Eltern sollte ein deutlich höherer Stellenwert eingeräumt werden, empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (DGSPJ) bezüglich der Impf-Priorisierung.

Zu Beginn des Jahres sind die Impfaktionen mit den zugelassenen und bis dahin verfügbaren Impfstoffen gegen den SARS-CoV-2-Virus gestartet. Auf dem Boden der Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) wurden in der Impfverordnung des Bundes Prioritäten festgelegt. Derzeit erweist es sich als möglich, die Reihenfolge durch entsprechende Anpassung der Rechtsverordnung zugunsten von Erziehern und Lehrern zu modifizieren. Bei einer hinreichenden Verfügbarkeit von Seren empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (DGSPJ) daher, Eltern von Kindern und Jugendlichen bei der Priorisierung einen besonderen Stellenwert einzuräumen. Für den weitaus größten Teil käme eine Impfung aufgrund des Alters in der Gesamtabfolge erst sehr spät in Betracht; insbesondere für die Impfung junger Kinder steht noch lange keine Impfstoffzulassung in Aussicht.

Es steht außer Frage, dass Menschen, die im Bereich der medizinischen und pflegerischen Versorgung sowie Aufrechterhaltung öffentlicher Sicherheit und Ordnung eingesetzt sind, prioritär durch Impfung gegen COVID-19 geschützt werden müssen. Gleiches gilt für Menschen mit relevanten chronischen Erkrankungen, die einen schweren Krankheitsverlauf im Falle einer Infektion befürchten lassen. Diese Zuordnung sollte unabhängig vom Lebensalter und orientiert am Krankheitsbild erfolgen. Sekundär würde dadurch eine geringere Belastung des Gesundheitssystems durch diesen Personenkreis zu erwarten sein.

An der nächsten Stelle der Prioritätenliste stehen bei den Überlegungen, "betagte und vulnerable Menschen". Ein Großteil dieser Bevölkerungsgruppe wäre ohnehin schon vorher erfasst durch das Kriterium "chronische Erkrankung", allein Bluthochdruck als relevante Vorerkrankung liegt bei mehr als der Hälfte der über 65-Jährigen vor (laut telef. RKI-Gesundheitssurvey 06 sind 53 % der männlichen, 57 % der weiblichen Befragten von ärztlich diagnostiziertem Bluthochdruck betroffen).

Nicht relevant vorerkrankte Menschen können sich durch Kontaktbeschränkung und Einhaltung von Schutzmaßnahmen – ggf. verstärkt z. B. durch FFP2-Masken – selbst wirksam schützen. Aus unserer Sicht ist dies zumutbar.

Alle Anstrengungen der Gesellschaft zielten bislang auf den Schutz vulnerabler Gruppen, das Vermeiden einer Überlastung des Gesundheitsversorgungssystems und das Offenhalten von Schulen und Betreuungseinrichtungen ab. Von der enormen solidarisch erbrachten Leistung profitierten ältere und gesundheitlich beeinträchtigte Menschen am stärksten, die Lasten hingegen werden länger und stärker von den Menschen in der Lebensmitte getragen. Bei den Überlegungen zur Priorisierung sollte dies unseres Erachtens unbedingt Raum einnehmen.

Zudem können sich gerade Eltern nicht vollständig vor Expositionen schützen; sie leben mit Kindern zusammen, die in Kita und Schule eine Vielzahl von Kontakten erleben. Sorgeberechtigte haben in ihrer ureigensten Funktion somit im beruflichen und privaten Bereich eine Vielfalt von "unsicheren" Kontakten, ohne diese bei der Wahrnehmung elterlicher Sorge und Verantwortung in nennenswertem Umfang vermeiden zu können. Umgekehrt: Beim Betroffensein eines Elternteils durch Ansteckung oder Erkrankung sind in der Regel mindestens 2 weitere Umfeldpersonen von Einschränkungen und Belastungen unmittelbar betroffen.

Desgleichen versorgen Eltern in hohem Umfang Angehörige der älteren Generation. Von den 3,4 Mio. amtlich registrierten Pflegebedürftigen in Deutschland (www.statistica.com/de/) werden ca. 2,6 Mio. und damit 76 % zu Hause gepflegt, davon 1,76 Mio. ausschließlich durch Angehörige.

In stationärer Pflege befinden sich "lediglich" 800 000 Menschen. Diese wiederum können effektiv dadurch geschützt werden, dass den Fachkräften in der Altenpflege Impfungen prioritär angeboten werden.

Menschen in der Lebensmitte haben vielfach erhebliche wirtschaftliche Nachteile in Kauf nehmen müssen und werden durch Sorgen um ihre beruflichen und finanziellen Perspektiven geplagt. Dies gilt insbesondere, wenn die Sorge um und die Erziehung von Kindern Bestandteil ihrer Lebensplanung ist. Gleichzeitig können sie sich gerade vor diesem Hintergrund nicht vor allen Expositionen schützen. Viele haben eine "Sandwichposition" zwischen der Generation der Großeltern und den Kindern, gleichzeitig sind sie die notwendigen Erwerbstätigen, die für das ökonomische Wohl aller Generationen sorgen.

Vor diesem Hintergrund empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin, frühzeitig diese Bevölkerungsgruppe der Eltern von Kindern und Jugendlichen bei der Priorisierung der Verteilung von Impfstoffen in den Blick zu nehmen.



Korrespondenzadresse
Dr. med. Ulrike Horacek
c/o Geschäftsstelle Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie u. Jugendmedizin (DGSPJ) e. V.
Chausseestraße 128/129
10115 Berlin

Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2021; 92 (2) Seite 134-135