Eine Impfpflicht für alle Kinder sei „nicht gerechtfertigt“, lässt der Deutsche Ethikrat verlautbaren. Doch ist die Argumentation des Rats stichhaltig?

Nein, meint der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ). Der Ethikrat argumentiert zwar, dass eine moralische Verpflichtung zum Impfen gelte, jedoch eine rechtliche Pflicht nicht verhältnismäßig sei. Aus Sicht des BVKJ berücksichtigt die Stellungnahme des Ethikrats allerdings nicht die Realität in der Praxis. Ohne rechtlich verbindliche Impfpflicht kann das Ziel einer Ausrottung der Masern in Deutschland nicht erreicht werden.

Dr. Thomas Fischbach, Präsident des BVKJ: "Der Ethikrat erkennt an, dass Kinder - und auch ungeimpfte Erwachsene - gegen Krankheiten geimpft werden sollten, die damit eingedämmt oder sogar ausgerottet werden können. Und er weist auch darauf hin, dass jeder Mensch die moralische Pflicht hat, sich solidarisch zu verhalten mit denen, die sich aus medizinischen Gründen nicht selbst per Impfung schützen können. Doch die moralische Pflicht anzuerkennen und die rechtliche Pflicht abzulehnen, das halten wir für wirklichkeitsfremd.“

In der Stellungnahme des Ethikrats heißt es: „Gesetzliche Zwänge sollten grundsätzlich nur als Ultima Ratio zum Einsatz kommen, nämlich dort, wo alle anderen niedrigschwelligeren Maßnahmen an ihre Grenzen gestoßen sind“.

Dazu sagt der BVKJ: „In den letzten Jahren hat die Politik viel dafür getan, die Durchimpfungsraten zu erhöhen. Wir Kinder- und Jugendärzte verwenden einen großen Teil unserer Arbeitszeit darauf, Eltern umfassend und wissenschaftlich fundiert über die Risiken und den Nutzen von Impfungen aufzuklären, Impfbücher zu kontrollieren und an ausstehende Impfungen zu erinnern. Aber es gibt viele Eltern, die erst gar nicht in die Praxen kommen, die wir also nicht erreichen. Oder die ihren Kindern nicht die die wichtige Zweitimpfung geben lassen.“

An fehlender Niedrigschwelligkeit liege dies nicht, sondern meist an Vergesslichkeit und Nachlässigkeit - es drohen ja zunächst keine fühlbaren Konsequenzen, das Ansteckungsrisiko für ihre eigenen Kinder und erst recht für andere Kinder übersehen diese Eltern, so der BVKJ.

Daher fordert der Fachverband: So wie es eine allgemeine Schulpflicht zum Wohle der Kinder und der ganzen Gesellschaft gibt, sollte es auch eine allgemeine Impfpflicht geben, nachdem alle gutgemeinten Aufklärungskampagnen der letzten Jahre nicht dazu geführt haben, die Masern in Deutschland auszurotten.

Der Ethikrat sagt mehrheitlich: Personal in Arztpraxen und Krankenhäusern, Kindergärten und Schulen muss möglicherweise rechtsverbindlich verpflichtet werden, andere mit zu schützen. Fischbach: „Diese Forderung unterstützen wir. Aber wir fordern auch: Die Prinzipien einer verantwortungsbewussten Solidargemeinschaft müssen für alle Menschen in unserem Land bindend sein. Auch Eltern müssen mitwirken an der Herdenimmunität und müssen Verantwortung nicht nur für ihre eigenen Kinder übernehmen, sondern auch für andere, die eventuell nicht geimpft werden können, weil sie noch zu jung oder chronisch krank sind.“

Wie man die Impfpflicht gegen Masern dann wirksam durchsetzt, darüber müsse die Politik entscheiden. Aber das Beispiel Schulpflicht zeigt, dass es möglich ist.


Quelle: Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) | ras