Dr. Rainer Hess, der langjährige Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), kritisierte im Rahmen seines Vortrags auf dem Kongress für Kinder- und Jugendmedizin in Leipzig die einseitige Förderung der Allgemeinmedizin in ländlichen Regionen.

Die Kinder- und Jugendmedizin ist hierzulande zwar sehr etabliert, muss aber immer wieder im Vergleich zur Allgemeinmedizin um die gleichberechtigte Förderung des Faches kämpfen. Jüngstes Beispiel hierfür ist nach Ansicht von Dr. jur. Rainer Hess das Ringen um eine Landarztquote, bei der die Pädiatrie eindeutig benachteiligt werde.

Diese Kritik hat Hess bei seinem Festvortrag anlässlich der Eröffnung des Kongresses für Kinder- Jugendmedizin aller großen wissenschaftlichen pädiatrischen Fachgesellschaften in Leipzig geäußert, an dem im September über 2.000 Pädiater, Kinderchirurgen und Kinderkrankenschwestern teilnahmen.

Im Rahmen seines Vortrages zum Thema "Auswirkungen der Koalitionsvereinbarungen auf die Kinder- und Jugendmedizin" kritisierte der langjährige Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) die einseitige finanzielle und strukturelle Förderung der Allgemeinmedizin in ländlichen Regionen. Da der Allgemeinarzt den Pädiater nicht ersetzen könne, müssten in der Fläche so viele pädiatrische Weiterbildungsstellen geschaffen und auch – genauso wie in der Allgemeinmedizin – finanziert werden, damit künftig in strukturschwachen Gebieten beide Fachgruppen ausreichend vertreten sein können.

Überhaupt muss laut Hess die pädiatrische Versorgung "erheblich ausgebaut" werden, da sich das Leben der Kinder stark verändert habe und darauf neue Antworten gefunden werden müssten. Als Bespiel nannte er die neuen Morbiditäten, die zu einer Zunahme von Verhaltensstörungen führen, das Cybermobbing und den "dramatischen Anstieg" der Adipositas bei Kindern und Jugendlichen.

Hierfür müsse aber auch die Evidenz in der Pädiatrie verbessert werden. Aufgrund unzureichender Studiendaten, etwa bei der medikamentösen Versorgung, sei der Off-Label-Use derart hoch, dass hier dringender politischer Handlungsbedarf bestehe, um die Pädiater rechtlich abzusichern und die häufig verängstigten Eltern zu beruhigen.

Als ersten Schritt in eine positive Richtung sieht Hess den vor wenigen Tagen von den Pädiatern lange hartnäckig eingeforderten und von der Bundesregierung nun beschlossenen Aufbau eines "Deutschen Zentrums für Kinder- und Jugendgesundheit" an. Dabei müssten aber auch innovative Wege beschritten werden, indem etwa Telemedizinmodelle für die Pädiatrie erforscht und auch praxisorientierte Forschungen für den niedergelassenen Bereich auf den Weg gebracht werden. Die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), Prof. Dr. Ingeborg Krägeloh-Mann, sieht das neue Forschungszentrum als große Chance für den pädiatrischen Nachwuchs in der DGKJ. Hier bestehe großer Nachholbedarf, da ein Viertel der über 16.000 Mitglieder jünger als 35 Jahre und die Hälfte jünger als 45 Jahre sind.



Autor
Raimund Schmid


Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2018; 89 (6) Seite 378