Schwimmen lernen ist überlebenswichtig. Auf keinen Fall dürfe der Schwimmunterricht künftig noch einmal längere Zeit ausfallen, appelliert Kinderarzt Dr. Nolte. Er würde die Etablierung einen Wasser-Sicherheits-Checks nach dem Schweizer Vorbild begrüßen.

Im vergangenen heißen Sommer gab es besonders viele Badeunfälle. Einer neuen, vorläufigen DLRG-Statistik zufolge sind allein in den ersten 7 Monaten des Jahres 2022 mindestens 24 Kinder (1 bis 15 Jahre) ertrunken – 6 mehr als im Vorjahreszeitraum. Bei den 6- bis 10-Jährigen stieg die Zahl von 3 auf 9, bei den 11- bis 15-Jährigen von 1 auf 9. Zwar machen Kinder glücklicherweise nur etwa ein Zehntel der Anzahl von Todesfällen bei Erwachsenen aus, dennoch ist Ertrinken eine tragische und so gut wie immer vermeidbare Todesursache, denn auch ein Badeunfall ist kein Zufall. Das gilt auch für die Badesaison in diesem Jahr, die bald wieder beginnt.

Durch die Corona-Maßnahmen wurden die Bäder landesweit geschlossen. Damit ist nicht nur der Schwimmunterricht ausgefallen, es konnten auch weniger Rettungsschwimmer ausgebildet werden. Derzeit ist der Personalmangel im Badebereich besorgniserregend, teilweise werden sogar erneut ganze Bäder geschlossen. So werden die Wartelisten bei den Anbietern von Schwimmkursen immer länger und reichen schon bis ins Jahr 2024. Für die vielen Kinder, die in den vergangenen 2 Jahren nicht schwimmen lernen konnten, keine gute Perspektive. Eltern können und sollen ihren Kindern das Schwimmen ruhig selbst beibringen, das war in früheren Zeiten doch auch möglich. Oft haben vor allem Vorschulkinder mehr Vertrauen zu den eigenen Eltern als zu fremden Schwimmlehrern. Dazu müssen aber die Eltern selbst in der Lage sein, sich im Wasser angstfrei zu bewegen und sicher schwimmen zu können.

Das "Seepferdchen" allein ist noch kein Beleg für sicheres Schwimmen. Für den akzidentellen Sturz ins Wasser hat die Canadian Lifesaving Society den Wasser-Sicherheits-Check (WSC) unter dem Namen "Swim to Survive®" entwickelt. Die schweizerische Beratungsstelle für Unfallverhütung www.bfu.ch/de hat zusammen mit www.swimsports.ch den Wasser-Sicherheits-Check für die Schweiz angepasst. Wer diesen bestehen will, muss die folgenden Aufgaben nacheinander ohne Pause und ohne Hilfsmittel wie Brille, Schwimmbrille oder Nasenklammer beherrschen:

  • eine Rolle/purzeln vom Rand in tiefes Wasser,
  • sich eine Minute am Ort über Wasser halten,
  • 50 Meter schwimmen und aussteigen.

Diese Anforderungen lassen sich gut begründen. Weil sich bei einem unerwarteten Sturz ins Wasser die Körperlage ändern kann, sollen die Kinder nicht einfach ins Wasser springen, sondern für die erste Aufgabe ins tiefe Wasser "purzeln". Anschließend sollen sie nicht wild drauflos- schwimmen, um sich zu retten, sondern sich erst einmal orientieren. Deshalb müssen sich Kinder nach dem Sturz eine Minute am Ort über Wasser halten können, um sich zu orientieren und nicht etwa in der Aufregung ein für einen Ausstieg ungeeignetes Ziel anzusteuern. Weil sich die meisten Ertrinkungsunfälle in weniger als 15 Meter Entfernung vom rettenden Ufer oder Beckenrand ereignen, haben sie eine gute Reserve, wenn sie 50 Meter am Stück schwimmen können.

Es wäre gut, wenn der Sicherheits-Check auch in Deutschland etabliert werden würde. Auf keinen Fall darf der Schwimmunterricht künftig noch einmal längere Zeit ausfallen. Schwimmen lernen ist überlebenswichtig. Denn es sind in Deutschland schon mehr Kinder ertrunken als an Corona verstorben.


Dr. med. Stephan H. Nolte, Marburg/Lahn


Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2023; 94 (2) Seite 82