Die wichtigsten Konzepte für Kinder mit chronischer Beeinträchtigung lassen sich in 6 Worten zusammen: Funktion, Familie, Fitness, Freunde, Fun (Spaß) und Future (Zukunft). Der folgende Text erklärt das F-Wort „Fun" und seine Bedeutung anhand eines Praxisbeispiels.

Serie Teilhabe-Orientierung in der Sozialpädiatrie: Die F-Wörter

Vor 10 Jahren haben Peter Rosenbaum und Jan Willem Gorter den Artikel "The ‘F-words’ in childhood disability: I swear this is how we should think!" [1] veröffentlicht. Die Autoren fassen dabei die wichtigsten Konzepte für Kinder mit chronischer Beeinträchtigung in 6 Worten zusammen: Funktion, Familie, Fitness, Freunde, Fun (Spaß) und Future (Zukunft). In einer Arbeitsgruppe wurde der F-Words-Artikel ins Deutsche übersetzt. Dieser steht – ebenso wie weitere deutschsprachige Materialien – auf der CanChild-Seite als Download zur Verfügung. Die Seite erreichen Sie über https://canchild.ca/en/resources/canchild-german. In der KiPra-Ausgabe 1/2023 erschien ein erster Einführungstext, nun folgen die einzelnen F-Wörter in einer kleinen Serie anhand von Praxisbeispielen. Hier folgt nun das Praxisbeispiel zu dem F-Wort "Spaß".

Würde man mit einer Suchfunktion untersuchen, wie häufig die Wörter Freude, Spaß oder Fun in der KiPra oder anderen Fachzeitschriften vorkommen, dürfte es nicht allzu viele Treffer geben – abgesehen von den Beiträgen zu den F-Words der letzten Monate. Und dennoch ist Freude eine immens wichtige Erfahrung im Leben von Patientinnen und Patienten, Angehörigen und im Grunde aller Menschen.

Im Referenzartikel dieses Beitrags zu den F-Words von Rosenbaum et al. [1] werden Freude und Spaß den personenbezogenen Faktoren zugeordnet, wobei wichtige Querverbindungen zu den Komponenten "Körperfunktionen und -strukturen", "Umwelt- und Kontextfaktoren" sowie "Aktivitäten und Teilhabe" bestehen, wie noch an einem Beispiel illustriert wird. Insofern bietet die Frage nach Aktivitäten, die Freude und Spaß machen, einen sehr guten Zugang zu allen Komponenten der ICF. Somit ist die Frage "nach Dingen, die Dir Spaß machen" diagnostisch und im Behandlungsverlauf hochrelevant und in keiner Weise nur Smalltalk, um das Eis zu brechen.

Ein Beispiel: Daniel, 13 Jahre, hat Freude beim Sport

Ich lernte Daniel vor einigen Jahren als Stationsarzt kennen, nachdem er ein schweres Schädelhirntrauma erlitten hatte und operiert werden musste. Zuvor war er gesund und entwickelte sich in allen Bereichen altersgerecht. In seiner kognitiven Entwicklung macht er sich auch jetzt weiterhin sehr gut und besucht ein Gymnasium. In motorischer Hinsicht entwickelte David eine spastische Hemiparese links (GMFCS 1 – 2). Außerdem benötigte er aufgrund eines Hydrocephalus malresorptivus einen VP-Shunt.

Emotional stellen der Unfall und seine Behinderung eine Herausforderung dar, bei der ihm eine psychotherapeutische Begleitung hilft.

Die Suche nach Aktivitäten, die David Spaß und Freude bereiten, war nicht immer einfach und hatte ihre Höhen und Tiefen. Er spielt Trompete im Orchester, was sehr gut funktioniert. Die Musik macht ihm Spaß. Die körperlichen Einschränkungen spielen bei dieser Aktivität kaum eine Rolle, sodass seine Teilhabe hier kaum beeinträchtigt ist. Ganz heftig schlägt sein Herz jedoch für den Sport. Mit der Wunschvorstellung Basketball zu spielen ging er hochmotiviert zu Werke. Nach einer Weile machte er jedoch die Erfahrung, dass er einfach nicht so gut mithalten konnte, was ihn teilweise sehr frustrierte. Über verschiedene Ecken kam er zum Bogenschießen – ein Sport, der Kraft, Tonus, Konzentration und Koordination erfordert. Hier kommt er sehr gut zurecht. Er hält den Bogen mit der linken Hand, wofür eine sehr gute Kraft für die Streckung im Ellbogen notwendig ist. Da seine Parese praktisch nur bei der Beugung des Ellbogens ins Gewicht fällt, wirkt sie sich auch nicht auf das Bogenschießen aus. Sein Stand ist – trotz Parese – ebenfalls sehr stabil, sodass er inzwischen sehr erfolgreich in diesem Sport wurde, an Wettkämpfen teilnimmt und Medaillen sammelt. Zumindest momentan ist Bogenschießen "sein Sport". Er trainiert regelmäßig mit hoher Motivation, knüpft Kontakte und – weil er ehrgeizig ist – kommt die Freude auch durch den Erfolg.

An Daniels Beispiel wird deutlich, wie verwoben die ICF-Komponenten miteinander sind und wie individuell die jeweilige Passung für jedes Kind/jeden Jugendlichen sein kann. Bei der Suche nach den passenden Aktivitäten benötigen Kinder und Jugendliche oftmals Unterstützung, damit die individuellen Möglichkeiten und Vorlieben einerseits und die äußeren Gegebenheiten andererseits zusammenpassen. In einer qualitativen Studie mit 22 Kindern mit der Diagnose einer Bewegungsstörung aus Neuseeland [2] identifizierten die Autoren 3 Kategorien, die in den Erfahrungen der Teilnehmer bezüglich ihrer Freizeitaktivitäten eine wesentliche Rolle spielten:

  1. Die Auswahl: Aus verschiedenen Möglichkeiten an Aktivitäten überhaupt auswählen zu können, war ein wesentliches Ergebnis aus Sicht der Befragten. Die Wahlmöglichkeit bezieht sich dabei auf 3 Bereiche. Zunächst ist es wichtig, die Aktivität selbst wählen zu können. Zusätzlich war jedoch auch relevant, wie gut zugänglich und "willkommen-heißend" der Ort war, an dem die Aktivität stattfindet. Außerdem war es für die Teilnehmer bedeutsam, sich im Kreis der anderen Kinder wohlzufühlen und im Zweifel wieder aufhören zu können.
  2. Anpassungen (the experience of adaptations): Weiterhin war es mitunter notwendig, die Aktivität selbst zu modifizieren, dass sie Spaß machen kann, oder die entsprechende Ausstattung bereitzustellen. Mitunter ist es erforderlich, die richtige Rolle für das Kind zu finden, wenn nicht alle Aktivitäten gleich gut möglich sind. Wenn es beim Fußball als Feldspieler nicht gut klappt, ist vielleicht die Rolle des Torhüters besser geeignet?
  3. Die Erfahrung einer Routine: Spaß ist möglich bei spontanen und bei geplanten, wiederkehrenden Aktivitäten. Beides wurde von den Teilnehmern der Studie positiv bewertet. Es zeigte sich jedoch eine Tendenz, dass spontane Spielaktivitäten eher im familiären Umfeld möglich sind und die Kinder dann häufiger alleine spielen. Aktivitäten mit anderen Kindern dagegen waren oftmals – aufgrund der engeren Auswahl – besser in geplanten, wiederkehrenden Settings möglich, z. B. in einem Verein oder einer Gruppe.

Es zeigt sich also, dass beides wichtig ist: Herausarbeiten, was einem Kind Spaß und Freude bereitet und das Kind und seine Familie bei der Suche zu unterstützen, eine entsprechende Aktivität zu finden, die spontan oder regelmäßig ausgeübt werden kann. Diese Suche mag nicht immer einfach sein, aber in solchen Momenten, wenn Daniel stolz von seiner letzten Medaille spricht, ist die Freude wahrlich ansteckend.

Wesentliches für die Praxis . . .
  • Die Frage "nach Dingen, die Dir Spaß machen" ist diagnostisch und im Behandlungsverlauf hochrelevant und in keiner Weise nur Smalltalk.
  • Es zeigt sich, dass beides wichtig ist: Herausarbeiten, was einem Kind Spaß und Freude bereitet, und das Kind und seine Familie bei der Suche zu unterstützen, eine entsprechende Aktivität zu finden.


Literatur
1. Rosenbaum P, Gorter JW (2012) The "F-words" in childhood disability: I swear this is how we should think! Child:care, health and development 38: 457 – 463
2. Kanagasabai PS, Mulligan H, Hale LA, Mirfin-Veitch B (2018) "I do like the activities which I can do…" Leisure participation experiences of children with movement impairments. Disabil Rehabil 40 (14): 1630 – 1638
3. https://canchild.ca/en/resources/280-world-cp-day-posters, abgerufen am 12.8.2023


Korrespondenzadresse
PD Dr. Thorsten Langer

Universitätsklinikum Freiburg
Klinik für Neuropädiatrie und Muskelerkrankungen
Mathildenstraße 1, 79106 Freiburg
E-Mail: thorsten.langer@uniklinik-freiburg.de

Interessenkonflikt
Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Beitrag besteht.

Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2023; 94 (6) Seite 422-425