Überlebensdaten und entwicklungsneurologische Outcomes dieser Kinder zeigen eine große Varianz. Warum?

Noch vor einigen Jahren bestand Konsens darin, extrem unreife Frühgeborene an der Grenze zur Lebensfähigkeit (< 22 SSW) nicht kurativ zu behandeln. In der jüngeren Vergangenheit häufen sich Berichte, die Daten zum Überleben und zum entwicklungsneurologischen „outcome“ dieser Kinder mit einer sehr großen Varianz präsentieren. Eine amerikanische Forschergruppe hat daher untersucht, ob klinisch spezifische Unterschiede bezüglich der Rate der aktiven Erstversorgung diese Varianz erklärt.

Zwischen 2006 und 2011 wurden alle Frühgeborenen vor Abschluss der 27. SSW des Eunice Kennedy Shriver National Institute of Child Health and Human Development Neonatal Research Network in die Studie eigeschlossen. Ziel der Studie war es, Unterschiede bezüglich der Einleitung aktiver lebenserhaltener Maßnahmen zwischen verschiedenen neonatologischen Kliniken zu untersuchen und zu überprüfen, ob diese das Überleben sowie das entwicklungsneurologische „outcome“ der Kinder im korrigierten Alter von 18 bis 22 Monaten bedingen. Es wurden Daten von 4.987 Kindern aus insgesamt 24 Kliniken ausgewertet. In 86,6 % der Fälle (n = 4.329) waren aktiv lebenserhaltenen Maßnahmen durchgeführt worden. Im Einzelnen betraf dies 22,1 % der Frühgeborenen mit einem Gestationsalter von 22 SSW, 71,8 % mit einem Gestationsalter von 23 SSW sowie 97,1 % mit einem Gestationsalter von 24 SSW. Nahezu alle, nämlich 99,6 % bzw. 99,8 % der Frühgeborenen mit einem Gestationsalter von 25 bzw. 26 SSW wurden aktiv lebenserhaltend behandelt. Von den 4.046 aktiv erstversorgten Frühgeborenen lagen entwicklungsneurologische Daten vor. 65 % der Frühgeborenen insgesamt überlebten, 56,1 % überlebten ohne schwere und 40,8 % ohne mäßige oder schwere entwicklungsneurologische Defizite. Alle 658 Frühgeborenen, die nicht definitiv kurativ behandelt worden waren, starben innerhalb von 24 Stunden nach der Geburt.

Herauszuheben ist, dass eine aktive Erstversorgung von extrem unreifen Frühgeborenen in einzelnen Kliniken mit sehr unterschiedlicher Häufigkeit vorgenommen wurde: Bei einem Gestationsalter von 22 SSW betrug der Interquartilsabstand (IQR) 7,7 – 100 %, mit 23 SSW 52,5 – 96,5 %, mit 24 SSW 95,2 – 100 % und mit 25 bzw. 26 SSW 100 – 100 %. Das Gesamtüberleben, das Überleben ohne schwere bzw. mäßige oder schwere Defizite betrug bei Frühgeborenen der 22 SSW 5,1 % (IQR 0 – 10,6), 3,4 % (IQR 0 – 6,9) bzw. 2 % (IQR 0 – 0,7). Bei Frühgeborenen der 26 SSW waren dies 81,4 % (IQR 78,2-84), 75,6 % (IQR 69,5 – 80,0) bzw. 58,5 % (IQR 51,6 – 65,4). Bei den Frühgeborenen mit 22 oder 23 SSW konnten 78 % der Unterschiede im Gesamtüberleben, 75 % der Unterschiede im Überleben ohne schwere Defizite sowie 41 % der Unterschiede im Überleben ohne mäßige oder schwere Defizite auf die jeweils klinikinterne Rate aktiver Erstversorgungen zurückgeführt werden. Bei Frühgeborenen mit 25 und 26 SSW hatten die Erstversorgungsraten der einzelnen neonatologischen Einrichtungen keinen Einfluss auf Unterschiede im „outcome“ der Frühgeborenen.

Univ.-Prof. Dr. med. Markus Knuf

Kommentar:
Versorgungsstrategien, insbesondere im Hinblick auf die kurative Behandlung von Frühgeborenen an der Grenze zur Lebensfähigkeit, haben einen gewissen Einfluss auf die überlebens- und entwicklungsneurologischen Unterschiede zwischen einzelnen Einrichtungen. Sie erklären jedoch nicht vollständig die Varianzen. Weitere Untersuchungen im Hinblick auf die Identifikation von Faktoren, die zu Unterschieden im „outcome“ beitragen, sind daher notwendig.

Literatur
Rysavy MA et al. (2015) Between hospital variation in treatment and outcomes in extremely preterm infants. N Engl J Med 372: 1801 – 1811

Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2016; 87 (5) Seite 280