Aufgrund der Rechtslage wird eine deutliche Erhöhung der Mittel gefordert. Wo genau in der Kinder- und Jugendmedizin Ressourcen fehlen und welche Entwicklungen es gibt, zeigt der folgende Beitrag.
Die großen Erfolge der Kinder- und Jugendmedizin beschreibt die Studie Global Burden of Disease mit dem Rückgang der Sterblichkeit im Säuglings- und Kindesalter, besonders in den EU-Ländern. Die Mortalität wurde bei unter 5-Jährigen im Vergleich von 1990 bis 2016 um 70 % und bei den älteren Kindern und Jugendlichen bis 14 Jahre um etwa 58 % abgesenkt. Weiteres Potenzial für zukünftige Verbesserungen, z. B. durch Maßnahmen zur Vermeidung von Verkehrsunfällen, durch konsequenten Schwimmunterricht, Vermeidung bestimmter Infektionen und ausreichendes Impfen wäre durchaus noch vorhanden [1].
Der gesellschaftliche Undank für geniale Fortschritte drückt sich jedoch in einem jahrzehntelangen Trend zum Ressourcenmangel für die Kinder- und Jugendmedizin aus. Den unvermeidlichen Anstieg bei Personal- und Sachkosten "bewältigen" die Institutionen mangels Alternativen oft in einem zermürbenden Prozess durch Personalabbau. Die besonderen Aufgaben einer Kinderklinik, etwa die möglichst traumafreie Bewältigung von schweren Gesundheitskrisen, die Bereithaltung aufwendiger Verfahren, die Fortentwicklung einer hohen Fachlichkeit, die enge Kooperation sehr zeitnah erreichbarer Fachkräfte und anderes mehr werden einstweilen grundlegend missachtet. Wer gibt eigentlich in dieser Situation den vielen Menschen im Gesundheitswesen Rückhalt für diese unverzichtbaren Aufgaben zum Fortbestand unserer Kultur und unserer demokratischen Werte?
5 bis 10 % der Schüler erlangen keinen Schulabschluss
Trotz allgemeiner Schulpflicht besuchen etwa 5 bis 10 % der Schüler in Deutschland regelmäßig und auf längere Dauer keine Schule [2]. Das schulvermeidende Verhalten wird in einem Kontext einer schlechten psychischen Gesundheit mit Symptomen aus dem gesamten Spektrum psychischer Störungen des Kindes- und Jugendalters sowie mit einer ungünstigen Entwicklungsprognose auf der Basis von multiplen individuellen und sozialen Belastungsfaktoren gesehen. Hinzu kommen Faktoren wie Erziehungsstil, relative Armut, Wohnen in benachteiligten Regionen, Haltung zur Schule und Belastungen aus dem Schulsystem. Das betrifft vom Umfang her in Bayern bei einer Schülerzahl von etwa 1,67 Millionen in der Gesamtschülerschaft etwa 83.000 bis 167.000 Schüler, denen ein Abgang von der Schule ohne Schulabschluss droht.
Krankheit sollte kein Grund für Benachteiligung in der sozialen Teilhabe sein. Einige Bundesländer richten, meist aufgrund ärztlicher Nachfrage, an einer Klinik eine Schule für Kranke als Bestandteil des landeseigenen Bildungssystems und als eine Art Zweitschule zur schon besuchten Stammschule – also ohne Verlassen der sogenannten Stammschule – ein. Diese Schule ist durch ihre eigene Schulordnung therapienahen Zielen zum Wiederaufbau vertrauensvoller Beziehungen, zum Abbau blockierender Ängste und zur Steigerung des Selbstvertrauens anhand wieder eintretender schulischer Lernerfolge sowie zur psychischen Unterstützung ihrer Schülerschaft bei der Krankheitsbewältigung insgesamt verpflichtet (Krankenhauschulordnung, KraSO [3]). Das bessere, kindgerechte Verstehen der eigenen Krankheit und der kommenden Behandlungsprozesse sowie der Aufbau einer positiven Perspektive für die eigene schulische Entwicklung an der Stammschule und zur eigenen sozialen und kulturellen Entwicklung sind wichtige Bestandteile dieses Unterrichts.
Keine klaren Strukturen und zu wenige Mittel für Klinikschulen
Diese Schule hat Vollmachten bis hin zur Durchführung von einer Abiturprüfung in kooperativer Durchführung mit der Stammschule innerhalb einer Klinik, wenn die besondere Krankheitsgeschichte diese Durchführung aus Patientensicht sinnvoll und motivierend erscheinen lässt. Allerdings klagt auch diese Schule bei einer umfassenden Aufgabenstellung für die Lehrpläne und Prüfungen aller Schularten des Landes und bei ihrer Mitverantwortung für den weiteren erfolgreichen Bildungsgang über besonderen Ressourcenmangel bei den Lehrerstunden. Auch über einen Mangel an klaren Regeln für den ausschließlich aus Schulbaumitteln zu finanzierenden Raumbedarf innerhalb einer Klinik wird geklagt. Ein "Sonderopfer" der Klinik aus Mitteln des Krankenhausfinanzierungsplans ist für diesen Bildungsbetrieb gemäß Schulfinanzierungsgesetz in Bayern nicht angebracht, erfordert aber eine sehr konsequente Einplanung.
Der Mangel an Lehrerstunden für diese Schulart ergibt sich aus bestimmten Gerechtigkeitsvorstellungen im Bayerischen Bildungswesen. Für eine angenommene Schulklasse von 30 Schülern an einer Stammschule werden modellhaft etwa 48 Lehrerstunden eingesetzt. Dann finanziert der Staat hier rechnerisch 1,7 Lehrerstunden pro Schüler.
Wenn ein Schulkind z. B. wegen einem stationären Aufenthalt oder wegen einer Schulphobie oder allen anderen möglichen gesundheitlichen Gründen nicht im Klassenverband gruppierbar ist, soll es vom staatlichen Bildungsaufwand her nicht wesentlich besser gestellt werden, als das gruppenfähige Kind. Dieser in Bayern angewandte Schlüssel von etwa 1,7 Lehrerstunden bedeutet für erkrankte Kinder mit Bedarf an Einzelunterricht maximal eine wöchentliche schulische Förderung von 90 Minuten. Erkrankung ist in diesem Sinne eher eine Art private Angelegenheit, und der Bildungsbedarf bei Erkrankung bekommt dabei keinen besonderen Schutz.
Vervierfachung von Lehrerstunden an Klinikschulen notwendig
In der pädiatrischen Psychosomatik und Psychiatrie wird oft die Gestaltung von einem verkürzten Unterrichtsvormittag durch die Schule für Kranke als eine Art Trainingsraum zur Anbahnung von schulgerechtem Verhalten innerhalb von einem therapeutischen Prozess angestrebt. Die Anforderungen sollen sich in enger Absprache mit dem medizinischen und therapeutischen Team mit den Behandlungsfortschritten steigern. Im Idealfall wird ein Kind entlassen, das wieder zum Besuch der Stammschule fähig ist.
In der Praxis erweist sich hier oft eine Gruppierbarkeit für bis zu 8 Kinder im Zwei-Lehrer-System als gerade noch durchführbar. Die Stunden der Zweitlehrkraft gewährleisten die Individualisierung des Unterrichts je nach Schulart und die Sicherheit für den Schulbetrieb, z. B. bei Erkrankung der anderen Lehrkraft. Bei akuten krankheits- oder sozialbedingten Problemphasen übernimmt sie die individuelle Betreuung eines Kindes. Sie ermöglicht den Kontakt zum therapeutischen Team, zu den Stammschulen, den Eltern, der Dienstaufsicht und dem Jugendamt und erledigt manche andere Zusatzaufgaben. Bei einem Betrieb von annähernd 24 Wochenstunden für die Schüler errechnet sich ein Bedarf von 48 Lehrerstunden/Woche. So ergibt sich ein Schlüssel von 6 Lehrerstunden/Woche je Kind. Damit ist dem Gesetzgeber samt zuständigem Ministerium annähernd eine Vervierfachung der aktuellen Lehrerzuweisung als notwendig und gerechtfertigt zu erklären.
Das Grundgesetz der Bundesrepublik gewährt in Art. 6 den besondere Schutz der Familie, also etwa für eine Mutter mit ihrem erkrankten Kind bei der Besonderheit einer gravierenden Erkrankung, wenn die Eltern allein wegen der Schwere der Erkrankung mit ihrer Schutz- und Fürsorgepflicht nicht mehr weiter kommen.
Über die Charta der Grundrechte der Europäischen Union verpflichtet sich die Bundesrepublik seit dem Jahr 2009 zum Gesundheitsschutz (Art. 35) durch Zugang zur Gesundheitsvorsorge und zur ärztlichen Versorgung auf einem hohen Gesundheitsschutzniveau für jede Person, d. h. einschließlich der Kinder.
Weiter hat jede Person, damit auch das erkrankte Kind, das Recht auf Bildung (Art. 14) sowie zur unentgeltlichen Teilnahme am Pflichtschulunterricht etwa über die Schule für Kranke und soll sie daher auch besuchen.
UN-Kinderrechtskonvention wird sträflich missachtet
Die UN-Kinderrechtskonvention, in Deutschland ebenfalls mit dem Rang von einem Bundesgesetz, bestätigt den Kindern in den Unterzeichnerstaaten (alle Staaten der Erde, außer den USA) in Art. 24 ein Recht auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit sowie auf Inanspruchnahme von Einrichtungen zur Behandlung von Krankheiten und zur Wiederherstellung der Gesundheit. In Art. 28 werden Maßnahmen zur Förderung von einem regelmäßigen Schulbesuch gefordert sowie die Verringerung des Anteils derjenigen, welche die Schule vorzeitig verlassen. Das Defizit liegt also nicht in der Gesetzgebung, sondern bei der Umsetzung der Kinderrechte bei chronischer Erkrankung und auch bei schulvermeidendem Verhalten.
Am 1. Deutschen Kindergesundheitsgipfel in der Akademie für politische Bildung, Tutzing, vom 29. 04. 2019 legte Prof. Dr. Fred Zepp, Direktor des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin der Universität Mainz, eine Grafik zum Aufwand für vollstationäre Krankenhausbehandlung als typisches Beispiel für einen Teilbereich der Gesundheitskosten vor [4]. Die Ausgaben zu allen Gesundheiskosten im Jahr 2015 werden für das Alter 0 bis 19 mit etwa 22,5 Milliarden beziffert und die Gesamtkosten für alle Patientengruppen mit etwa 370 Milliarden Euro angegeben. Für das Alter 0 bis 19 sind im Jahr 2015 Ausgaben von etwa 22,5 Milliarden bei Gesamtkosten von 370 Milliarden Euro dargestellt. Der Kostenaufwand für diese Altersgruppe drückt mit 6,08 % vom Gesamtbudget eine gravierende Schieflage aus. Eine Gleichbehandlung mit den anderen Lebensdekaden unter dem Kostengesichtspunkt würde zu einem Mehraufwand in der Nähe von 70 Milliarden Euro in der stationären Kinder- und Jugendmedizin führen. Das sprengt vermutlich das heutige Vorstellungsvermögen vieler Fachleute und vielleicht auch den aktuellen Bedarf. Ein besonderer Schutz der Familie im Sinne der Verfassung ist mit dieser Ressourcenverteilung so nicht zu erkennen. Geschützt werden eher Altersgruppen in der pränatalen Medizin bis zum ersten Lebensjahr sowie etwa ab dem 50. Lebensjahr.
... zeigen die unter dem Suchwort Kindergesundheitsgipfel leicht auffindbare Internetseite der Akademie für politische Bildung, Tutzing (www.apb-tutzing.de), sowie die Internetseite www.kranke-kinder-haben-rechte.de.
Deren Entstehung wie auch die Tagung in Tutzing ist sehr maßgeblich der Initiative von Prof. Dr. Christoph Klein, Ärztlicher Direkter des Dr. von Haunerschen Kinderspitals, zu verdanken.Die Initiative zur Durchführung vom 1. Deutschen Kindergesundheitsgipfel führt die 37 Ärztlichen Direktoren der Universitäts-Kinderkliniken in Deutschland und die Ärztlichen Direktoren weiterer Kliniken in dieser Lage zusammen. Damit beginnt die Suche nach den Akteuren zur besseren Umsetzung der Kinderrechte. Die große Anzahl an chronisch erkrankten Kindern und Jugendlichen (bis zu 25 % ihrer Altersgruppe) sollte zu einer politischen Dynamik bei den Eltern und den unterstützenden Vereinen und in einer altersgemäßen Weise auch bei den Betroffenen führen. Die Probleme in der Gesundheit und im besonderen Bildungsbedarf sind als Grundlagen für die soziale Teilhabe als unteilbare, nicht gegeneinander aufwägbare Kinderrechte gleichzeitig zu lösen.
Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2019; 90 (5) Seite 370-374