"Mein Eindruck ist, dass vor dem militanter werdenden Widerstand der Impfgegnerseite gekuscht wird", schreibt Kinderarzt Markus Landzettel - und beschreibt seine Sicht der Dinge zum Thema Impfpflicht in der COVID-19-Pandemie.

Im ersten Quartal 2022 hat uns die ­COVID-Pandemie immer noch nicht losgelassen. Aktuell ist die Omikron-Variante unterwegs und führt zum steilen Anstieg der Infektionszahlen und krankheitsbedingter Ausfälle. Teile der systemwichtigen Infrastruktur sind wieder einmal vom Kollaps bedroht. Im Gesundheitswesen können notwendige OPs schon wieder nicht stattfinden. Immerhin scheint die aktuelle Variante etwas milder bei den schwerwiegenden Verläufen zu sein, da der Infektionsort eher im Nasen-Rachen-Raum statt im unteren Atemtrakt zu liegen scheint. Benötigen wir dennoch eine Impfpflicht für bestimmte Altersgruppen?

Virologen mahnen zur Vorsicht! Nach der Pandemie sei vor der Pandemie. Niemand weiß, ob bei einer zu raschen Durchseuchung es nicht doch wieder die eine Variante geben wird, die uns wieder mehr Probleme bereiten wird.

Es ist also kein Argument, eine Impfpflicht mit Hinweis auf eine sich ändernde Faktenlage abzulehnen. Entschlösse man sich doch irgendwann dazu, käme die Impfpflicht allerdings wegen der langsamen Umsetzung wohl genauso spät wie eine Streupflicht gegen Glatteis im Hochsommer.

Aber auch die Forderung, noch weitere Angebote zu machen und Überzeugungsarbeit zu leisten, wird nichts bewirken. Zudem ist dies eine Verhöhnung der unermüdlichen Arbeit aller Impfkampagnen, der Arztpraxen und der bereits vielerorts umgesetzten pfiffigen Aktionen der Kommunen und Landkreise. Andere europäische Orte – wie Bergamo – haben unter dem katastrophalen Verlauf der ersten Welle eine höhere Impfbereitschaft. Querdenkende Impfverweigerer findet man dort vergeblich. Andere Länder, zum Beispiel Dänemark und Portugal, haben ein wesentlich besseres Vertrauen in das Gesundheitswesen und nehmen die Impfaufrufe auch als persönliche Verpflichtung wahr, sich impfen zu lassen.

Der Hinweis, dass eine allgemeine Impfpflicht zu einem anhaltenden Impfschutz führen müsse, greift allerdings ins Leere. Die Impfpflicht kann nicht für nur eine konkrete Variante gelten. Das wäre absolut sinnlos. Inhaltlich muss gewährleistet sein, dass bei neuen epidemiologischen Erkenntnissen unter Umständen Auffrischimpfungen verpflichtend würden. Gerade darin liegt der besondere Vorteil der neuartigen mRNA­-Impfstoffe, hier zeitnah Anpassungen vorzunehmen und wirksame Impfstoffe bereitzustellen.

Bleibt also der juristische Entscheidungsspielraum zwischen der Verhältnismäßigkeit der Impfpflicht als Maßnahme zum Erreichen des legitimen Ziels gegenüber der gesetzlich garantierten körperlichen Unversehrtheit. Beim Impfen liegt eindeutig kein Verstoß gegen die Garantie der Menschenwürde vor. Aber auch die Entscheidung, keine Impfpflicht einzuführen, muss ethisch ausreichend begründet sein. Die Studienergebnisse zeigen aber, dass die Impfungen mehr nützen als schaden und Nicht-Impfen mehr schadet als nützt.

Mein Eindruck ist, dass vor dem militanter werdenden Widerstand der Impfgegnerseite gekuscht wird. Wegen der zunehmend üblen Bedrohungen in den Restaurants, Bars und Geschäften bei Kontrolle der 2G-Maßnahmen sind bereits wieder Lockerungen erfolgt. Es wird die notwendige Einführung einer konsequenten Umsetzung mit Bußgeld und Strafverfolgung gescheut.

Bei allem Hin und Her: Für die Praxis bleibt in jedem Fall eine Erkenntnis konstant: die Verpflichtung, die eigene Ethik als Kinder- und Jugendarzt zu wahren, und die Erkenntnis, dass das Impfen ein wichtiger Beitrag zur Überwindung der Pandemie ist.

Und wie denken Sie darüber?
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Dr. med. Markus Landzettel, Darmstadt


Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2022; 93 (2) Seite 74