Wie eine aktuelle Studie in Großbritannien zeigt, hat sich die Zahl der Verordnungen für Antipsychotika im Zeitraum von 2000 bis 2019 nahezu verdoppelt. Dies geht aus den Ergebnissen einer großangelegten Erhebung vor, die auf der Insel über einen Zeitraum von 20 Jahren vorgenommen worden ist.

Antipsychotika werden bei Kindern und Jugendlichen eingesetzt, die an Schizophrenie erkrankt sind oder Impulskontrollstörungen, wie aggressives und impulsives Verhalten oder Wutausbrüche, aufweisen. Antipsychotika werden aber auch häufig im „off label use“ bei psychischen Störungen zum Beispiel Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätssyndrom [ADHS], Angststörungen, Autismus, Ess-Störungen, Tic-Störungen verordnet, für die sie eigentlich keine Indikation haben.

Dr. Maja Radojčić von der Universität in Manchester hat mit ihrem Team für diese Studie Daten der „Clinical Practice Research Datalink (CPRD) Aurum database“ analysiert. Das Forschungsteam wertete für die Studie die Daten von Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden aus, die zwischen Anfang 2000 und Ende 2019 im Alter zwischen 3 und 18 Jahren in der Datenbank registriert waren. Insgesamt wurden die Daten von 7.216.791 Kindern und Jugendlichen (48.2 % Mädchen, 51.8 % Jungen), die durchschnittlich 4.1 Jahre in der Datenbank geführt wurden, ausgewertet. Antipsychotika für Kinder und Minderjährige werden in Großbritannien in der Regel zuerst von Fachärzten verschrieben und dann von Hausärzten fortgeführt, was zu entsprechenden Einträgen im CPRD führt.

Die Forscher kamen zu folgenden Ergebnissen:

Für 19.496 Kinder und Jugendliche (0,3 %) wurden über einen Zeitraum von 20 Jahren 243.529 Verordnungen für Antipsychotika ausgestellt. Insgesamt wurden 26 verschiedene Verordnungen ausgestellt, vor allem Risperidon (61 %), Aripiprazol (14 %), Quetiapin (10 %) und Olanzapin (7 %). Bei 92,7 % handelte es sich um atypische und nur bei 7,3 % typische Verordnungen.

Am häufigsten werden Antipsychotika gegen Autismus-Erkrankungen (13 % aller Verordnungen), Psychosen (9 %), Angststörungen (8 %), ADHS (7 %) und Depressionen (6 %) verschrieben. Für knapp ein Drittel aller Verordnungen lag keine eindeutige Diagnose vor. Bei Mädchen waren es vor allem Angst- und Essstörungen, bei Jungen ADHS, Tics und Störungen des Sozialverhaltens. Jungen erhalten doppelt so häufig Antipsychotika wie Mädchen, Mädchen haben zuletzt aber deutlich aufgeholt. Jugendliche im Alter von 15-18 Jahre bekamen häufiger eine Verordnung als jüngere Kinder verschrieben. Bei Minderjährigen kamen tendenziell häufiger Antipsychotika zum Einsatz, wenn sie aus sozial schwachen Familien stammten. Die Unterschiede sind zuletzt aber deutlich zurückgegangen.

Im Jahr 2000 erhielten 0,057 % aller registrierten Minderjährigen ein solches Mittel, im Jahr 2019 waren es mit 0,11 % fast doppelt so viele. Am stärksten war der Anstieg in den Jahren 2005 bis 2010. Ein Teil der steigenden Prävalenz lässt sich auf eine länger dauernde Behandlung mit den Medikamenten zurückführen: Im Jahr 2000 erhielten sechs Monate nach der Erstverschreibung noch 42 % ein Antipsychotikum, 2019 waren es bereits 63 %.

Zwischen 2017 und 2019 sank die Verordnungsprävalenz allerdings wieder. Zurück gegangen ist auch die Anzahl der Erstverschreibungen: Im Jahr 2000 erhielten 3,8 von 10.000 Kindern und Jugendlichen eine Verordnung für ein Antipsychotikum (0,038 %), 2016 lag die Anzahl der Erstverschreibungen bei 0,056 % und ging bis 2019 auf 0,048 % zurück.

Insgesamt sehen die britischen Wissenschaftler die Verordnung der Antipsychotika allerdings mit Besorgnis, da die Wirkung und die Nebenwirkungen dieser Medikamente auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen noch nicht ausreichend untersucht sind.

Katharina Maidhof-Schmid


Quelle: Maja R Radojčić et al., Trends in antipsychotic prescribing to children and adolescents in England: cohort study using, 2000–19 primary care data, The Lancet Psychiatry (2023).