Eklatanter Bruch ethischer Normen in der Kinder- und ­Jugend­medizin – Mitteilung zu einer Stellungnahme der ­Ethikkommission der DAKJ.

Mit Unterzeichnung der UN-Kinderrechtskonvention hat sich Deutschland dem übergeordneten Grundsatz verpflichtet, für Kinder und Jugendliche das Höchstmaß an Gesundheit anzustreben. "In der Praxis ist dies aber nicht viel mehr als ein Lippenbekenntnis", kritisiert Prof. Dr. Hans-Iko Huppertz, Generalsekretär der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin (DAKJ), Dachverband der kinder- und jugendmedizinischen Gesellschaften, und verweist insbesondere auf die weitgehende Ignoranz der Interessen von Kindern und Jugendlichen durch die Politik.

"Kinder werden in Deutschland nach wie vor nur als kleine Randgruppe der Gesellschaft wahrgenommen, statt in ihnen die Zukunft des Landes zu sehen", kritisiert Huppertz. Das zeigt sich nicht zuletzt auch darin, wie die große Koalition die historische Chance vertan hat, die Rechte von Kindern im Grundgesetz zu verankern. "Von einer kinderorientierten Gesellschaft ist Deutschland erschreckend weit entfernt", pflichtet Dr. med. Christoph Kupferschmid, Sprecher der Ethikkommission der DAKJ, bei. Gegen den Grundsatz der UN-Kinderrechtskonvention, das Wohl der Kinder vorrangig zu berücksichtigen, werde im deutschen Gesundheitswesen fortlaufend verstoßen.

Kinder unterliegen vom Neugeborenen bis zum jungen Erwachsenen fortlaufenden Entwicklungen und seien daher wesentlich verletzlicher als Erwachsene. Diese große Vulnerabilität erfordere ein mit hohem Zeitaufwand verbundenes besonderes ärztliches und pflegerisches Empfinden und Handeln, das jedoch zum Beispiel in den pädiatrischen Fallpauschalen zur Vergütung stationärer Leistungen keine Berücksichtigung findet. Dagegen würden Kinder wegen Personalmangels, starkem Leistungs- und Zeitdruck sowie einer wachsenden Arbeitslast in der pflegerisch- medizinischen Versorgung und unsinniger Dokumentation zu Abrechnungszwecken einer zunehmenden Gefährdung ausgesetzt. "Zu wenig Zeit für die Aufgaben Behandlung und Prävention, eklatante Engpässe in der ambulanten und stationären Versorgung mit gefährdenden Transporten schwerkranker Kinder und Bettenmangel schaden Kindern und ihren Familien unmittelbar!", betont Huppertz. Hier sei ein Umdenken in Politik und Gesellschaft unabdingbar.

Dabei müssten insbesondere die folgenden 3 Forderungen von der neuen Bundesregierung aufgegriffen werden, um die bereits vorhandenen medizinethischen Normen und bestehenden gesetzlichen Bestimmungen erfüllen zu können:
  • Vorrang für die speziellen Belange von Kindern und Jugendlichen bei allen Maßnahmen, die zur Gesundheitsvorsorge, im öffentlichen Leben und Bildungsbereich getroffen werden.
  • Sicherstellung des Betriebes von Kliniken für Kinder- und Jugendmedizin durch die Beseitigung der Unterfinanzierung und neue Finanzierungsmodelle.
  • Steigerung und kein weiterer Abbau der Ausbildungsplätze für Gesundheits- und Kinderkrankenpflege.

Weitere Informationen in der vollständigen Stellungnahme unter: www.dakj.de

Literatur
Literaturliste beim Verfasser erhältlich


Korrespondenzadresse
Prof. Dr. med. Hans-Iko Huppertz
Generalsekretär
Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin e. V.

Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2021; 92 (6) Seite 434