Diese Misere wurde bei der DGSPJ-Jahrestagung 2016 in Hamburg erneut offenkundig und nochmals mit neuen Daten untermauert. Und es wurden Forderungen gestellt.

Professionelle Dolmetscher sollten bei der Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund in den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung mit aufgenommen und zu einer verbindlichen Regelleistung werden.

Diese Forderung ist bei diversen Veranstaltungen zur transkulturellen Pädiatrie bei der 112. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kinder-und Jugendmedizin (DGKJ) und der 68. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (DGSPJ) in Hamburg erhoben worden. In Kinderkliniken und Sozialpädiatrischen Zentren sei es kaum möglich, kranke oder entwicklungsgestörte Kinder aus Migrationsfamilien adäquat behandeln zu können, wenn keine Dolmetscher zur Verfügung stünden, hieß es übereinstimmend.
In Nordrhein-Westfalen (NRW) beispielsweise könnten die Pädiater nur in der Hälfte aller Kinderkliniken auf solche professionellen Dienste zurückgreifen, berichtete der Pädiater Dr. Thorsten Langer auf dem Hamburger Kongress. Nach den Ergebnissen einer Umfrage, an der sich 38 Kinderkliniken in NRW beteiligt haben, räumten 9 Kliniken sogar ein, bei 26 – 50 % aller Behandlungsfälle mit massiven Sprachbarrieren konfrontiert zu sein.

Der Einbezug professioneller Dolmetscher scheitert aber häufig nicht nur an fehlenden finanziellen Mitteln. Ein noch größeres Problem sei es häufig, dass gar keine Dolmetscher zur Verfügung stünden, berichte Langer weiter. Zudem genüge die Qualität der Dolmetscher zum Teil nicht den hohen Anforderungen. So sei es ein Problem, wenn eine kurdische Familie mit einem türkischen oder arabischen Dolmetscher konfrontiert werde. Hinzu kommt die immense Breite unterschiedlicher Sprachen, da gerade in den arabischen Ländern sehr viele Dialekte gesprochen würden, die auch professionelle Dolmetscher nicht immer beherrschten.

Dr. Harald Lüdicke aus Kerpen berichtete von Erfahrungen aus Sozialpädiatrischen Zentren (SPZs), die ebenfalls aus Ergebnissen einer Umfrage vom März 2016 unter 51 SPZs resultieren. Danach sind dort nur in einem Drittel aller Behandlungen von Kindern mit Migrationshintergrund professionelle Dolmetscher im Einsatz. In zwei Drittel aller Fälle übernehmen Laien (nahe Angehörige oder Verwandte) diese Funktion, was aber in keiner Weise von Dauer sein dürfe.

In 58 % der SPZs, die professionelle Dolmetscher einsetzen, finanzieren die Zentren selbst diese Leistungen. Auf Dauer sei dies ein untragbarer Zustand, kritisierte Lüdicke in Hamburg. 98 % aller SPZs sehen es daher als vordringliche Aufgabe an, diese Dolmetscherdienste künftig regelhaft und einheitlich zu finanzieren. Nur so könne auf Dauer eine qualifizierte Behandlung von Kindern mit Migrationshintergrund erfolgen und nur so könne man den Anforderungen an die Patientensicherheit und den Aufklärungspflichten der Ärzte in vollem Umfang gerecht werden.

Kommentar:
Das Dilemma, das aktueller kaum sein könnte, ist seit langem bekannt. Bei der gesundheitlichen und sozialen Betreuung von Kindern aus Migrationsfamilien mangelt es fast überall im Land an Dolmetschern. Diese Misere wurde bei der DGSPJ-Jahrestagung 2016 in Hamburg erneut offenkundig und nochmals mit neuen Daten untermauert. Analysiert und geredet ist nun aber genug. Die Zeit ist überfällig, dass künftig ­Dolmetscherdienste bundesweit einheitlich und verlässlich finanziert werden. Wie sonst sollen Sozialpädiater gerade traumatisierte Flüchtlingskinder behandeln, wenn sie sich mit ihnen noch nicht einmal in den Grundzügen verständigen können? Die vielfach eingeforderte sprechende Medizin, die gerade bei Kindern mit Migrationsgeschichte unabdingbar ist, kann nicht funktionieren, wenn in den Praxen, Kliniken oder den SPZs Sprachlosigkeit vorherrscht.


Autor
Raimund Schmid


Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2016; 87 (6) Seite 357