Schlaf, Medienkonsum, Ernährung, Bewegung: "Wir geben als Pädiater viele Empfehlungen, leben diese aber nicht", sagt Kinderarzt Markus Landzettel - und appelliert, gerade in puncto Schlaf mehr auf die eigene Gesundheit zu achten.

6:30 Uhr: Da ist er wieder, dieser rhythmische Lärm des Weckers, der mir sagen will, dass die Erholungszeit dieser Nacht ausgereicht haben muss. Wiedermal ein Beweis, dass auf die Dauer nur 5 – 6 Stunden Schlaf pro aufeinanderfolgenden Nächten nicht wirklich erholsam sind. Nun stehe ich auf und wanke in Richtung Bad, um durch des Wassers wohltuende Kühle etwas Frische in das Gesicht zu zaubern. Frühstück mit Tee, um etwas Aufhellung in das müde Hirn einzugießen. Wegen des noch nicht in Gang gekommenen Gedankenablaufs besteht aber eine Unlust auf die Inhalte der Tageszeitung. Fahrt mit dem Fahrrad durch die noch dunkle Morgenstimmung zur Praxis. Die kühle Morgenluft lässt das Pochen im Kopf verschwinden.

7:50 Uhr: Praxisbeginn mit klarerem Kopf und einem Kaffee – zur endgültigen Überwindung der Müdigkeit. Blutentnahmen aufgrund der Routine ohne Fehlstiche geschafft.

11:00 Uhr: Nun ein Beratungsgespräch. Thema: "Mein Kind schläft nicht". Die ebenso müde wie ermattete Mutter klagt über die vielen Unterbrechungen des kindlichen Schlafes ihres eigentlich putzmunteren Kerlchens. Die Sorge der Eltern, es könne etwas nicht stimmen, hat ihnen den Schlaf und die Erholung geraubt. Also Beratung zu der unterschiedlichen Schlafdauer in den verschiedenen Altersgruppen, zur Schlafhygiene, zu Einschlafriten und der Vermeidung von den Schlaf erschwerenden Irritationen. Nach dieser Beratung kriecht die Müdigkeit wieder hoch. Statt mir eine kurze Schlafphase zu gönnen, bekämpfe ich diese tapfer mit einer weiteren Tasse Kaffee.

14:00 Uhr: Kurze Mittagspause, leider ohne einen Mittagsschlaf.

15:00 Uhr: Beginn der Nachmittagssprechstunde mit diversen Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen. Beschwingt durch eine erneute Tasse Kaffee klappt das auch ganz gut. Lediglich im erneuten Beratungsgespräch wegen Schulschwierigkeiten aufgrund exzessiven abendlichen Medienkonsums merke ich die schleichende Rückkehr der Müdigkeit. Wieder gebe ich die mir bekannten Empfehlungen weiter, wohl wissend, dass ich diese privat für mich nicht konsequent genug umsetze.

19:00 Uhr: Praxisende. Gerade noch rechtzeitig zu Hause, um nach dem Abendbrot noch bei den letzten Schularbeiten zu helfen und das jüngste Kind ins Bett zu bringen. Danach eigentlich schon müde. Dennoch aber noch kurz die Nachrichtensendung fertig geschaut und einen spannenden Spielfilm angefangen. Schließlich aber entsetzt festgestellt, dass noch Arbeit am Schreibtisch wartet.

23:55 Uhr: Keine Lust mehr auf Schreibtischarbeit.

Um 0:30 Uhr dann ins Schlafzimmer geschlichen, kann nicht einschlafen, da wach und voller Gedanken, wälze mich, je mehr ich mir den Schlaf herbeisehne, umso mehr dehnt sich die Zeit.

Die Moral von der Geschichte: Wir geben als Pädiater viele Empfehlungen, leben diese aber nicht selber. Wer von uns schafft es schon, die Empfehlungen für z. B. Schlaf, Medienkonsum, Ernährung und Bewegung so umzusetzen, wie es von den Fachgesellschaften publiziert wird? Wir übergehen Schlaf-Wach-Rhythmen und sonstige Biorhythmen und versuchen, dann eher durch Hilfsmittel alles passend zu machen. Dabei wissen wir: Gesunder Schlaf hat so viele positive Auswirkungen auf so vieles (Gesundheit, Gedächtnis, Stimmung). Schlaf ist die beste Meditation (nach Dalai Lama, geistiges und politisches Oberhaupt der Tibeter, 14.) und das täglich Brot der Seele (nach Carl Ludwig Schleich 1859 – 1922, Arzt und Erfinder der Anästhesie).

Dr. Markus Landzettel, Darmstadt


Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2018; 89 (6) Seite 374