Die Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (DGSPJ) geht nach der Bundestagswahl politisch in die Offensive.

Gleich zu Beginn der Sondierungs- und Koalitionsverhandlungen der Ampelkoalition hat die Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (­DGSPJ) sich politisch zu Wort gemeldet, um auf dringende sozialpädiatrische Belange für die nächste Legislaturperiode hinzuweisen und ihnen damit politisches Gewicht zu verleihen. Die beiden Petitionen, die von Seiten der DGSPJ an die neuen gesundheitspolitisch Verantwortlichen der Ampelkoalition gerichtet worden sind, haben zu einem erfreulich positiven Echo geführt. Diese Kontakte will die DGSPJ nun nutzen, um sich mit ihren politischen Anliegen in den nächsten Jahren nachhaltig einbringen zu können.

Unmittelbar nach der Bundestagswahl begann die DGSPJ mit der politischen Lobbyarbeit und richtete sich mit der ersten Aktion Ende Oktober 2021 an alle neuen gesundheitspolitisch Verantwortlichen der drei Ampelparteien und an die Mitglieder des während der Koalitionsverhandlungen tagenden Ausschusses „Gesundheit und Pflege“. Die Petition stand unter dem Motto „Hürden für eine bessere Teilhabe für Kinder mit Handicaps beseitigen!“. Explizit wurden dabei von der DGSPJ Kinder und Jugendliche mit chronischen Erkrankungen, Behinderungen oder Einschränkung der Teilhabe herausgestellt.

Dabei wurde ausdrücklich die klare Haltung begrüßt, auf die sich SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP bereits im Sondierungspapier verständigt haben: „Wir konzentrieren uns auf die Kinder, die am meisten Unterstützung brauchen.“ Und weiter heißt es: „Gleichzeitig wollen wir (…) Teilhabe stärken. Bund, Länder und Kommunen sollen gemeinsam darauf hinwirken, dass jedes Kind die gleiche Chance auf Entwicklung und Verwirklichung hat.“

Einer solchen Teilhabe für alle Kinder stand bislang – so die Kritik der DGSPJ – das starre Denken in Sektoren, Ressorts, Sozialversicherungssystemen und ständig wechselnden Zuständigkeiten entgegen. Um das zu verändern, setzte sich die DGSPJ in der Petition dafür ein, folgende zwei Sätze in die Koalitionsvereinbarung aufzunehmen:

„Für ein gesundes Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen in unserem Land müssen alle Sektoren gemeinsam sorgen – insbesondere zählen dazu Gesundheit, Soziales und Bildung, aber auch Umwelt, Verkehr und Städtebau. Wir möchten den Zusammenschluss aller Akteure zu einer Verantwortungsgemeinschaft fördern und trennende Schnittstellen in der Finanzierung und Organisation der Leistungen für Kinder und Jugendliche mit und ohne Handicaps überwinden, um damit mehr Teilhabe zu ermöglichen.“

Dem schloss sich dann eine weitere Petition an, die diesmal an den frisch gekürten Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach und sämtliche Mitglieder des neu gebildeten Gesundheitsausschusses gerichtet war. Darin wurde zwar bedauert, dass die Textversion der DGSPJ im Koalitionsvertrag nicht im Wortlaut übernommen wurde. Zugleich wurde aber gewürdigt, dass im Koalitionsvertrag der Bitte entsprochen wurde, die berechtigten Belange von Kindern und Jugendlichen mit hohem gesundheitlichen Versorgungsbedarf nicht aus den Augen zu verlieren und die Sozialpädiatrischen Zentren sogar explizit erwähnt wurden. Denn im Koalitionsvertrag heißt es:

„Für ein diverses und barrierefreies Gesundheitswesen erarbeiten wir mit den Beteiligten bis Ende 2022 einen Aktionsplan, stärken die Versorgung schwerstbehinderter Kinder und entlasten ihre Familien von Bürokratie. Die Medizinischen Behandlungszentren für Erwachsene mit geistiger Behinderung oder schweren Mehrfachbehinderungen sowie die Sozialpädiatrischen Zentren bauen wir in allen Bundesländern aus.“

Ermutigende Signale

Eine damit verbundene Stärkung der SPZ muss aber nach Ansicht der DGSPJ dann auch beinhalten, dass in Zukunft die bisher üblichen trennenden Schnittstellen in der Finanzierung und Organisation der medizinischen und nicht-medizinischen Leistungen für Kinder und Jugendliche mit und ohne Handicaps überwunden werden, um damit mehr Teilhabe zu ermöglichen. Dazu hat gerade der 125. Deutsche Ärztetag in Berlin einen wichtigen Beschluss gefasst, der die Finanzierung nichtärztlicher sozialpädiatrischer Leistungen nach § 43a SGBV, die häufig in Frage gestellt oder nicht ausreichend abgesichert ist, betrifft. Der Beschluss lautet:

„Der 125. Deutsche Ärztetag bittet darum, dass in die Koalitionsvereinbarung die Klärung dieses Zuständigkeitskonfliktes zwischen den Sozialleistungsträgern aufgenommen wird.“

Ermutigend aus Sicht der Sozialpädiatrie ist auch eine weitere Aussage im Koalitionsvertrag, in dem es weiter heißt: „Kurzfristig sorgen wir für eine bedarfsgerechte auskömmliche Finanzierung für die Pä­diatrie(…).“ Damit bietet die neue Koalition eine weitere Steilvorlage, mit der auch der sozialpädiatrische Versorgungsbedarf verbessert werden könnte.

Am Ende dieser 2. Petition nimmt die DGSPJ Bezug auf das Motto des Koalitionsvertrags „Mehr Fortschritt wagen“. Mit der Umsetzung der Wünsche aus der Sozialpädiatrie würde die neue Koalition damit auch für die Kinder Fortschritte erzielen, die bislang nicht so sehr im Fokus der Gesundheitspolitik standen, so DGSPJ-Präsidentin Prof. Dr. Ute Thyen und DGSPJ-Vizepräsident Dr. Andreas Oberle.

Abgeordnete vieler Parteien sichern ihre Unterstützung zu

Die Reaktionen von Seiten der Politik auf diese beiden Petitionen hin waren erfreulich vielfältig. So meldete sich zum Beispiel die Hagener FDP-Bundestagsabgeordnete Katrin Helling-Plahr zu Wort und kündigte gegenüber der Geschäftsstelle der DGSPJ an, „das Thema sicherlich innerhalb der Koalition auf die Agenda zu nehmen.“

Die Erlanger Abgeordnete Martina Stamm-Fibich von der SPD brachte in ihrer Reaktion die Freude zum Ausdruck, „dass das Thema SPZ Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden hat.“ Die darin beschriebenen Anliegen würden von Frau Stamm-Fibich „selbstverständlich politisch unterstützt.“

Diese Unterstützung hat auch Prof. Dr. Armin Grau, MdB aus dem Wahlkreis Ludwigshafen/Frankenthal für die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, zugesagt. Auch er bot an, sich mit der DGSPJ über deren auch aus seiner Sicht relevanten Themen im Jahr 2022 „gerne austauschen“ zu wollen.

Weiterhin hatte es bereits im vergangenen Jahr regen Austausch mit der Grünen-Politikerin und Ärztin Dr. Kirsten Kappert-Gonther aus Bremen gegeben. Sie ist nun in der neuen Legislaturperiode zur stellvertretenden Vorsitzenden des Gesundheitsausschusses gewählt worden, hat aber die sozialpädiatrischen Anliegen ihrer Fraktion an Linda Heitmann weitergegeben, die ebenfalls im Gesundheitsausschuss mitwirkt und mit der weitere Gespräche geplant sind.

Positive Reaktionen für die unterbreiteten Vorschläge zur Stärkung der sozialpä­diatrischen Versorgung kamen auch von Seiten der Opposition. Zum Beispiel vom CSU-Bundestagsabgeordneten Stephan Pilsinger. Zwar räumte er ein, als Oppositions­politiker in dieser Wahlperiode die Gesundheitspolitik nicht in der neuen Bundesregierung mitbestimmen zu können. Jedoch sei auch die Opposition in der Verantwortung, stets auf bestehende Missstände hinzuweisen. Dabei wolle man auch „konkrete, konstruktive Verbesserungsvorschläge vorbringen, wozu auch die Ihren gehören.“

Der CDU-Abgeordnete und frühere Behindertenbeauftragte der Bundesregierung Hubert Hüppe wies in seiner Stellungnahme an die DGSPJ zunächst darauf hin, dass Politik für Menschen mit Behinderungen stets seine bisherige politische Arbeit geprägt habe. Auch im Rahmen seiner jetzigen Mitgliedschaft in den Ausschüssen für Gesundheit und Arbeit und Soziales werde er sich auch in der neuen Legislaturperiode weiterhin „für mehr Teilhabe“ für diese Menschen einsetzen. Und dann folgt ein klares Bekenntnis zu den SPZ: „Sozialpädiatrische Zentren leisten für Kinder und Jugendliche mit chronischer Erkrankung oder Behinderung wertvolle Arbeit und sind unverzichtbar.“

Besonders aufgeschlossen für die Anliegen der DGSPJ zeigte sich die neue Berichterstatterin der SPD für das Thema Kinder- und Jugendgesundheit in der AG Gesundheit, die Abgeordnete Nezahat Baradari (www.nezahat-baradari.de/). Sie ist Kinder- und Jugendärztin in Westfalen und war nach einer längeren Videokonferenz mit Ute Thyen und Andreas Oberle und ihrem wissenschaftlichen Mitarbeiter Dr. Malte Gregorzewski für alle Informationen rund um den § 43a offen. Sie riet der DGSPJ zu intensiver Lobbyarbeit, auch bei der Opposition, weil die Anliegen für Kinder und Jugendliche oft auch fraktionsübergreifend vorangebracht werden.

Genau diese Strategie soll nun weiterverfolgt werden – möglicherweise in Form eines Parlamentarischen Abends, bei dem alle sozialpädiatrisch relevanten Themen zur Sprache kommen und zu dem Frau Baradari gegebenenfalls einladen könnte. Eine weitere zu verfolgende Idee wäre, die Lobbyarbeit in die Wahlkreise zu verlagern. Das könnte gerade dann nützlich sein, wenn ein wichtiges Mitglied einer Bundestagspartei und insbesondere aus einer Regierungspartei aus einem Wahlkreis kommt, in dem auch ein aktives DGSPJ-Mitglied beheimatet ist.

Es ist also seit der Bundestagswahl für Ute Thyen und Andreas Oberle bereits „viel in Bewegung gekommen“. Bleibt zu hoffen, dass sich nun auch die Abgeordneten im Sinne der Kinder- und Jugendgesundheit und der Anliegen der DGSPJ bewegen.



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Raimund Schmid
Dipl. Volkswirt/Journalist
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Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2022; 93 (2) Seite 138-140