Jedes Jahr erkranken in Deutschland mehr als 3.000 Kinder und Jugendliche neu an einem Typ-1-Diabetes. Dessen Folgen werden häufig massiv unterschätzt: So geben nach Diagnosestellung 15 % der Mütter ihre Berufstätigkeit auf, 12 % reduzieren diese und 46 % der betroffenen Familien erleiden spürbare finanzielle Einbußen.

Auf diese gravierenden Folgen des Typ-1-Diabetes in Kindesalter hat Prof. Dr. med. Andreas Neu, Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und Kommissarischer Ärztlicher Direktor an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Tübingen, bei der DDG-Jahrespressekonferenz hingewiesen.

Unterschätzt wird zudem auch, dass die Diabetesmanifesta­tion im Kindes- und Jugendalter mit einer erheblichen Stoffwechselentgleisung (Ketoazidose) einhergeht und potenziell lebensgefährlich sein kann. Rund 20 bis 30 % aller Fälle zeigen laut Neu diesen schweren Verlauf. Während der ersten Corona-Wellen sind zudem rund doppelt so viele Ketoazidosen bei Diabetesmanifestation festgestellt worden wie in den Jahren zuvor. Dies lässt sich auf eine ausgedünnte medizinische Versorgung in dieser Zeit zurückführen, weil Sprechstunden abgesagt und Vorsorgen verschoben wurden.

Häufig sind hierfür zu spät erkannte Symptome oder eine verzögerte Vorstellung zum Beispiel bei einem Pädiater verantwortlich. Wichtig ist daher das Erkennen der Symptome für Eltern, Angehörige, Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer und damit für alle, die mit Kindern und Jugendlichen in Kontakt sind.

Dabei lassen sich erste Symptome des Diabetes leicht erkennen: vermehrtes Trinken, vermehrtes Wasserlassen, Gewichtsabnahme und Leistungsknick. Zeigen sich diese Symptome, muss über den niedergelassenen Kinder- und Jugendarzt eine rasche Diagnostik und eine Insulinbehandlung in einer dafür spezialisierten und von der DDG zertifizierten Einrichtung eingeleitet werden. Klingt einfach und plausibel, ist es im Alltag aber offensichtlich doch nicht (siehe Kommentar).

Kommentar:
Es ist gut, dass die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) gemeinsam mit pädiatrischen Fachverbänden eine Kampagne ins Rollen gebracht hat, um die viel zu hohe Zahl der Ketoazidosen als Folge eines Diabetes im Kindesalter deutlich zu reduzieren. Das kann durchaus gelingen. Im Rahmen eines Modellversuchs im Stadtgebiet von Stuttgart konnte die Ketoazidoserate von 28 auf 16 % gesenkt werden! Das war allerdings nur mit einer intensiven Aufklärungskampagne möglich, in die über die Pädiater ­hinaus auch Kindertagesstätten, Kindergärten und Schulen sowie die Öffentlichkeit einbezogen wurden. Was folgt daraus? Das Stuttgarter Aufklärungsmodell sollte bundesweit implementiert werden. Der Aufwand hierfür ist es wert!


Autor
Raimund Schmid


Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2022; 93 (3) Seite 162