Welche Erfahrungen und Entwicklungen gibt es bei der Untersuchung von Seiteneinsteigenden Kindern ins deutsche Schulsystem? Welche Aufgaben können auf den Öffentlichen Gesundheitsdienst zukommen? Dies war Thema beim diesjährigen ÖGD-Kongeress.

Zwei Beiträge auf dem 68. Wissenschaftlichen Kongress des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes e. V. befassten sich mit aktuellen Herausforderungen im Kontext der Seiteneinsteigenden-Untersuchung. Diese beinhaltet die ärztliche Schuleingangsuntersuchung für Kinder und Jugendliche, die älter als Schulanfänger (5 – 6 Jahre) sind, erstmalig einen Schulbesuch in Deutschland aufnehmen und zuvor keine vergleichbare Untersuchung erhalten haben.

Die Großstadt Köln hat ihre Erfahrungen in einem Beitrag des dortigen Gesundheitsamts verfügbar gemacht [1]. Man sieht sich dort nach wie vor mit einer hohen Zahl zugereister schulpflichtiger Kinder und Jugendlicher konfrontiert. So wurden 2015 insgesamt 1.777, 2016 dann bereits 3.051 und im Jahre 2017 bis Ende September 835 Schuluntersuchungen durchgeführt. Diese Tätigkeit war in NRW zur Pflichtaufgabe deklariert worden und hat die kommunalen Kinder- und Jugendgesundheitsdienste neben den weiter bestehenden Aufgaben sehr gefordert und im Spitzenjahr 2016 vielfach an die Grenzen gebracht.

Hindernis Sprachbarrieren

Trotz landesseitiger Unterstützungsmaßnahmen war hohe Flexibilität in Verbindung mit vorübergehend anderer Priorisierung erforderlich. Erwartungsgemäß stellten Sprachbarrieren und häufig inadäquate Übersetzungen durch Laiendolmetscher (Familienmitglieder, Bekannte) großer Erschwernisse dar. Vielfach konnten diese durch den Einsatz von Videodolmetschersystemen überwunden werden, die den Vorteil der raschen und ortsunabhängigen Verfügbarkeit bieten. Neben der Anamneseerhebung konnte dieses System auch erfolgreich dafür genutzt werden, den Familien oder Jugendlichen adäquat die medizinischen Inhalte der Untersuchung und deren Ergebnisse zu vermitteln. Bei Bedarf gab es die Möglichkeit, Grundinformationen über das Gesundheitssystem und konkrete Ansprechpartner für evtl. notwendige medizinische Maßnahmen zu benennen. Nach Identifizierung von Impflücken konnten durch gezielte Aktionen Impfangebote bereitgestellt werden. Diese wurden mit sehr hoher Akzeptanz angenommen, führten zum effektiven Schließen von Impflücken und trugen zur Unterbrechung von Ausbrüchen übertragbarer Erkrankungen bei. Dies ist umso bedeutsamer, als es sich um eine Untersuchung vor Aufnahme in eine Gemeinschaftseinrichtung handelt.

Hoch komplexe Herausforderung

Der Posterbeitrag des Niedersächsischen Landesgesundheitsamts (NLGA) stellt 2 Hauptziele für die (in diesem Bundesland nicht verpflichtende) Seiteneinsteigenden-Untersuchung in den Fokus [2]: Es geht zum einen um die Erfassung von individualmedizinisch bedeutsamen Befunden, die "Auswirkungen auf die Lernausgangslage haben", zum andern ganz wesentlich um die "Verbesserung der gesundheitlichen, psychosozialen und biografischen Chancengleichheit". Hier bildet sich ganz konkret das Gedankengut von Teilhabe und Kinderrechtskonvention ab.

Vor diesem Hintergrund wurden die in Niedersachsen entwickelten Handreichungen zur schulärztlichen Untersuchung von seiteneinsteigenden Kindern und Jugendlichen vorgestellt [3], die ergänzender Empfehlungen, z. B. für den Einsatz von Testverfahren, bedürfen. Eine landesweite "Arbeitsgruppe Schuleingangsuntersuchungen in Niedersachsen" unter Beteiligung von Wissenschaft und Praxis ist intensiv mit der Erarbeitung befasst, dies auch mit dem Ziel, kommunen- und bundeslandübergreifend vergleichbare Informationen zu gewinnen. Hier sind also individualmedizinische, betriebsmedizinische, gesundheitsberichtserstatterische und gesundheitsplanerischen Aspekte auf das Engste miteinander verknüpft.

Nach Fertigstellung der Arbeitsrichtlinie für ein standardisiertes Vorgehen und für eine mögliche individuelle Gestaltung des Untersuchungsumfangs erhoffen sich die Autoren eine besonders fundierte landesweite Auswertung und Nutzung der Ergebnisse.

Die beiden Berichte über Erfahrungen und Weiterentwicklungen bei der Untersuchung von Seiteneinsteigenden ins deutsche Schulsystem veranschaulichen exemplarisch, welche Public-Health-Aufgaben auf den Öffentlichen Gesundheitsdienst in der Kommune und im Land zukommen können. Es wird aufgezeigt, wie priorisiert werden muss, um zeitnah und fachlich ausreichend handlungsfähig zu sein. Individualmedizinisch betrachtet kann der Kinder- und Jugendgesundheitsdienst gerade bei dieser Aufgabe der Türöffner zur gesundheitlichen Regelversorgung werden [4]. Ebenso werden Möglichkeiten aufgezeigt, wie durch gezielte Impflückenschließungsprogramme vor Ort das Ausbruchsgeschehen vermieden oder eingedämmt werden kann.

Durch den Tatbestand, dass den ankommenden Kindern und Jugendlichen wie allen anderen Kindern eine Regelleistung zuteil wird, zeigt sich – und das ist ohne Zweifel der beeindruckenste Aspekt – eine besondere Wertschätzung. Und gerade das ist auch ein Bestandteil von Normalität und Selbstverständlichkeit einer kommunalen Daseinsfürsorge für alle.


Literatur
1. Feddern S (2018) Die Seiteneinsteigenden-Untersuchung am Gesundheitsamt der Stadt Köln – Probleme, Herausforderungen, Lösungsansätze. Gesundheitswesen 80: 379
2. Jahn N (2018) Seiteneinsteigenden-Untersuchung in Niedersachsen. Gesundheitswesen 80: 400
3. Adelmann D et al. (2017) Handreichung zur schulärztlichen Untersuchung von seiteneinsteigenden Kindern und Jugendlichen in Niedersachsen.
4. Ellsäßer G, Gottschalk S (2018) Der Kinder- und Jugendgesundheitsdienst- Türöffner zur Regelversorgung? Gesundheitswesen 80: 379


Korrespondenzadresse
Dr. Ulrike Horacek MPH
Leiterin des Fachausschusses ÖGD in der DGSPJ

Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2018; 89 (4) Seite 282-283