Adipositasprävantion in der Praxis ist ein mühsames Geschäft, findet Kinderarzt Markus Landzettel. „Wäre mehr möglich?“, fragt er und gibt Anregungen.

Neulich bei der Vorsorgeuntersuchung U9 bei einem 5 Jahre alten Jungen: Dieser wird vermessen und gewogen. Der Junge ist definitiv zu kurz für sein Gewicht, der BMI nahe der 99er-Perzentile. Die restliche Untersuchung ist bis auf einen kariösen Zahnstatus eher regelgerecht. Der ebenfalls korpulenten Mutter wird nun mit Hilfe der Perzentilen auf dem Bildschirm aufgezeigt, wie das Gewicht seit der U7a mit 3 Jahren weiter hochgeschnellt ist – auch damals war er schon übergewichtig gewesen.

In unserem Fall ist offensichtlich von den damals in der Praxis bei mehreren Terminen initiierten Lebensstilinterventionen kaum etwas hängen geblieben. "Er isst eigentlich nix", meint die Mutter, "wir haben ja alles schon probiert. Aber vielleicht sagen Sie ihm mal, dass er nicht so viel Fernsehen schauen soll und weniger Süßigkeiten essen soll. Aber die Omi sagt immer, der wäre gar nicht so dick" .

Wie schaut es nun mit der Motivation aus? Da fällt mir doch die Studie ein, wonach Mütter von 4- bis 6-jährigen Vorschulkindern ihre übergewichtigen Kinder zu über 73 Prozent nicht als übergewichtig ansehen und sich nur 12 Prozent Sorgen um ihre Kinder machen. Übergewicht ohne Folgeerkrankungen tut halt nicht weh.

Auch der Mutter (bzw. der Omi) in meinem Fallbeispiel in der Praxis mangelte es an der Einsicht, dass etwas mit dem Kind nicht stimmen könnte. Denn die Eintragungen in der Patientenkartei verrieten noch mehr: Nach der ambulanten Abklärung damals war eine Anbindung an die hiesige Kinderklinik empfohlen worden, wo ein gutes – von der Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter (AGA) zertifiziertes – Adipositastraining angeboten wird. Dieses umfasst leitliniengerecht die genaue Identifikation der primären und sekundären Störungen, der Folgeschäden, wie das Erkennen weiterer kardiovaskulärer Risikofaktoren, sowie die enge Begleitung der Familie.

Der Patientenbegleitbrief und eine Überweisung fanden sich aber noch in der hinteren Lasche des nicht mehr so taufrischen Untersuchungsheftes. Da nun viel wertvolle Zeit vergangen ist, geht es jetzt einfach erst einmal darum, die weitere explosionsartige Zunahme des Gewichts einzudämmen und damit auch Sekundärschäden zu verhindern.

Um dies zu erreichen, habe ich erst einmal den Gesprächsfokus auf die Dinge gelenkt, die gut klappen. So ist der Kleine ja ganz zufrieden mit sich. Im Kindergarten mit Inklusionskonzept wird er im Sport zwar als Letzter gewählt, aber nicht gemobbt.

Also erneuter Versuch, der Familie eine Kontaktaufnahme mit der Kinderklinik "schmackhaft" zu machen. Zumindest der – nach Zigarettenpause im Freien – nun hinzukommende Vater findet dies sehr interessant und zeigt, dass er sich durchaus im Internet belesen hat. "Machen die jetzt auch diese neue Methoden mit der Bakterienverpflanzung?" Nun fängt der Kleine aber doch etwas zu quengeln an. "Mama, du hast mir doch etwas versprochen! Wann gehen wir denn nun zu McDonald‘s?"

"Sie müssen schon verstehen, Herr Doktor. Ich habe es versprochen. Ich achte auch drauf, dass er nur eine Cola light bekommt." Na, da wünsche ich den Klinikkollegen viel Erfolg bei der familienbasierten Therapie.

Fazit: Obwohl wir Kinder- und Jugendärzte mit verschiedenen – zunehmend auch qualitätsgesicherten – Programmen versuchen, das Problem Adipositas "präventiv" anzugehen, ist das Ergebnis stets das gleiche: Der Anteil von stark adipösen Kindern und Jugendlichen nimmt weiter zu.

Für einen Erfolg wären andere Maßnahmen unabdingbar: eine eindeutigere Deklaration der Lebensmittel, die zum Beispiel nicht auf 100-Gramm-Portionierungen ausgelegt sein darf, zudem ein Verbot von Kindernahrungsmitteln mit überhöhter Energiedichte (gerade für Fast Food und zuckerhaltige Softdrinks) oder schlichtweg eine generell bessere Gesundheitserziehung, die vielleicht mit dem nun verabschiedeten Präventionsgesetz in Gang kommen kann.

Was wir Pädiater an der Front aber vor allem brauchen, sind verbesserte Einwirkungs- und Abrechnungsmöglichkeit im Bereich der primären Prävention. Auch wenn über solche verhaltenspräventiven Maßnahmen keine gesicherten Erkenntnisse vorliegen, könnte nach den Erfahrungen in der Praxis eine Beratung und Begleitung durchaus effektiver sein, wenn einfach mehr Zeit zur Verfügung stünde.

Dr. Markus Landzettel, Darmstadt


Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2015; 86 (5) Seite 266