Aktuelle Daten aus Deutschland und der Schweiz bestätigen, was schon in einigen anderen Studien gezeigt wurde: Kinder scheinen bei der Verbreitung der COVID-19-Pandemie keine prominente Rolle einzunehmen. Diese Erkenntnis ist wichtig für das weitere Vorgehen in Schulen, Kitas etc.

Jüngst ist eine Arbeit aus dem Universitätsklinikum in Genf (Schweiz) erschienen, die 4.310 Patienten analysiert hat, welche mit dem SARS-CoV-2 infiziert waren. 40 von 4.310 Patienten waren jünger als 16 Jahre (0,9 %). 39 der 40 Kinder und Jugendlichen konnten ausführlich untersucht werden. 29 der untersuchten Kinder und Jugendlichen waren zuvor gesund (74 %). Die häufigsten Komorbiditäten waren Asthma bronchiale (10 %), Diabetes mellitus (8 %), Übergewicht (5 %) und Frühgeburtlichkeit (5 %) sowie erhöhter Blutdruck (3 %). 7 Patienten (18 %) wurden wegen einer COVID-19-Infektion stationär behandelt. Die durchschnittliche (Median) Dauer der stationären Behandlung betrug 3 Tage. Gründe für die Hospitalisierung waren eine Pneumonie, Fieber ohne Fokus, einmalig ein sogenanntes "apparent life-threatening event" und einmalig ein "sepis-like event". Intensivmedizinisch musste kein Kind behandelt werden. Alle Kinder hatten eine vollständige Restitutio ad integrum 7 Tage nach der Diagnosestellung. Alle 39 Kinder wurden hinsichtlich der Infektionsbesonderheiten in der Familie untersucht. 8 % (3 von 39) der Kinder boten Symptome für eine COVID-19-Infektion bevor andere Haushaltsmitglieder erkrankten. 85 % (75/88) der erwachsenen Haushaltsmitglieder entwickelten Symptome zum gleichen Zeitpunkt, verglichen mit 43 % der Kinder (10/23). Dieser Zusammenhang war signifikant (p < 0,001). 92 % der Mütter (36/39) entwickelten Symptome, verglichen mit 75 % (24/32) der Väter (p = 0,04).

Die Autoren der Studie schließen hieraus, dass Kinder atypisch oder mild erkranken. 79 % der Haushaltsmitglieder (mehr als 1 Erwachsener) wiesen den Verdacht auf eine COVID-19-Infektion (31/39) auf, bevor Symptome beim Kind auftraten. Überraschenderweise waren 33 % der Haushaltsmitglieder Test-negativ, auch dann, wenn SARS-Cov-2-Fälle in der Familie vorkamen.

Passend zu diesen Daten ist eine Pressemitteilung der Technischen Universität Dresden. Die medizinische Fakultät der TU Dresden und das Dresdner Universitätsklinikum haben im Mai 2020 eine Studie zur Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus an sächsischen Schulen gestartet. Anlass war die Wiedereröffnung der Schulen nach dem Lockdown. Ziel war, zu schauen, wie viele Schüler und Lehrer Antikörper gegen das SARS-CoV-2-Virus in sich tragen und wie sich dessen Ausbreitung über die Zeit verändert. Es wurde 2.045 Blutproben untersucht. In 12 Proben ließen sich zweifelsfrei Antikörper gegen SARS-CoV-2 nachweisen. Damit liegt der Immunisierungsgrad in der Gruppe der Studienteilnehmer bei deutlich unter 1 % (0,6 %) und fällt geringer aus als prognostiziert.

Die Autoren der Studie vertreten die Auffassung, dass die Dynamik der Virusverbreitung bisher überschätzt wurde. Nur in 24 Familien der Studienteilnehmer gab es mindestens 1 bestätigten "Corona-Fall", aber nur bei einem Probanden ließen sich Antikörper nachweisen. Die Schulen wurden nach der Wiedereröffnung nicht zum Hotspot. In 3 der untersuchten Schulen gab es bestätigte "Corona-Fälle". Dennoch waren bei Lehrern und Schülern in der betreffenden Einrichtung nicht überdurchschnittlich mehr Antikörper nachweisbar, was darauf schließen lässt, dass sich die Schulen nicht zu "Infektionsherden" entwickelten.

Kommentar: Wie schon in anderen Studien und Publikationen aus Italien, Island und Spanien dargelegt, scheinen Kinder und Jugendliche bei der Verbreitung der COVID-19-Pandemie keine prominente Rolle einzunehmen. Die genauen Hintergründe hierfür sind unklar, dennoch, und dies ist ein Gegensatz zu den sonstigen viralen Atemwegsinfektionen, stellen Kinder und Jugendliche keinen "Transmissionsriemen" dar, um die Pandemie zu unterhalten. Diese Erkenntnis ist von großer Bedeutung für die Wiedereröffnung von Kinder- und Jugendgemeinschaftseinrichtungen und sollte sensibel weitergeführt werden. Flächendeckendes reflexartiges Schließen von Kinder- und Jugendgemeinschaftseinrichtungen ist sicher nicht angezeigt, sondern ein differenziertes, regional eingegrenztes und mit lokalen Befundlagen abgeglichenes Vorgehen scheint der Weg zu sein.

Literatur
1. Posfay-Barbe KM et al. (2020) COVID-19 in children and the dynamics of infection in families. Pediatrics 146; e20201576. DOI: https://doi.org/10.1542/peds.2020-1576
2. Technische Universität Dresden. Immunisierungsgrad geringer als erwartet – Schulen haben sich nicht zu Hotspots entwickelt. Pressemitteilung 13. Juli 2020


Autor
Univ.-Prof. Dr. med. Markus Knuf


Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2020; 91 (5) Seite 324