Leserbrief zum Beitrag "Die heutige Kinderwunschmedizin vor der Frage des Kindeswohls" von Prof. Dr. Hartmut Kreß, Kinderärztliche Praxis 88 (2017) Nr. 3, S. 157 – 163.

"Endlich Problematik der Reproduktionsmedizin thematisiert"

Endlich wird in diesem Heft 3/2017 die brennende Problematik der Reproduktionsmedizin aufgegriffen. Herr Professor Kreß schildert das Beispiel, dass ein lesbisches Paar mit Hilfe einer Samenspende zu einem Kind gelangen könnte, das dann bei ihm aufwächst. Aber er vermeidet eine Wertung, ob dies dem Kindeswohl dient.

Die Reproduktionsmedizin wirft derart unlösbare Probleme auf, denen man meiner Meinung nach allein mit dem Ruf nach Regelungen in der Rechtspolitik nicht beikommen kann.

Dahinter steckt ein tiefgreifendes Gesellschaftsproblem, dem wir uns als Kinderärzte und Anwälte der Kinder stellen müssen. Alle gesellschaftlichen Kräfte in Religion, Moral und Politik sind herausgefordert, die Rechte der Kinder und ihrer Eltern zu stärken.

In diesen Tagen hat unser amtierender Justizminister einen "unausweichlichen" Lösungsvorschlag" prophezeit: Die Ehe für alle würde in der nächsten Legislaturperiode kommen.

Bedeutet das nicht, dass dann der Kinderwunsch von gleichgeschlechtlichen Paaren genauso legitim ist, wie der von einem Paar aus Mann und Frau?

Wo bleibt der Aufschrei? Seit langem vermisse ich schmerzlich eine offene Debatte in unseren Fachgesellschaften und Verbandszeitschriften über die um sich greifende Genderideologie, die unseren Kindern die höchst umstrittene Sexualpädagogik der Vielfalt zumutet. Politik kann nicht leisten, was Aufgabe der Eltern für ihre Kinder ist: ihre Kinder zu liebesfähigen Menschen zu erziehen. Um es kurz auszudrücken: Unsere Kinder "fit for love" zu machen und nicht einfach nur "fit for fun".

Ich würde mich freuen, von vielen Kollegen zu hören, dass sie meine Sorgen teilen.

Dr. med. Dorothea Asensio
Kinder- und Jugendärztin
Bürgermeister-Ettl-Straße 27, 92431 Neunburg v. W.


Hier geht es zum Originalartikel "Die heutige Kinderwunschmedizin vor der Frage des Kindeswohls" .


Antwort des Autors

Frau Dr. Asensio spricht konkret die reproduktionsmedizinische Unterstützung lesbischer Paare an. Ich halte eine solche Unterstützung für ethisch akzeptabel. Wenn man sich die Studien ansieht, die über das Aufwachsen von Kindern in lesbischen Partnerschaften vorliegen, ist aus Gründen des Kindeswohls gegen solches fortpflanzungsmedizinisches Handeln kein Einwand zu erheben. Wichtig ist allerdings, dass der Samenspender nicht anonym bleibt. Anonymität würde gegen das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner genetischen Herkunft verstoßen.

Grundsätzlich hat sich das Verständnis von Ehe, Partnerschaft, Familie in unserer Gesellschaft sehr stark verändert. Mir scheint, dieser Wandel ist keineswegs zu bedauern; im Gegenteil. Dies gilt erst recht, wenn man sich z. B. daran erinnert, dass noch vor wenigen Jahrzehnten der Mann in Ehe und Familie das Letztentscheidungsrecht besaß. Die sogenannte Hausfrauenehe wurde gesetzlich erst 1977 abgeschafft. Heute wird der Begriff der Familie nicht mehr über das männliche Familienoberhaupt, sondern vom Kind her definiert. Hiermit gelangt das Leitbild des Kindeswohls zum Zuge. Ethisch ist dies ein großer Fortschritt.

Mit einem bestimmten kritischen Akzent hat Frau Dr. Asensio recht: Einzelne Angebote derzeitiger Reproduktionsmedizin sind kritisch zu beurteilen. Ein Extrembeispiel stellt die kommerzielle Leihmutterschaft dar. Aber es ist z. B. auch an das "social freezing" zu denken. Sofern eine über 40-Jährige ihre Eizellen einfrieren lässt, um diese später befruchten zu lassen und als 60-Jährige schwanger zu werden, gefährdet sie das erhoffte Kind schon allein physisch – von allem anderen abgesehen. Gegenwärtig schlägt das Recht auf Selbstbestimmung, das Frauen und Paare mit Kinderwunsch besitzen, manchmal dahingehend um, dass sie unbedingt nur ihren Lebensplan verwirklichen möchten. Das Kind wird dann zum bloßen Mittel zum Zweck. Es ist zu bedauern, wenn Reproduktionsmediziner in solchen Fällen tätig werden. Hierzu sollte in der Tat eine kritische Diskussion in Gang kommen.

Prof. Dr. Hartmut Kreß
Universität Bonn
Evang.-Theol. Fakultät, Abt. Sozialethik
Am Hof 1,53113 Bonn

Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2017; 88 (4) Seite 224