Auf der Tagung "Verantwortliche Elternschaft - interdisziplinäre Perspektiven auf Gameten- und Embryonenspende" wurden offene Fragen, gesetztliche Unklarheiten und vieles mehr diskutiert. Ein Bericht.

Dass ein Kind nicht nur durch die natürliche Verbindung von Mann und Frau zustande kommt, sondern auch durch das künstliche Einführen von Samen in die Gebärmutter, ist seit Ende des 19. Jahrhunderts bekannt. Mittlerweile werden jedes Jahr in Deutschland ca. 1.000 Kinder nach "medizinischer" Samenspende geboren und mehr als 2.000 Kinder nach einer bei uns verbotenen Eizellspende im Ausland. Und das mit stark zunehmender Tendenz.

Nicht jede Frau, die ein Kind auf die Welt bringt, ist dessen biologische Mutter –, aber auch die Leihmutterschaft ist in Deutschland verboten. Eine Embryonenspende findet derzeit im rechtsfreien Raum statt, genaue Zahlen sind nicht bekannt. Es gibt aber allein in Deutschland ca. 100.000 tiefgefrorene Embryonen nach In-vitro-Fertilisation, von denen nur ein kleiner Teil von den genetischen Eltern zur "Adoption" freigegeben wird. Auf der Tagung "Verantwortliche Elternschaft – interdisziplinäre Perspektiven auf Gameten- und Embryonenspende", die vom 08. –09. 09. 2016 im Zentrum für Gesundheitsethik in Hannover stattfand, wurden die vielfältigen Aspekte, offene Fragen, gesetzliche Unklarheiten und Verunsicherungen in Beiträgen aus Philosophie, Theologie, Rechtswissenschaft, Reproduktionsmedizin, Psychotherapie und Selbsthilfe beleuchtet und diskutiert.

Wann beginnt menschliches Leben?

Kinderwunsch hat viele Gründe, die genannten Methoden kommen besonders bei Menschen mit medizinisch begründeter Infertilität und Frauen über 45 Jahre zum Einsatz, aber auch bei sogenannten Regenbogen-Verbindungen und bei alleinstehenden Frauen.

Die Philosophie fragt nach der grundsätzlichen Verantwortlichkeit der Elternschaft. Ist die Absicht, die Verursachung oder die Keimzelle entscheidend? Auch fragt sie danach, wann menschliches Leben beginnt? Mit dem Eindringen der Samen- in die Eizelle, mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle, dem Blastulastadium, der Einnistung in die Uterusschleimhaut oder noch später? Ist es ein punktuelles Geschehen oder ein kontinuierlicher Prozess?

In der Praxis werden biologische, soziale und juristische Elternschaft unterschieden, wobei nicht vollständig geklärt ist, was elterliche Sorge, elterliche Verantwortung und elterliches Recht beinhaltet.

Bisherige Grundsätze der deutschen Gesetzgebung sind

  • die Nichteinmischung in die Privatsphäre, z. B. bei der Kindesentstehung,
  • die Übernahme der Verantwortung für das Kind und
  • das Primat des Kindeswohls.

In Österreich sind Eizellspende und Leihmutterschaft seit 2015 aufgrund vorangegangener Gerichtsurteile erlaubt, die Embryonenspende ist wie in Deutschland juristisch umstritten.

Obwohl die Bedeutung des Kindeswohls immer wieder betont wird, besteht das Problem, wie die genaue Definition von Kindeswohl bzw. des "best interest of the child" ist. Haben die Kinder ein Recht auf eine selbstbestimmte Zukunft, wenn etwa die Eltern einer religiösen Sekte angehören und ihnen von früh an einen speziellen Lebensweg vorschreiben? Ist eine Gameten- oder Embryonenspende mit einer Adoption vergleichbar? Wie ist das mit dem Recht der UN-Kinderrechtskonvention auf eigene Identität in Einklang zu bringen? Wie kann das mittlerweile europaweit geltende Recht eines jeden Menschen auf die Kenntnis seiner biologischen Herkunft auch vor dem 15. Lebensjahr und bei einer Gametenspende im Ausland umgesetzt werden? Wie kann dieses Recht auch für "Seitensprung- oder Kuckucks-Kinder", deren genaue Zahl nicht bekannt ist, realisiert werden?

Embryonenschutzgesetz aus dem Jahr 1990

Die bisherigen Stellungnahmen der Kirchen sehen vor allem die Gefahr, dass die Rolle der klassischen Ehe reduziert wird und weisen auf die Problematik der Suche nach dem "perfekten Kind" bzw. der Ablehnung von Kindern hin, die diesem Bild nicht entsprechen. Die Stellungnahme der evangelischen Kirche aus dem Jahr 1987 lehnte die extrakorporale Befruchtung ab. Die Denkschrift der EKD von 2013, die zur Akzeptanz neuer Familienkonstellationen aufrief, wurde heftig diskutiert.

Das gültige Embryonenschutzgesetz stammt aus dem Jahr 1990 – vielfältige Veränderungen naturwissenschaftlicher, juristischer und lebenspraktischer Bedingungen wurden seither nicht weiter berücksichtigt, obwohl der deutsche Juristentag und der Deutsche Ethik-Rat viele Änderungsvorschläge gemacht haben.

Die elterliche Verantwortung des Gametenspenders kann delegiert, aber nicht völlig negiert werden. Si kann ein Kind heute die Adoption durch seinen biologischen Vater beantragen. Eine Adoption vor der Entstehung eines Kindes, zum Beispiel bei im Ausland erzeugten Kindern nach Eizellspende und Leihmutterschaft ist nicht, die Aufhebung einer Adoption nur aus schwerwiegenden Gründen möglich.

Das Problem der Existenz von Geschwistern oder Halbgeschwistern vom gleichen Spender ist ungeklärt, was u. a. auch im Widerspruch zu dem noch gültigen § 173 des StGB steht. Auch die Gametenspende bei alleinerziehenden bzw. allein verantwortlichen Eltern ist rechtlich ungeklärt.

Die Göttinger Medizinrechtlerin Frau Prof. Eva Schumann kritisierte vor allem die mangelnde psychosoziale Beratung von Eltern nicht nur vor, sondern auch nach der Geburt im Interesse des Kindeswohls. Wer soll das leisten? Jugendämter, Einrichtungen der Frühe Hilfen? Interdisziplinäre Zentren? Juristisch sind die Bedingungen der Elternschaft in Abhängigkeit vom Status der Eltern sehr unterschiedlich und ganz abhängig davon, ob sie verheiratet sind, Stiefeltern, eingetragene Lebenspartner oder alleinstehend. Es besteht die Notwendigkeit eines zentralen Spender-Registers vor allem für die Anerkennung der Eltern durch das Kind.

Nicht unbeträchtliche Risiken

Medizinische Risiken nach Eizellspende sind u. a. eine höhere Rate an Mehrlingen und ein höheres Gestose-Risiko – dazu kommen psychische Probleme durch die Verheimlichung und die Angst vor juristischen Konsequenzen. Die Betreuung von Schwangerschaft und Geburt nach Eingriffen im Ausland ist in Deutschland aber gewährleistet.

Große Bedeutung bei der Beratung der Eltern haben die Deutsche Gesellschaft für Kinderwunschberatung und die Selbsthilfeorganisation für Eltern nach Samenspende DI-Netz e. V. (DI steht für donogene Insemination.)

Die englische Autorin Susan Golombok betont die günstige Entwicklung von Kindern mit gespendeten Gameten – weist aber auch auf die Notwendigkeit der ausführlichen Beratung und Begleitung der Eltern und der Kinder hin. Der Pädagoge und Psychotherapeut Wolfgang Oelsner hat aber in mehreren ausführlichen Interviews mit Jugendlichen neben positiven Erfahrungen auch komplexe psychologische und psychiatrische Belastungen erfahren.

Es bestand bei der Tagung die Übereinkunft,

  • dass die Aufklärung über die neuen Möglichkeiten der Elternschaft in der Öffentlichkeit mehr bekannt gemacht muss,
  • dass der Gesetzgeber die rechtlichen Fragen klärt,
  • dass offizielle Registrierungen erfolgen,
  • dass eine qualifizierte psychosoziale Beratung und
  • eine Langzeit-Begleitung der Kinder und ihrer Eltern notwendig ist.

Das ist auch eine wichtige Aufgabe der betreuenden Kinder- und Jugendärzte. Die Klärung und Verbesserung der jetzigen Situation von vielen Tausenden dieser Kinder kann auch eine Aufgabe für einen ständigen Kinderbeauftragten beim Deutschen Bundestag sein.


Literatur
1. Deutscher Ethikrat (2016) Stellungnahme zu Embryonenspende, Embryonenadoption und elterlicher Verantwortung vom 22.3.2016 (online)
2. Golombok S (2015) Modern families. Parents and children in new family forms. Cambridge Press 2015
3. Oelsner W, Lehmkuhl G (2016) Spenderkinder - Künstliche Befruchtung, Samenspende, Leihmutterschaft und die Folgen: Was Kinder fragen werden, was Eltern wissen sollten. Fischer und Gann, Munderfing (A)
4. Richter-Kuhlmann E (2016) Embryonenspende und –adoption – umstrittene Option. DÄB 113, 745-747
5. Thorn P (2014) Familiengründung mit Samenspende: Ein Ratgeber zu psychosozialen und rechtlichen Fragen (Rat & Hilfe). Kohlhammer Stuttgart
6. Wiesemann C (2006) Von der Verantwortung ein Kind zu bekommen, C.H. Beck, München


Korrespondenzadresse
Prof. i. R. Dr. Hans Michael Straßburg
Emil von Behringweg 8
97218 Gerbrunn


Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2017; 88 (1) Seite 54-55