Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) hat beim 24. Kongress für Jugendmedizin massiv die "kritiklose Förderung der Digitalisierung in Kitas und Schulen" durch die Industrie und jüngst auch durch die neue Bundesregierung angeprangert.

Der BVKJ kündigte an, künftig den Eltern bei Vorsorgeuntersuchungen praktische Tipps zum achtsamen Mediengebrauch mit auf den Weg zu geben.

Etwa 100.000 Jugendliche zwischen 12 und 17 Jahren gelten derzeit als schwerwiegend medienabhängig und pro Jahr kommen weiter 20.000 junge Menschen hinzu. Diese Fakten legte Dr. Hermann-Josef Kahl, Bundespressesprecher im BVKJ, in Weimar zunächst auf den Tisch. 2,6 % aller Teenager in Deutschland sind nach einer repräsentativen Erhebung der DAK "süchtig nach sozialen Medien", ergänzte BVKJ-Präsident Dr. Thomas Fischbach. Angesichts dieser Entwicklung sei es völlig unverständlich, dass Dorothee Bär, die neue Staatsministerin für Digitalisierung, alle deutschen Schulkinder mit einem Tablet ausstatten wolle, da sie das Programmieren im Unterricht für genauso wichtig halte wie das Lesen und Schreiben.

Für solche Aussagen hatten Fischbach und auch der überwiegende Teil der 450 Kongressteilnehmer keinerlei Verständnis. So wurde zum Beispiel die Frage aufgeworfen, ob die neue Digitalisierungsministerin je gehört habe, "wie schlecht es um das Lesen und Schreiben an deutschen Schulen steht"? Dabei seien ja solche Fähigkeiten "basale Kulturtechniken, ohne die niemand programmieren lernen kann."

Zudem würden die gesundheitlichen Folgen einer Medienabhängigkeit von digitalen und sozialen Medien eklatant unterschätzt, berichtete Wolfgang Achenbach, Co-Kongress-Präsident des Jugendmedizinkongresses. Folgen seien unter anderem die Flucht von Jugendlichen aus dem Alltag und der Realität, Schlafmangel, zunehmende Probleme mit der Sehfähigkeit, verspannte Nacken und nicht zuletzt auch massive Konflikte mit den Eltern. In eigenen Erhebungen – der sogenannten BLIKK-Studie – konnte der BVKJ zudem nach Befragung von 6.000 Kindern in 80 Praxen herausfinden, dass bei Kindern im Vorschulalter bereits ab einem Medienkonsum von 30 Minuten pro Tag doppelt so häufig Sprachstörungen und viermal so häufig Konzentrationsstörungen auftreten. Für den Bielefelder Jugendmediziner Dr. Uwe Büsching sind diese Ergebnisse "schlimmer als erwartet."

Es sei daher überfällig gewesen, den Eltern und den Jugendlichen – nach Ansicht des Weimarer Co-Kongresspräsidenten Dr. Burkhard Ruppert die am schlechtesten versorgten Patientengruppe überhaupt – ein Angebot zu unterbreiten. Daher sind in Weimar erstmals pädiatrische Tipps "zum achtsamen Bildschirmgebrauch" vorgestellt worden. Darin wird unter anderem empfohlen, Bildschirme keinesfalls als Erziehungshelfer zu missbrauchen und altersgerechte Grenzen zu ziehen und strikt Zeitlimits festzulegen. Der Weimarer Kinder- und Jugendarzt Dr. Dirk Rühling brachte es klipp und klar auf den Punkt: "Bildschirmfrei bis drei!" (siehe dazu auch die Praxiskolumne "Medienmündigkeit" ) .



Autor
Raimund Schmid


Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2018; 89 (4) Seite 242