Menschen mit einer Intelligenzminderung sind besonders anfällig für körperliche und psychische Erkrankungen. Wie steht es um die Versorgungsqualität dieser Menschen, welcher Ansatz ist sinnvoll und notwendig? Eine akutelle Untersuchung liefert Antworten.

In der Bundesrepublik Deutschland leben etwa 1,5 Millionen Menschen mit einer geistigen Behinderung. Die Intelligenzminderung wird als Störung der intellektuellen Entwicklung beschrieben. Sie beginnt vor dem Erwachsenenalter.

Nach Angaben des statistischen Bundesamtes wurde 2017 bei 9,4 % der Bevölkerung eine Schwerbehinderung mit einem Grad der Behinderung (GdB) > 50 % festgestellt. Bei etwa 1 Million Personen waren die Störung der geistigen Entwicklung bzw. hirnorganische Störung die führenden Arten der Behinderung.

Menschen mit einer Intelligenzminderung sind besonders anfällig für körperliche und psychische Erkrankungen. Mittels einer Literaturrecherche in PubMed und Cochrane Library wurde nach der medizinischen Versorgungsqualität von Menschen mit Intelligenzminderung gesucht. Die Autoren der Untersuchung stellen fest, dass genetisch bedingte Störungen häufig zu Multiorganerkrankungen führen und einen interdisziplinären Behandlungsansatz fordern. Die Prävalenz einiger somatischer Krankheitsbilder ist bei Menschen mit Intelligenzminderung im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung erhöht. Hierzu gehören zum Beispiel Epilepsien (Anstieg von 0,5 % in der Allgemeinbevölkerung auf 30 bis 50 % bei schwerer bis schwerster Intelligenzminderung). Demenzielle Erkrankungen treten etwa fünfmal häufiger auf als in der Allgemeinbevölkerung. Bei Patienten mit Down-Syndrom ist das Risiko für eine akute lymphoblastische Leukämie 20-fach erhöht. Auch psychiatrische Erkrankungen, wie zum Beispiel Autismus-Spektrum-Störungen (7,5 bis 15 % gegenüber 1 % in der Allgemeinbevölkerung), kommen häufiger vor.

Es ist ein ganzheitlicher Ansatz mit einer differenzierten, strukturierten anamnestischen Erhebungsstrategie bei Menschen mit Intelligenzminderung unter Hinzuziehung von Bezugspersonen notwendig, um zu einer fundierten Diagnostik und ggfs. Therapie zu kommen. Eine große Schwäche der medizinischen Versorgung von Menschen mit Intelligenzminderung stellen psychotherapeutische und psychosoziale Maßnahmen dar, die ja an kognitive Fähigkeiten und das mentale Entwicklungsalter gekoppelt sind. Die Autoren der Untersuchung schließen aus ihren Ergebnissen, dass Menschen mit Intelligenzminderung mit einem multimodalen und multiprofessionellen Ansatz medizinisch behandelt werden sollten. Sie sehen medizinische Behandlungszentren für Erwachsene mit geistiger Behinderung oder schwerer Mehrfachbehinderung (MZEB) als ideale Einrichtungen zur Behandlung von Menschen mit Intelligenzminderung. Anfang 2019 gab es in Deutschland 38 MZEB, die diesen besonderen Anforderungen Rechnung tragen.

Kommentar:
Die Überlegungen der Übersichtsarbeit sind wenig überraschend, stellen sie doch die Komplexität der Diagnostik und Therapie von Menschen mit schweren Mehrfachbehinderungen, wobei sehr häufig die Intelligenzminderung führend ist, dar. Das "Instrument MZEB" ist im Prinzip der richtige Weg. Die finanzielle Ausgestaltung oder organisatorische Einbindung in die Kliniklandschaft stellen jedoch Probleme dar. Viele Fragen diesbezüglich sind noch offen. Insofern liegt noch ein weiter Weg vor Menschen mit einer Intelligenzminderung im Hinblick auf eine flächendeckende, unkomplizierte, niedrigschwellige und zugleich hochqualitative Versorgung.

Literatur
Sappock T et al. (2019) Medizinische Versorgung von Menschen mit Intelligenzminderung. Dtsch Arztebl Int 116: 809 – 816


Autor
Univ.-Prof. Dr. med. Markus Knuf


Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2020; 91 (3) Seite 164