Selten wurde durch eine gesetzliche Nachbesserung ein Leistungsbereich so nachhaltig verbessert wie die Kinder- und Jugendrehabilitation durch das Flexirentengesetz. Was hat sich verändert?

Die "Kinderärztliche Praxis" berichtete in Ausgabe 1/2018 über die gesetzlichen Änderungen der Kinder- und Jugendrehabilitation im Rahmen des Flexirentengesetzes vom Dezember 2016. Jetzt zeigt sich, dass die hohen Erwartungen tatsächlich erfüllt wurden. Selten wurde durch eine gesetzliche Nachbesserung ein Leistungsbereich so nachhaltig verbessert wie die Kinder- und Jugendrehabilitation durch das Flexirentengesetz.

Ziel des Gesetzes war es, die Kinder- und Jugendrehabilitation besser von anderen Leistungen – wie zum Beispiel der Mutter/Vater-Kind-Maßnahme – abzugrenzen, den Zugang zu verbessern und neue Leistungen zu ermöglichen. Die Kinder- und Jugendrehabilitation wurde eine Pflichtleistung der Deutschen Rentenversicherung, die Familienorientierung wurde gestärkt, Indikationsbeschränkungen und Ausgabenbegrenzungen wurden aufgehoben und die Vierjahreswiederholungsfrist findet seither keine Anwendung mehr. Mit der ambulanten Kinder- und Jugendrehabilitation und der Nachsorge sind sogar neue Leistungen eingeführt worden.

Boom in der Kinder- und Jugendrehabilitation

Bis 2016 gingen die Anträge zur stationären Kinder- und Jugendrehabilitation aus unterschiedlichen Gründen, wie der unklaren Leistungsträgerzuständigkeit oder der Ablehnung einer Begleitperson bei älteren Kindern, kontinuierlich zurück. Mit Inkrafttreten des Gesetzes änderte sich die Situation postwendend. Die Anträge, Bewilligungen und durchgeführten Maßnahmen der Kinder- und Jugendrehabilitation durch die Deutsche Rentenversicherung nahmen kontinuierlich zu. So stiegen die Bewilligungen 2017 um 7,5 %, 2018 um 5,8 % und 2019 um 2,3 %, insgesamt in 3 Jahren um 16,3 %. 2019 bewilligte die Deutsche Rentenversicherung 40.499 Maßnahmen, 33.421 wurden 2019 abgeschlossen, das ist die höchste Zahl seit 2010 (Abb. 1).

Die Abgrenzung der unterschiedlichen Leistungen hat sich ebenfalls nachweislich verbessert. Bis 2016 wurden bei der Rentenversicherung teilweise auch Anträge auf Mutter/Vater-Kind-Maßnahmen oder Kuranträge bei Infektanfälligkeit gestellt. Dies führte zu Ablehnungsquoten zwischen 15 und 20 %. Seit der gesetzlichen Klarstellung werden die meisten Anträge bewilligt, die Ablehnungsquote sank auf unter 10 %.

Reha – über die Hälfte aller Kinder wird begleitet

Die größte Veränderung entstand bei der Mitaufnahme eines Elternteils während der gesamten Rehabilitation. Bei Kindern bis zum 12. Geburtstag wird grundsätzlich eine Begleitperson bewilligt und bei älteren Kindern dann, wenn ohne eine Begleitung die Reha nicht durchgeführt werden kann. Der Anteil der begleiteten Kinder stieg von 2016 bis 2019 um 36 %. Von den durchgeführten Maßnahmen 2019 waren 19.136 (57 %) begleitet und 14.285 (43 %) unbegleitet (Abb. 2). 2016 betrug das Verhältnis noch 47 % zu 53 %. Vor 5 Jahren, 2014, wurden erst 34 % aller Kinder und Jugendlichen begleitet.

Diese starke Zunahme der Begleitpersonen innerhalb weniger Jahre stellt die Rehakliniken vor große Herausforderungen. Die Kliniken müssen baulich investieren, um mehr Appartements für die gemeinsame Unterbringung zu schaffen. Und die Konzepte der Familienorientierung müssen weiterentwickelt werden. Derzeit ist die Deutsche Rentenversicherung Bund dabei, gemeinsam mit den Vertretern der Kliniken ein Eckpunktepapier "Begleitpersonen" zu entwickeln.

Eine besondere Form der Familienorientierung stellt die familienorientierte Rehabilitation (FOR) dar. Vier Kliniken bieten eine FOR bei schweren Erkrankungen wie bei Neubildungen, Herzerkrankungen oder Mukoviszidose an. Sie nehmen dabei die ganze Familie auf und haben 2019 rund 1.700 Familien mit etwa 5.000 Familienangehörigen rehabilitiert. Da die FOR durch das Flexirentengesetz gestärkt wurde, bieten mittelweile auch weitere Kliniken diese Rehabilitationsform an.

Mehr ambulante Reha und mehr Nachsorge

Das Flexirentengesetz ermöglicht als neue Leistungen eine ambulante Kinder- und Jugendrehabilitation und eine Nachsorge. Für beide Formen hat die Deutsche Rentenversicherung Eckpunktepapiere entwickelt. Die meisten Rehakliniken für Kinder und Jugendliche bieten nun für ihre Region mit der ganztägig ambulanten Rehabilitation eine Sonderform der ambulanten Reha an. In Köln und Cottbus gibt es Zentren, die eine ambulante Kinder und Jugendrehabilitation anbieten, weitere Zentren sind mit der Deutschen Rentenversicherung zur Zulassung im Gespräch. 2019 konnten die ersten 233 ambulanten Reha-Maßnahmen durchgeführt werden.

Ausgaben schnellen in die Höhe

In den Ausgaben, die die Deutsche Rentenversicherung für die Kinder- und Jugendrehabilitation veröffentlicht, sind die Kosten der Rehabilitationen, die Reisekosten, die Kosten der mitaufgenommenen Begleitpersonen und Begleitkinder sowie die Aufwendungen für die Erstattung des Verdienstausfalls der Begleitpersonen enthalten. Bis 2016 bewegten sich die Ausgaben pro Jahr um 175 Mio. Euro. Mit dem Boom durch das Flexirentengesetz sind die Ausgaben sprunghaft kontinuierlich angestiegen: Von 174 Mio. im Jahr 2016 auf 189 Mio. im Jahr 2017 und 205 Mio. in 2018 bis auf 221 Mio. in 2019. Das entspricht einer Steigerung von 27 % in den letzten 3 Jahren. Bei den Gesamtausgaben der Deutschen Rentenversicherung für die Rehabilitation macht das allerdings nur 3,2 % aus.

Psychische und Atemwegserkrankungen im Fokus

Die gesundheitliche Entwicklung der Kinder und Jugendlichen der letzten Jahre und die Steigerung der durchgeführten Rehabilitationsmaßnahmen haben auch zu Veränderungen bei den Diagnosen geführt. Die Zunahme der Bewilligungen seit 2016 hat vor allem zu einer vermehrten Antragstellung bei psychischen und Verhaltensstörungen geführt. 2019 wurden 9.336 Maßnahmen bei psychischen und Verhaltensstörungen durchgeführt, das sind 27 % mehr als vor 3 Jahren. Diese Diagnosegruppe macht nun 28 % aller Maßnahmen aus und ist damit die führende in der Kinder- und Jugendrehabilitation.

Es folgen die Atemwegserkrankungen mit 7.675 Maßnahmen und einem Anteil von 23 %, Adipositas mit 5.099 Maßnahmen und einem Anteil von 15,3 %, orthopädische Erkrankungen mit 3.014 Maßnahmen und einem Anteil von 9 %, Hauterkrankungen mit 2.057 Maßnahmen und einem Anteil von 8,5 %, Diabetes mit 809 Maßnahmen und einem Anteil von 2,4 %, Neubildungen mit 744 Maßnahmen und einem Anteil von 2,2 % sowie neuropädiatrische Erkrankungen mit 741 Maßnahmen und einem Anteil von ebenfalls 2,2 %. Die weiteren Maßnahmen verteilen sich auf andere Diagnosen.

Für die gesetzlichen Krankenkassen (GKV) meldet das Bundesministerium für Gesundheit für 2019 1.352 Maßnahmen der stationären Vorsorge und 10.357 Maßnahmen der Rehabilitation bei Kindern und Jugendlichen bis 20 Jahren. 2.428 Maßnahmen betrafen die Psychosomatik, 1.062 die Neuropädiatrie, 836 die Orthopädie, 531 die Sucht und 422 Neubildungen. Die weiteren Maßnahmen betreffen "andere".

Die Zunahme der Anträge und Bewilligungen (plus 6 %) zur Kinder- und Jugendrehabilitation ging auch im Januar und Februar 2020 weiter. Mit Beginn der Pandemie in Deutschland gingen die Anträge im März 2020 allerdings um 17 % und im April um 54 % zurück. Ab Mai wurden Monat für Monat rund 30 % weniger Anträge gestellt. Seit September 2020 gingen allerdings wieder mehr Anträge ein.

Antragstellung: So einfach geht es

Ein wesentliches Anliegen des Flexirentengesetzes war es, für mehr Klarheit bei den Angeboten zu sorgen und den Zugang zu vereinfachen. Die Rehabilitation von Kindern und Jugendlichen ist jetzt eine Pflichtleistung sowohl der gesetzlichen Krankenversicherung als auch der gesetzlichen Rentenversicherung. Eine Beschränkung auf bestimmte Diagnosen gibt es nicht mehr. Bei Mutter/Vater-Kind-Maßnahmen ist ausschließlich die Krankenversicherung zuständig, ebenso bei schwer behinderten Kindern und Jugendlichen, die voraussichtlich niemals im allgemeinen Arbeitsmarkt tätig werden können. Kranken- und Rentenversicherung sind gleichrangig zuständig. Da die Deutsche Rentenversicherung mit ihrer Orientierung auf das Erreichen der Schul-, Ausbildungs- und Erwerbsfähigkeit eine weitergehende Rehabilitationsvorstellung hat, empfiehlt es sich, den Antrag bei der Deutschen Rentenversicherung zu stellen, vorausgesetzt es besteht ein Versicherungsverhältnis.

Anträge

Sind beide Elternteile gesetzlich rentenversichert, können sie auswählen, aus wessen Versicherung sie den Antrag stellen. Dabei spielt es keine Rolle, über wen das Kind krankenversichert ist. Der zuständige Rentenversicherungsträger sowie die Versicherungsnummer sind der Renteninformation zu entnehmen. Die Eltern füllen den Antrag aus, ein Arzt oder Psychotherapeut den Befundbericht sowie den Honorarantrag. Bei der Antragstellung über die Krankenkasse füllt ein Arzt das sogenannte Formular 61 aus.

Wird der Antrag über die Beihilfe gestellt, ist die Reha-Maßnahme mit einem ärztlichen Attest zu begründen. Mit der Bewilligung der Beihilfe wenden sich die Eltern an die PKV und klären, ob der PKV-Anteil übernommen wird. Sind die Eltern komplett privat krankenversichert, ist eine Klärung dort notwendig.

Voraussetzung: Diagnose und eine Teilhabeinschränkung

Kinder und Jugendliche erhalten eine Rehabilitation, wenn sie mit ihren gesundheitlichen und persönlichen Problemen im Alltag nicht zurechtkommen. Das bedeutet, dass eine Erkrankung vorliegen muss, die sich einschränkend auf die persönliche Entwicklung, auf den familiären Alltag, auf die sozialen Kontakte oder die schulischen Leistungen auswirkt. Gesundheitsprobleme nach ICD-10 (Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten), bei denen eine Rehabilitation möglich ist, zeigt die Tabelle. Die Liste ist nicht abschließend, auch andere Erkrankungen kommen in Frage, wenn hier eine Rehabilitation sinnvoll und notwendig ist.

Alle Informationen zur Kinder- und Jugendreha sind auf der Bündnis-Homepage www.kinder-und-jugendreha-im-netz.de zu finden. Die Website präsentiert detailliert alle Kliniken, stellt auf der Startseite die Reha-Anträge zur Verfügung und informiert über alle Fragen zur Kinder- und Jugendreha. Mailanfragen werden beantwortet und Flyer können angefordert werden. Das Bündnis berät Ärzte, Therapeuten und Familien.



Korrespondenzadresse
Alwin Baumann
Bündnis Kinder- und Jugendreha e. V. (BKJR)

Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2021; 92 (4) Seite 114-118