Eine Untersuchung aus Neuseeland ging der Frage nach, ob eine frühe Hochdosis-Aminosäurensubstitution die neurologische Entwicklung von extrem frühgeborenen Kindern (ELBW, < 1.000 g) günstig beeinflusst, wenn diese im Alter von 2 Jahren getestet werden.

Mittels einer placebokontrollierten, randomisierten, doppeltverblindeten Multizenteruntersuchung wurden Frühgeborene mit einem Geburtsgewicht von weniger als 1.000 g aus 8 neonatalen Behandlungszentren (neonatal intensive care unit = NICU) untersucht, die in den ersten 5 Tagen ihres Lebens 1 g Aminosäuren/Tag (Interventionsgruppe) oder Placebo in Ergänzung zu der altersentsprechend üblichen Ernährung erhielten. Als primärer Studienendpunkt wurde ein Überleben ohne neurologische Beeinträchtigungen festgelegt. Die neurologische Entwicklung wurde mittels Bayley Scales und einer klinisch-neurologischen Untersuchung im Alter von 2 Jahren ermittelt. Sekundäre Studienendpunkte waren ein günstiger Einfluss auf das Wachstum, die Nahrungsaufnahme sowie weitere neonatal erworbene Erkrankungen. Insgesamt wurden in die beiden Studiengruppen 434 ELBW (217 je Gruppe) eingeschlossen. In der Interventionsgruppe blieben 97 von 203 Kindern (47,8 %) ohne eine neurologische Beeinträchtigung. In der Placebogruppe waren dies 102 von 205 (49,8 %). Hieraus ergibt sich ein adjustiertes relatives Risiko (aRR) von 0,95 (95 %-KI, 0,79 – 1,14; p = 0,56). 39 von 217 Kindern (18 %) aus der Interventionsgruppe starben bevor sie das 2. Lebensjahr erreichten. In der Placebogruppe waren dies 42 von 217 (19,4 %). Hieraus ergibt sich ein aRR von 0,93 (95 %-KI, 0,63 – 1,36). Eine neurologische Beeinträchtigung fiel bei 67 von 164 Kindern aus der Interventionsgruppe auf (40,9 %) und bei 61 von 163 aus der Placebogruppe (37,4 %). Das aRR betrug 1,16 (95 %-KI, 0,9 – 1,5). Die neurologische Beeinträchtigung war in der Interventionsgruppe moderat bis schwer bei 27 Kindern (16,5 %) und bei 14 (8,6 %) in der Placebogruppe (aRR 1,95; 95 % KI, 1,09 – 4,38). In der Interventionsgruppe wiesen mehr Kinder einen persistierenden Ductus arteriosus auf (aRR 1,65; 95 %-KI, 1,11 – 2,46). In einer Post-hoc-Analyse traten Fütterprobleme bei 42 von 172 Kindern in der Interventionsgruppe und bei 26 von 166 in der Placebogruppe auf (aRR 1,64; 95 %-KI, 1,09 – 2,47). Tabelle 1 gibt wesentliche Daten zu den primären Studienendpunkten wieder, Tabelle 2 fasst das neonatale klinische „Outcome“ zusammen.

Die Autoren schließen aus ihrer Untersuchung, dass eine frühzeitige hochdosierte Aminosäurensubstitution vom 1. Lebenstag an für insgesamt 5 Tage bei ELBW keinen Einfluss auf Überleben und Verhinderung von neurologischen Problemen hat (bei Untersuchung der Frühgeborenen im Alter von 2 Jahren).

Kommentar:
Die Studie drückt die Sehnsucht nach einer relativ einfachen Maßnahme zur Verhinderung von schweren neurologischen Komplikationen bei Frühgeborenen mit sehr niedrigem Geburtsgewicht aus. Leider konnte eine frühzeitige, hochdosierte Aminosäurensubstitution nicht den gewünschten Effekt vorweisen. Im Alter von 2 Jahren ließ sich im Vergleich zu Placebo kein Unterschied hinsichtlich der neurologischen Komplikationen ausmachen. Dieses ist auch nicht verwunderlich, da eine Vielzahl von Faktoren auf die Entwicklung von sehr unreifen Frühgeborenen einwirken. Die Aminosäurensubstitution vermag hier nur einen kleinen Baustein darstellen.

Literatur
Bloomfield F H et al. (2022) Early Amino Acids in Extremely Preterm Infants and Neurodisability at 2 Years. N Engl J Med 387: 1661


Autor
Univ.-Prof. Dr. med. Markus Knuf


Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2023; 94 (4) Seite 236-237