Die Zahl der Kindeswohlgefährdungen hat in Deutschland im Jahr 2022 einen erneuten Höchststand erreicht: In den vergangenen 10 Jahren hat sich damit die Zahl der Kindeswohlgefährdungen um 24.000 Fälle oder 63 % erhöht. Diese und weitere Daten lieferte vor Kurzem das Statistische Bundesamt.

Demnach wurden die Jugendämter im vergangenen Jahr bei fast 62.300 Kindern oder Jugendlichen mit einer Kindeswohlgefährdung durch Vernachlässigung, psychische, körperliche oder sexuelle Gewalt konfrontiert. Das waren laut Statistischem Bundesamt noch einmal rund 2.300 Fälle oder 4 % mehr als im Jahr zuvor.

In weiteren 68.900 Fällen kamen die Behörden zu der Einschätzung, dass zwar keine Kindeswohlgefährdung, aber ein begründeter erzieherischer Hilfebedarf vorliegt. Insgesamt mussten die Jugendämter 2022 mehr als 200.000 Hinweismeldungen (203.700) nachgehen.

8 von 10 betroffenen Kinder sind im Vorjahr jünger als 14 Jahre gewesen, fast jedes zweite sogar jünger als 8 Jahre (47 %). Die meisten dieser Minderjährigen wuchsen bei alleinerziehenden Müttern oder Vätern (42 %) oder bei beiden Eltern gemeinsam (38 %) auf. Jedes zehnte Kind lebte bei einem Elternteil in neuer Partnerschaft und etwa 9 % in einem Heim oder bei Verwandten. Besonders fällt auf, dass fast die Hälfte der betroffenen Jungen und Mädchen schon eine Leistung der Kinder- und Jugendhilfe in Anspruch genommen hat und demnach dem Jugendamt bekannt war.

Kommentar:
Die Daten über die Kindeswohlgefährdungen in Deutschland erschüttern jedes Jahr aufs Neue. Dies trifft für alle Formen der Misshandlungen zu – von der Vernachlässigung über psychische und körperliche Misshandlungen bis hin zu sexuellem Missbrauch. Besonders schlimm bei der Bilanz 2022 ist aber die Tatsache, dass 22 % aller Minderjährigen gleich mehrfachen Misshandlungen ausgesetzt waren. 2015 waren es „erst“ 16 %. Für die Pädiaterinnen und Pädiater muss das ein Alarmsignal sein, hellhöriger zu werden. „Wir stellen die Diagnose zu selten“ beklagt Dr. Bernd Herrmann, Oberarzt am Klinikum Kassel und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Kinderschutz in der Medizin zu Recht. Denn nur 6,6 % aller Meldungen kommen aus dem Gesundheitssektor. Da ist wahrlich bei der Anamnese noch viel Luft nach oben!


Autor
© Hartmut Kreutz
Raimund Schmid


Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2023; 94 (6) Seite 384