Viele Familien finden heute keinen Kinder- und Jugendarzt mehr in ihrer unmittelbaren Nähe. Damit ist die Sicherstellung der medizinischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen in Gefahr, wenn die Politik nicht schnell gegensteuert, befürchtet der BVKJ.

Die Gründe für die Ausdünnung der pädiatrischen Versorgung „liegen in falschen Weichenstellungen der bisherigen Gesundheitspolitik“, kritisierte der Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), Dr. Thomas Fischbach, auf der Pressekonferenz zum Auftakt des BVKJ-Herbstkongresses in Bad Orb. „Wir haben keine Überversorgung, sondern vielmehr schon heute eine Unterversorgung mit kinder- und jugendärztlichen Praxen“, stellte Fischbach in Bad Orb ernüchternd fest.

Dafür gebe es vielfältige Gründe, die bisher in der Bedarfsplanung keinerlei Berücksichtigung fänden:
  • Viele Praxen spezialisierten sich heute auf bestimmte Krankheitsbilder, um der wachsenden Zahl chronisch kranker Kinder und Jugendlicher – dem Schwerpunktthema des diesjährigen Herbstkongresses – gerecht zu werden. Damit fallen sie für die hausärztliche Versorgung von Kindern und Jugendlichen weitgehend aus.
  • In den nächsten fünf Jahren werden zudem ein Viertel aller heute noch praktizierenden Kinder- und Jugendärzte und -ärztinnen in Ruhestand gehen. Die nachrückenden Kinder- und Jugendärzte und -ärztinnen präferierten jedoch Teilzeitmodelle, um Familie und Beruf besser „unter einen Hut“ zu bekommen. Dadurch sinke das Arbeitsvolumen pro Pädiater.
  • Schließlich dominierten den pädiatrischen Alltag nicht mehr einfache Infekte, sondern aufwendig zu behandelnde Entwicklungsstörungen und die neuen Morbiditäten. Hinzu kommen immer mehr Präventionsaufgaben sowie zusätzliche Impfungen.

Fischbach adressierte daher in Bad Orb seinen dringenden Appell an die neue Bundesregierung: „Wir brauchen mehr und nicht weniger Kinder- und Jugendärzte.“ Insbesondere dürfe es nicht weiter zu einem Abbau von theoretischer Überversorgung kommen, solange es keine bedarfsbezogene Planung gebe. Diese müssen dann aber auch die Realitäten berücksichtigen, zum Beispiel den heute üblichen höheren Betreuungsaufwand, den geringeren Arbeitsstundenumfang pro Kinder- und Jugendarzt sowie die steigende Anzahl von Geburten. Auch die sehr zeitintensive und fachgerechte Betreuung von zugewanderten Kindern und Jugendlichen finde bislang bei der Bedarfsplanung keinerlei Berücksichtigung.

Die künftige Verteilung von Kinder- und Jugendärzten sollte laut Fischbach künftig auch weit stärker regional flexibel gestaltet werden. Vor allem in Städten müsse der Arbeitsanteil der Spezialpraxen herausgerechnet werden. Die so entstehenden zusätzlichen Arztsitze könnten dann der hausärztlichen Pädiatrie zugeordnet werden.


von Raimund Schmid