"Rauchen ist wie eine ansteckende Krankheit." Davor muss geschützt werden. Ein Appell von Kinderarzt- und Jugendarzt Till Reckert an die Jugendlichen und an die Gesetzgeber.

Einleitung

Seit Jahrzehnten tötet süchtiger Tabakkonsum und seit Jahrzehnten wird er durch die Werbewirtschaft mit frei erfundenen Attributen aufgepeppt: Aus dem suchtbedingten Zwang, rauchen zu müssen, wird die Freiheit des Rauchens, es sind die jungen, coolen, schönen und sportlichen Menschen, die rauchen. So lerne ich rauchend gesellige Freunde oder heiße Partner bzw. Partnerinnen kennen. Durch Freiheit und Abenteuer werde ich zum kompromisslosen Individualisten. Solche merkwürdigen Widersprüche zur Realität setzten sich infolge des milliardenschweren Tabakmarketings fest.

Die gesellschaftliche Diskussion hat sich gewandelt: Noch am 15. April 1994 bekräftigten 7 Chefs führender Tabakfirmen bei einer Kongressanhörung unter Eid, sie würden nicht glauben, dass Nikotin süchtig mache [1]. Am 9. Mai 1998 wurde die Tabakindustrie in dem berühmten Prozess von Minnesota wegen systematischer Irreführung der Öffentlichkeit zu 6,5 Milliarden Dollar Schadensersatz verklagt. Noch wichtiger war: Sie musste sämtliche internen Papiere veröffentlichen. Viele Millionen Seiten Beweismaterial wurden akribisch ausgewertet und so die Tabakindustrie anhand ihrer eigenen Dokumente des jahrzehntelangen strategischen Lügens überführt [2].

Derzeitige Regelungen in Deutschland

2004 gab die WHO den weltweiten Bemühungen um Tabakkontrolle einen Rahmen [3]. Auch Deutschland ratifizierte diese Rahmenvereinbarung und verpflichtete sich damit, bis spätestens 2010 ein "umfassendes Verbot aller Formen von Tabakwerbung, Förderung des Tabakverkaufs und Tabaksponsorings" zu erlassen. In der EU ist Tabakwerbung durch die Tabak-Werberichtlinie (2003/33/EG) reguliert (gegen die Deutschland vergeblich geklagt hatte). Und Deutschland ist das letzte Land der EU, das noch Werbung für Tabakprodukte auf Plakatwänden erlaubt. Das Tabakgesetz vom 04. 04. 2016 verbietet lediglich Plakatwerbung, "die ihrer Art nach besonders dazu geeignet ist, Jugendliche oder Heranwachsende (14 – 21 Jahre) zum Konsum zu veranlassen oder darin zu bestärken" [4].

Der Deutsche Zigarettenverband (DZV-Slogan: "Genuss braucht Verantwortung") verpflichtet seine Mitglieder dazu, "mit einheitlichen Maßstäben für ihre Werbungs- und Marketingaktivitäten sicherzustellen, dass Kinder und Jugendliche nicht die Zielgruppe für Tabakwerbung und -marketing sein dürfen und dass die Risiken des Rauchens nicht verharmlost werden". Eine Regelung im DZV-Werbekodex ist zum Beispiel "der Verzicht auf die Darstellung von Models, die jünger als 30 Jahre sind oder von der Mehrzahl von Jugendlichen für jünger als 30 Jahre gehalten werden" [5].

Die Tabak-Lobby konnte die Gesetzgebung zu Werbeverboten besonders in Deutschland erfolgreich "weichspülen" [6]. Volker Kauder blockierte noch diesen Sommer als CDU-Fraktionschef einen Regierungsentwurf für ein Tabakwerbeverbot im Parlament, indem er ihn einfach nicht zur Verhandlung zuließ [7]. In Trossingen (Volker Kauders Wahlkreis) ist der Weltmarktführer für Zigarettenhülsen EFKA.

Wie auch immer: Zigarettenreklame ist weiterhin im deutschen öffentlichen Raum überall sichtbar. Das Geld der an den Süchtigen gut verdienenden Tabakindustrie hilft zum Beispiel den Kommunen, die plakatverzierten Buswartehäuschen instand zu halten, in denen Schülerinnen und Schüler auf dem Schulweg warten (Beispiele für seltene Ausnahmen: Heidelberg und Bergisch-Gladbach) [8]. Tabakwerbung wird laut einer europaweiten Umfrage besonders in Deutschland und hier besonders von Jugendlichen und jungen Menschen wahrgenommen [9], obwohl die Tabak-Lobby vorgibt, diese gesetzeskonform nicht anzusprechen.

Doch dies tut sie schon immer. Fast alle Raucher fangen in der Jugend an. Und je früher jemand anfängt, desto schwerer kommt er später davon wieder los. Daher müssen vor allem junge Kunden mit dem beworbenen Suchtmittel ein gutes Gefühl verbinden lernen. Als Erwachsene sind sie dann durch ihre Sucht langfristig gebunden [10].

Beispiele für aktuelle Werbekampagnen

Der bekanntermaßen an tabakassoziierten Erkrankungen verstorbene Marlboro Man, eine berühmt-berüchtigte Werbeikone seit 1954, wurde durch eine gezielter an Jugendliche und junge Erwachsene gerichtete Kampagne abgelöst: "DON’T BE A MAYBE, BE MARLBORO". Deren neue Slogans wurden ab 2011 ausgehend von Deutschland in 50 Ländern oft in Verbindung mit abgebildeten jungen Menschen in nachdenklichen oder actiongeladenen Szenen propagiert, z. B.: "MAYBE NEVER FELL IN LOVE", "MAYBE NEVER WROTE A SONG", "MAYBE I WILL TAKE THE CHALLENGE." Oder einfach nur maximal kurz und vieldeutig: "MAYBE".

Die Kampagne greift entwicklungspsychologisch geschickt Sehnsüchte der heutigen jungen Generation auf: Diese verfügt über vielfältige Möglichkeiten, will sich aber alles offen halten, und sorgt sich dabei untergründig, als "Vielleicht-Mensch" – als "MAYBE" – das Leben zu verpassen und dann als Versager dazustehen. Die Werbung suggeriert dem Heranwachsenden subtil, dass das Rauchen von Marlboro-Zigaretten einen Zauderer ("Maybe") in einen Macher ("Be") verwandle [11].

Gegen ein Verbot dieser Kampagne klagte Philip Morris und bekam schließlich am 1. 10. 2015 Recht (Az.: M 18 K 13.4844): Das Gericht könne allein in der Wortkombination aus "Be" (deutsch: "Sei!") und "Maybe" ("vielleicht") keine "besondere Ansprache der Jugend erkennen" – und nur dann hätte die Kampagne dauerhaft verboten werden können. Bestimmte Bilder blieben aber verboten [12].

Eine andere omnipräsente Zigarettenkampagne in diesem Jahr war die von Gauloises: "VIVE LE MOMENT" (Abb. 1). Im Frühjahr fuhren 2 junge Mädels jauchzend und etwas verwegen auf einem Motorroller am Strand entlang. Der Slogan: "Sturmtief, Stimmungshoch, volle Fahrt voraus. Vive le Moment. Gauloises." Oder auf einem Musikfestival: "Drei Tage Festival, zwei Nächte im Zelt, ein Moment der Freiheit. Vive le Moment. Gauloises." Auch diese Werbekampagne spricht natürlich niemals Jugendliche an. Wie auch ...?

Geschickt ist die Kampagne von Benson & Hedges: Sie zeigt frech der Nichtrauchergesetzgebung eine lange Nase. Abgebildet werden immer locker plauschende Typen vor irgendeiner Tür. Die Slogans: "Drinnen spielt die Band, draußen die Musik. Drinnen tobt die Party, draußen das Leben ..." Besser kann man Rauchersolidarität in feindlich gesinnten Zeiten nicht auf den Punkt bringen.

Die Lucky-Strike-Kampagne "#EISKALT DURCHGEZOGEN" setzt auf die Mitbeteiligung, natürlich nur der Über-18-Jährigen (wenn man mit einem Klick bestätigt, über 18 zu sein, kann man sich alle Sprüche unter https://www.eiskalt-durchgezogen.de/Galerie ansehen und neue Sprüche einreichen). Da kommen Sprüche wie: "Elternpost von der Deutschlehrerin bekommen. Korrigiert zurückgegeben #EISKALT DURCHGEZOGEN. Nutellabrot ohne Brot gegessen #EISKALT DURCHGEZOGEN..." Auch das spricht Jugendliche überhaupt nicht an ... – von wegen.

Strategien der Tabakindustrie

Wo man auch hinschaut: Immer geht es darum, dass Rauchen vor allem etwas für junge, offene, coole Erwachsene ist (die, die sich ihre Jugend noch bewahrt haben). Dass man so optimal Jugendliche anspricht, hatte die Tabakindustrie in einem internen Forschungsprojekt schon vor den 1990er-Jahren erforscht: Laut dem Archetype-Project von Philip Morris formte sich die Einstellung zum Rauchen bei manchen Studienteilnehmern im Alter von 4 bis 9 Jahren, wurde dann in der Pubertät als eine Art Initiationsritus hin zum Erwachsenwerden verstanden und wurde assoziiert mit Risikobereitschaft und der stärkeren Bindung zu einer Peergroup, die eine typische "Erwachsenenaktivität" teilt. Aus den Forschungsergebnissen leitete man unter anderem folgende Werbestrategien ab:
  • Rauchen darf nur für Erwachsene sein (so wird es für Teenager umso attraktiver).
  • Rauchen ist für Personen, die Risiken in Kauf nehmen, sich nicht vor Tabus fürchten und das Leben als ein Abenteuer sehen, in dem sie sich bewähren.
  • Die Popularität der Marke der Wahl verstärkt die Identität des Konsumenten innerhalb einer Gruppe.

Diese Strategien findet man in den meisten Werbekampagnen wieder [11]. Jugendliche sind besonders empfänglich gegenüber den Tabakwerbebotschaften, diese fördern den Einstieg in das Rauchen sowie den Übergang vom Experimentieren mit Zigaretten zum regelmäßigen Rauchen und beeinflusst das Bild Jugendlicher vom Rauchen positiv [13]. Den Rückgang der Raucherquote unter Jugendlichen [14] verdanken wir der Verhältnisprävention, in Ländern mit umfassenden Tabakwerbeverboten im Einklang mit ratifizierten internationalen Verträgen fiel er deutlicher aus. In Deutschland rauchen vor allem noch Hauptschüler.

Fazit

So lange es noch nötig ist, sagen Kinder- und Jugendärzte den Jugendlichen folgendes: "Rauchen ist wie eine ansteckende Krankheit. Der eine steckt dem anderen die Zigarette an. Entweder ist man immun, dann kann man sich zu einem Grüppchen Rauchender dazustellen oder man ist es nicht, dann sollte man das Weite suchen, wenn man nicht angesteckt werden will. Und Tabakwerbung vermindert Deine Immunität, denn die Konzerne wollen Dich möglichst früh haben, weil sie Dich dann am sichersten behalten werden. Deine Freiheit, nicht zu rauchen ist dann vorbei. Und der deutsche Staat fördert den Verkauf, indem er als letztes Land in der EU effiziente Werbung toleriert, die Deinen Kopf vernebeln will. Als Nichtraucher rebellierst Du auch gegen diese Machenschaften. Don’t be a Maybe. Be yourself."


Literatur
1. Seven Tobacco Company CEOs Testify Before Congress that Nicotine is not Addictive (1994) https://www.youtube.com/watch?v=e_ZDQKq2F08 (Zugriff 3.9.2017)
2. Hurt RD, Ebbert JO, Muggli ME, Lockhart NJ, Robertson CR (2009) Open Doorway to Truth: Legacy of the Minnesota Tobacco Trial. Mayo Clin Proc 84 (5): 446 – 56
3. WHO. Rahmenübereinkommen der WHO zur Eindämmung des Tabakgebrauchs – Amtliche deutsche Übersetzung vom 2.4.2004. https://www.dkfz.de/de/tabakkontrolle/download/fctc/FCTC_deutsche_Uebersetzung.pdf (Zugriff 20.8.2017)
4. Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeugnisse. (8.4.2016) Bundesgesetzblatt Teil I. http://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl&jumpTo=bgbl116s0569.pdf (Zugriff: 20.8.2017)
5. Deutscher Zigarettenverband: Themen: Werbung https://www.zigarettenverband.de/de/259/THEMEN/Werbung%20 (Zugriff 27.8.2017)
6. Spatz J (2012) Politik im Griff der Tabakindustrie. Berlin: Forum Rauchfrei; http://www.forum-rauchfrei.de/wp-content/uploads/2015/12/studie_politik_im_griff.pdf (Zugriff 20.8.2017)
7. Rosenfelder L, Eichhorn M (2017) Tabakwerbeverbot: Der Qualm findet seinen Weg. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 1.5.2017
8. ARD Das Erste (2017) Tabak-Außenwerbung. Bundestag blockiert Verbot. Plusminus vom 12.4.2017. http://www.daserste.de/information/wirtschaft-boerse/plusminus/sendung/tabak-werbung-verbot-100.html (Zugriff 26.8.2017, verfügbar bis 13.4.2018)
9. Schaller K, Mons U (2016) Tabakwerbung auf Plakaten spricht Jugendliche an – Außenwerbeverbot dringend notwendig. Heidelberg: Deutsches Krebsforschungszentrum. https://www.dkfz.de/de/tabakkontrolle/download/Publikationen/AdWfP/AdWfdP_2016_Tabakwerbung-auf-Plakaten_final.pdf?m=1476692771 (Zugriff 20.8.2017)
10. Cummings K, Morley C, Horan J, Steger C, Leavell N (2002) Marketing to America’s youth: evidence from corporate documents. Tob Control 11 (Suppl 1): i5 – 17
11. Alliance for the Control of Tobacco Use (ACT Brazil), Campaign for Tobacco-Free Kids, Corporate Accountability International, Framework Convention Alliance, InterAmerican Heart Foundation, Southeast Asia Tobacco Control Alliance. (2014) Maybe you’re the target. New global Marlboro campaign found to target teens. http://global.tobaccofreekids.org/content/what_we_do/industry_watch/yourethetarget_report.pdf (Zugriff 27.8.2017)
12. Gerichtsurteil in München: Marlboro darf weiter mit Maybe-Kampagne werben (2015) Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 1.10.2015
13. Lovato C, Watts A, Stead LF (2011) Impact of tobacco advertising and promotion on in-creasing adolescent smoking behaviours. Cochrane Database Syst Rev. 2011 Oct 5; (10): CD003439
14. Ohrt B (2016) Die Drogenaffinität Jugendlicher in der Bundesrepublik Deutschland 2015. Rauchen, Alkoholkonsum und Konsum illegaler Drogen: aktuelle Verbreitung und Trends. Köln: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung; http://www.bzga.de/forschung/studien-untersuchungen/studien/suchtpraevention/ (Zugriff 20.8.2017)


Korrespondenzadresse
Dr. Till Reckert

Kinder- und Jugendarzt
Lederstraße 120
72764 Reutlingen
Tel.: 0 71 21/33 44 38

Interessenkonflikt: Der Autor hat keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Beitrag.


Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2017; 88 (6) Seite 396-400