Exemplarisch werden Patientengruppen mit Epilepsien, dysraphischen Störungen (Spina bifida) oder TSC betrachtet: Sind diese Kinder und Jugendlichen möglicherweise schlechter geimpft als ihre gesunden Altersgenossen? Wenn ja, was führt zu einer Beeinflussung des Impfverhaltens?

Schutzimpfungen gehören zu den wichtigsten und wirksamsten Maßnahmen in der Präventionsmedizin. Insbesondere für Kinder mit einer chronischen Erkrankung ist ein effektiver Impfschutz zur Vermeidung von bakteriellen und viralen Infektionserkrankungen von besonderer Bedeutung.

Impfungen stellen allerdings schon bei Gesunden ein immer wieder kontrovers diskutiertes Thema dar. Die Entscheidung für eine Impfung kann im Speziellen Eltern chronisch erkrankter Kinder schwerfallen, da oft nur begrenzt Daten zur Sicherheit und Effektivität von Impfungen bei Kindern mit einer chronischen Erkrankung vorliegen.

Eine möglichst exakte Kenntnis des Impfstatus auch bei Patientengruppen mit chronischen Erkrankungen ist daher für das Erkennen von Impflücken und die Entwicklung von besseren Impfstrategien unerlässlich. Insbesondere bei Patienten mit neurologischen Erkrankungen bestehen Unsicherheiten zur Durchführung von Standardimpfungen. Diese werden schlichtweg in der akuten Phase der Erkrankung nicht priorisiert, wegen etwaiger, möglicherweise auch falscher Kontraindikationen nicht durchgeführt oder es besteht die Angst vor einer Verschlechterung des Krankheitsverlaufes.

Im Folgenden wird exemplarisch der Impfstatus von drei Patientengruppen mit Epilepsien, dysraphischen Störungen (Spina bifida) oder Tuberöse-Sklerose-Complex-Erkrankung (TSC) dargestellt und die Ergebnisse mit einem gesunden Probandenkollektiv verglichen. Eine zentrale Fragestellung war, ob chronisch-neurologisch erkrankte Kinder und Jugendliche möglicherweise schlechter geimpft sind als ihre gesunden Altersgenossen und ob Ursachen zu identifizieren sind, die zu einer Beeinflussung des Impfverhaltens führen.

Hierzu wurde in einem Zentrum bei 30 Kindern je Gruppe mit den zuvor genannten neurologischen Erkrankungen der Impfstatus erfasst und mit den jeweils geltenden Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) verglichen und bewertet. Als Vergleichsgruppe diente ein gesundes Probandenkollektiv. Ausgewertet wurde hierfür der Impfstatus von Kindern, die sich im Zeitraum der Datenerhebung aufgrund einer akuten Infektionserkrankung oder einer Operation in stationärer Behandlung befanden. Vorerkrankungen bestanden bei diesen Kindern keine.

Mittels eines Fragebogens wurden Informationen zu der Akzeptanz von Impfungen und zu möglichen Unsicherheiten der Eltern bezüglich der Durchführung von Impfungen gewonnen.

Impflücken – auch bei gesunden Kindern

Die ausgewerteten Impfdaten zeigten sowohl bei der gesunden Vergleichsgruppe als auch bei den Kindern mit einer neurologischen Erkrankung Impflücken auf.

Unter Berücksichtigung der jeweils zum Zeitpunkt der Impfung geltenden STIKO-Empfehlungen konnte bei 87 % der Kinder mit einer dysraphischen Störung ein kompletter Impfstatus dokumentiert werden. In dem Kollektiv der Patienten mit einer Epilepsie und einer TSC lag der Anteil der Kinder mit einem kompletten Impfstatus jeweils bei 67 %. Interessanterweise hatten aber auch in der gesunden Vergleichsgruppe nur 77 % der Kinder alle für ihre Altersgruppe empfohlenen Impfungen erhalten.

Bei diesen Ergebnissen ist allerdings zu berücksichtigen, dass bei 17 % der Kinder aus der Vergleichsgruppe jeweils nur eine Impfung fehlte. Insbesondere fiel eine vergleichsweise niedrige Impfquote für die Varizellen-Impfung auf. Dieser Befund ist am ehesten stichprobenbedingt zufällig entstanden. Bei der Betrachtung der Ergebnisse aus den Schuleingangsuntersuchungen, die das Robert Koch-Institut (RKI) regelmäßig durchführt, wird deutlich, dass die Impfquoten der Varizellen-Impfung kontinuierlich über die Jahre angestiegen sind und bis 2018 ein Anstieg der Impfquoten auf 88,2 % zu erkennen war [1].

Auch bei 10 % der Patienten mit Spina bifida konnte festgestellt werden, dass jeweils nur eine Impfung zu einem kompletten Impfstatus fehlte, wohingegen bei den Patienten mit einer Epilepsie und einer Tuberösen Sklerose oftmals mehrere Impfungen fehlten. Bei 17 % der Epilepsie-Patienten konnten zwei fehlende Impfungen nachgewiesen werden und bei 17 % der TSC-Patienten fehlten mehr als drei Impfungen.

Impfserien inkomplett

Bei der Bewertung des Impfstatus ist weiterhin zu berücksichtigen, dass oftmals nur eine Impfung oder teilweise sogar nur die Komplettierung einer Impfserie fehlte. Dies bestätigen auch die Ergebnisse des Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS), bei dem die Impfdaten von über 16.000 Kindern ausgewertet wurden. Die differenzierte Betrachtung der Impfquoten bei den einzelnen Impfdosen zeigte, dass begonnene Impfserien nicht immer abgeschlossen werden [2].

Zur besseren Differenzierung der Ergebnisse ist daher immer eine Betrachtung der Impfquoten bei den einzelnen Impfungen einer Impfserie notwendig. Die detaillierte Auswertung ist aufgrund des Umfangs an dieser Stelle nicht darstellbar und wird kursorisch beschrieben.

Beispielsweise zeigte sich bei den lang etablierten Impfungen gegen Tetanus, Diphtherie, Pertussis, Haemophilus influenzae Typ b und Poliomyelitis in dem Kollektiv der Kinder mit einer Epilepsie und einer Spina bifida sowie in der Vergleichsgruppe eine sehr gute Inanspruchnahme aller vier Impfungen mit einer Impfquote von 97 %. Bei den Patienten mit einer TSC erfolgte dagegen nur bei 80 % der Kinder und Jugendlichen eine komplette Grundimmunisierung, wobei auffiel, dass 97 % der Kinder noch die dritte Impfdosis erhalten hatten.

Auch bei der ersten Impfung gegen Mumps, Masern und Röteln konnte in allen Kollektiven eine gute Inanspruchnahme der Impfung mit Impfquoten zwischen 93 und 100 % dokumentiert werden. Während noch 97 % der gesunden Kinder eine zweite Impfung erhielten, war bei den Kollektiven der Kinder mit einer neurologischen Erkrankung festzustellen, dass die Inanspruchnahme einer zweiten Impfung geringer war. Je nach Kollektiv lagen die Impfquoten bei 80 % (Epilepsie), 87 % (TSC) und 93 % (Spina bifida). Dieses Ergebnis ist nicht verwunderlich, da insbesondere bei den Patienten mit einer Epilepsie, die TSC-Patienten eingeschlossen, die Angst vor Krampfanfällen sicherlich eine bedeutende Rolle bei der Impfentscheidung spielt. Bei 67 % der Kinder mit einer fehlenden oder unvollständigen MMR-Immunisierung konnte festgestellt werden, dass die Eltern im Fragebogen einen negativen Einfluss der Impfentscheidungen auf die Grunderkrankung angegeben hatten.

Impfquoten für einzelne Impfungen

Im Folgenden werden die jeweiligen Impfquoten für einzelne Impfungen tabellarisch (Tab. 1) dargestellt.

Zusammenfassend kann für das vorliegende Studienkollektiv festgehalten werden, dass bei den Patienten mit einer dysraphischen Störung eine sehr gute Inanspruchnahme aller Impfungen vorlag. Bei der gesunden Vergleichsgruppe fehlte zwar oftmals nur eine Impfung, dennoch weist dieses Ergebnis auf die Notwendigkeit hin, auch bei gesunden Kindern den Impfstatus regelmäßig zu überprüfen und mit den Eltern die Gründe für die fehlenden Impfungen zu besprechen. Zwar konnten keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen den Kollektiven festgestellt werden, dennoch deuten die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit darauf hin, dass sich bei den Patienten mit einer Epilepsie und TSC-Erkrankung die deutlichsten Defizite bei der Umsetzung aller empfohlenen Impfungen zeigen. Eine Überprüfung mit einem umfangreicheren Datensatz wäre wünschenswert, zumal keine vergleichbaren Studien zu dem Impfstatus bei Kindern mit den drei ausgewählten neurologischen Erkrankungen vorliegen.

Anzumerken ist noch, dass die Influenza-Impfung bei den untersuchten Patientenkollektiven nur selten in Anspruch genommen wurde. Weniger als ein Drittel der Kinder waren einmalig gegen Influenza geimpft worden. Aufgrund eines erhöhten Risikos für schwere Komplikationen [3 – 5] ist eine jährliche Influenza-Impfung für Kinder mit chronisch neurologischen Erkrankungen klar durch die STIKO empfohlen worden [6].

Zeitliche Durchführung der Impfung bei Kindern mit chronisch-neurologischen Erkrankungen deutlich verzögert

Neben der Erfassung des Impfstatus interessierte auch die zeitliche Umsetzung der Impfungen. Der ideale Zeitpunkt für die Durchführung der Impfungen im Kindesalter stellt ein zentrales Element bei den Impfempfehlungen der STIKO dar. Ziel ist es, eine möglichst frühe Immunisierung der Kinder zu erreichen [6].

Zwar variierten die Ergebnisse bei den einzelnen Impfungen, dennoch kann zusammenfassend festgehalten werden, dass in allen Kollektiven Defizite hinsichtlich der zeitlichen Durchführung bestanden. Besonders deutlich war eine Verzögerung bei den Kindern mit einer neurologischen Erkrankung zu erkennen. Bei fast allen Impfungen hatten weniger als die Hälfte der Kinder eine zeitgerechte Immunisierung erhalten.

Ursachen für Impflücken

Anhand eines Fragebogens gelang es, Informationen zur Impfeinstellung und Impfakzeptanz bei Kindern mit einer neurologischen Erkrankung zu erhalten und mögliche Faktoren zu identifizieren, die mit einer verspäteten oder fehlenden Impfung assoziiert sind.

Die Ergebnisse der Elternbefragung zeigten keine generelle Ablehnung von Impfungen bei Kindern mit einer neurologischen Erkrankung. Vielmehr schien ein unzureichendes Wissen über die Sinnhaftigkeit der verschiedenen Schutzimpfungen sowie Bedenken über die Sicherheit von Impfungen für die bestehenden Impflücken verantwortlich zu sein. Im Speziellen spielte die Angst vor Nebenwirkungen oder einer Verschlechterung der Grunderkrankung eine bedeutsame Rolle. Zudem wurde deutlich, dass wiederholte stationäre Krankenhausaufenthalte aus Sicht der Eltern einen wesentlichen Grund für einen inkompletten oder verzögerten Impfstatus darstellten.

Wesentliches für die Praxis . . .
  • Auch bei Kindern mit einer chronischen neurologischen Erkrankung war in den untersuchten Studienkollektiven eine gute Impfbereitschaft zu erkennen.
  • Oftmals wurde allerdings eine begonnene Impfserie unterbrochen und so kein vollständiger Impfschutz erreicht.
  • Deutliche Defizite fielen bei den neurologisch erkrankten Kindern hinsichtlich der zeitlichen Durchführung der Impfungen auf.
  • Eine regelmäßige Kontrolle des Impfstatus, insbesondere bei Kindern mit chronischen Erkrankungen, ist notwendig, um bestehende Impflücken zeitnah zu erkennen und begonnene Impfserien doch noch beenden zu können.
  • Die konsequente und zeitgerechte Umsetzung des STIKO-Impfplans bei chronisch-neurologisch erkrankten Kindern stellt eine Herausforderung für alle beteiligten Ärzte dar.
  • Durch eine ausführlichere Aufklärung der Eltern und mit Hilfe von klaren Impfempfehlungen bei Kindern mit chronischen Erkrankungen könnte die Impfbereitschaft und folglich der positive Nutzen von Impfungen noch weiter verbessert werden.
  • Sicher sind weitere Untersuchungen bei den genannten Patientengruppen notwendig, um fehlende Datenlücken zu eliminieren und damit mehr Sicherheit für die Impfentscheidung zu erreichen.


Literatur
1. Robert Koch Institut (RKI) (2020) Impfquoten bei der Schuleingangsuntersuchung in Deutschland 2018. Epid. Bull. 32/33: 16
2. Poethko-Müller C, Kuhnert R, Schlaud M (2007) Vaccination coverage and predictors for vaccination level. Results of the German Health Interview and Examination Survey for Children and Adolescents (KiGGS). Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz 50 (5): 851 – 862
3. Burton C, Vaudry W, Moore D, Bettinger JA, Tran D, Halperin SA et al. (2014) Burden of seasonal influenza in children with neurodevelopmental conditions. The Pediatric infectious disease journal 33 (7): 710 – 714
4. Eriksson CO, Graham DA, Uyeki TM, Randolph AG (2012) Risk factors for mechanical ventilation in U.S. children hospitalized with seasonal influenza and 2009 pandemic influenza A*. Pediatric critical care medicine 13 (6): 625 – 631
5. Keren R, Zaoutis TE, Bridges CB, Herrera G, Watson BM, Wheeler AB et al. (2005) Neurological and neuromuscular disease as a risk factor for respiratory failure in children hospitalized with influenza infection. Jama 294 (17): 2188 – 2194
6. Ständige Impfkommission; STIKO (2020) Empfehlungen der Ständigen Impfkommission beim Robert-Koch-Institut/Stand: August 2020. Epid. Bulletin 34: 1 – 68


Autoren

Nina Laping¹, Markus Knuf² | ¹Helios Dr. Horst Schmidt Kliniken, Wiesbaden, Klinik für Kinder und Jugendliche, ²Klinikum Worms, Klinik für Kinder- und Jugendmedizin


Korrespondenzadresse
Univ.-Prof. Dr. med. Markus Knuf

Univ.-Prof. Dr. med. Markus Knuf
Klinik für Kinder- und Jugendmedizin
Klinikum Worms
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Interessenkonflikt: Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt in Zusammenhang mit diesem Beitrag besteht.


Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2021; 92 (4) Seite 100-104