) neurologischen Ausfallerscheinungen [20, 21]. Unter veganer Kost müssen Kinder in allen Altersgruppen regelmäßig mit Vitamin B12 supplementiert werden.

Stellungnahmen zur vegetarischen Ernährung bei Kindern

Die Positionen renommierter Institutionen sind unterschiedlich akzentuiert, möglicherweise aufgrund der insgesamt unzureichenden Studienlage [22].

Die American Dietetic Association (ADA) hält ebenso wie die American Academy of Pediatrics (AAP) vegetarische Kostformen einschließlich veganer Kost für geeignet für alle Lebenszyklen, auch Säuglinge, Kinder und Schwangere, führt aber eine hohe Zahl dauerhafter Maßnahmen zur Vermeidung der sonst eintretenden Mangelversorgung an [23, 24].

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) hält bei einer ovo-lacto-vegetarischen Ernährung für Schwangere, Stillende, Säuglinge und Kleinkinder besondere Sorgfalt für geboten. Eine rein pflanzliche (vegane) Ernährung wird in Schwangerschaft und Stillzeit sowie im gesamten Kindes- und Jugendalter nicht empfohlen [25].

Der Wissenschaftliche Beirat des Netzwerks Junge Familie rät unter Bezug auf die DGE und pädiatrische Gremien von einer ausschließlich veganen Säuglingsernährung ab, da das Risiko für einen Nährstoffmangel groß und damit die Gesundheit des Säuglings gefährdet sei [6].

Methodisch hochwertige Studien zur Nährstoffversorgung von Säuglingen und Kindern unter verschiedenen Kostformen sind notwendig, um gesundheitliche Risiken und ernährungsbedingte Präventionsmöglichkeiten vegetarischer Kost, aber auch der aktuellen omnivoren Ernährungskonzepte evidenzbasiert und im Langzeitverlauf beurteilen zu können.

Unser Kommentar
  • Standard der Ernährung von Säuglingen, Kindern und Jugendlichen sowie Schwangeren und Stillenden sollten weiterhin die bestehenden Ernährungskonzepte sein, wie der Ernährungsplan für das 1. Lebensjahr und die Optimierte Mischkost.
  • Bei lacto-ovo-vegetarischer Ernährung ist vor allem auf die Versorgung mit Eisen in Personengruppen mit hohem Eisenbedarf, wie Schwangere, Säuglinge, Kleinkinder, weibliche Adoleszente, zu achten.
  • Vegane Kinderernährung ist ein potenzielles Gesundheitsrisiko, vor dem aus pädiatrisch-ernährungswissenschaftlicher Sicht gewarnt wird. Unter veganer Kost sind anhaltend differenzierte Ernährungsstrategien und fortlaufend Supplemente erforderlich, um diätbedingte Nährstoffmängel auszugleichen; der Wachstumsverlauf von Kindern ist unter veganer Diät regelmäßig zu protokollieren.

Literatur:
bei den Verfassern


Autoren

Mathilde Kersting 1, Hermann Kalhoff 2, Thomas Lücke 1 |1Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bochum, Forschungsinstitut für Kinderernährung; 2Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Klinikum Dortmund


Korrespondenzadresse
Prof. Dr. Mathilde Kersting

Klinik für Kinder- und Jugendmedizin
Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bochum
Forschungsinstitut für Kinderernährung

Interessenkonflikt: Der korrespondierende Autor gibt für sich und seinen Koautor an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2017; 88 (2) Seite 119-120