Die Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie fürchtet aufgrund neuer Qualitäts-Richtlinien eine Pleitewelle für Frühgeborenen-Stationen und sieht dringenden Handlungsbedarf.

Eine neue Qualitäts-Richtlinie schreibt künftig eine hohe Fachkraftquote für die Frühgeborenen-Versorgung vor. „Angesichts der derzeitigen Finanzierungslage ist die Umsetzung einer solchen Vorgabe vollkommen unrealistisch“, kritisiert Prof. Dr. med. Bernd Tillig, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie e.V. (DGKCH). „Für ein solches Strukturprojekt bieten wir der Politik unsere Expertise an.“

Neues Gesetz schreibt hohe Fachkraftquote und strikten Personalschlüssel vor

Einrichtungen der Kindermedizin sind seit Jahren vom ökonomischen Druck in besonderer Weise betroffen – Grund ist die vergleichsweise schlechte Abbildung der erbrachten Leistungen im Krankenhaus-Finanzierungssystem DRG. „Zwar erhalten kindermedizinische Einrichtungen teilweise Zuschläge“, erläutert Tillig, Direktor der Klinik für Kinderchirurgie am Vivantes Klinikum Neukölln in Berlin. Aber sie reichen nicht aus, um die Zusatzkosten zu decken. „Wir nehmen ja häufig auch Eltern in die Klinik mit auf, benötigen neben speziellem technischem Equipment auch kindergerechte Ausstattung und Kinderbetreuung“, zählt der Kinderchirurg einige der kostenintensiven Extraposten auf.

Mit der Qualitätssicherungs-Richtlinie zur Frühgeborenen-Versorgung, die vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) auf den Weg gebracht wurde und im Januar 2017 verbindlich in Kraft getreten ist, verschärft sich nun die Situation erheblich. Denn das neue Gesetz schreibt eine hohe Fachkraftquote für die neonatologische Intensivpflege sowie einen strikten Personalschlüssel für die Frühgeborenen-Versorgung vor, ohne ausreichende Finanzmittel zur Verfügung zu stellen. Laut einer aktuellen Umfrage des Deutschen Krankenhausinstituts können derzeit nur gut ein Viertel der Perinatalzentren diese Anforderungen erfüllen.

Mehrbedarf von bis zu 1.750 Vollkräften durch Personalvorgaben der Richtlinie

Um die Personalvorgaben der Richtlinie vollumfänglich umsetzen zu können, ist bundesweit von einem personellen und finanziellen Mehrbedarf von bis zu 1.750 Vollkräften die Rede. Das entspricht einem Plus von 28 Prozent gegenüber dem derzeitigen Stand oder von Mehrausgaben in Höhe von mehr als 100 Millionen Euro. „Diese Anforderungen sind nicht zu schaffen. Es werden in der Konsequenz Perinatalzentren untergehen“, prognostiziert Tillig. „Eine solche Marktbereinigung wird offenbar in einigen medizinischen Bereichen politisch bewusst in Kauf genommen, um Überkapazitäten abzubauen.“

Die DGKCH bietet der Politik daher ihre Expertise und Unterstützung für ein transparent aufgesetztes Strukturprojekt zur bedarfsgerechten Neustrukturierung der konservativen und operativen Kinder- und Jugendmedizin sowie der Frühgeborenen-Medizin an. „Aus unserer Sicht sollte sich eine Neuordnung primär an der Versorgungsnotwendigkeit ausrichten“, so Tillig. „Dafür brauchen wir transparent hergeleitete Kriterien für eine Versorgungsplanung, die unter anderem Einwohnerzahl, Behandlungsmöglichkeiten, Fallzahlen, Erreichbarkeit und medizinische Qualität der Einrichtungen berücksichtigen und entsprechend gewichten.“


Quelle: Deutsche Gesellschaft für Chirurgie | ras