Terroristischer Anschläge: Auf diese Art der Bedrohung und die möglichen psychischen Auswirkungen muss die Gesellschaft sorgsam und überlegt reagieren.

Paris, Nizza, Istanbul, Rouen, München – was sich in der gesamten Sommer- und Urlaubszeit las wie eine Liste der besonders touristisch beliebten europäischen Ziele – sind nun Orte terroristischer Anschläge geworden. Mal mehr eindeutig mit fanatischem Hintergrund, mal auch einfach nur durch Amoklauf mit persönlichem Hintergrund. Opfer sind hierbei auch unbeteiligte Kinder und Jugendliche: Opfer durch Verletzung oder Tötung. Opfer auch durch Angstzustände aufgrund der empfundenen Bedrohung oder Sorge um Verwandte, Bekannte und Freunde an diesen Orten. Opfer der auf Sensationsmeldungen bedachten Presse und vielfältiger fehlgesteuerter Meldungen in den sozialen Netzwerken. Letztendlich auch Opfer als fehlgeleitet und manipulierte potenzielle spätere Attentäter.

Durch diese Anschläge ist auch die große emotionale Not vieler Flüchtlinge erahnbar, die sich aufgrund nahezu täglicher Greultaten aufgemacht haben, ihre Heimat zu verlassen, um im fernen Europa Schutz zu suchen. Einen Schutz, der nicht sicher gewährt werden kann, da sich der Terror längst den Weg nach Europa gebahnt hat.

Auf diese Art der Bedrohung und die möglichen psychischen Auswirkungen muss die Gesellschaft sorgsam und überlegt reagieren. Auch die Kinder- und Jugendärzte werden ein altes, bekanntes Aufgabenfeld neu bearbeiten müssen.

Die Zielsetzung der Zukunftskommission der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin (DAKJ) e. V. "Gesund aufwachsen – Strukturempfehlung für die bestmögliche körperliche, geistige und psychosoziale Versorgung der Kinder und Jugendlichen in Deutschland ...", beinhaltet auch die Versorgung durch die Kinder- und Jugendärzte innerhalb der geschaffenen Versorgungsstrukturen.

Dabei ist mit einer Zunahme an psychosomatischen und psychiatrischen Auffälligkeiten zu rechnen. In Abhängigkeit von persönlichen Erlebnissen, vom individuellen Entwicklungsstand, von eigenen und familiären Resilienzfaktoren ist mit Fütter- und Essstörungen, Ausscheidestörungen (u. a. Enkopresis, Enuresis), unklaren Schmerzzuständen (u. a. Bauch- und Kopfschmerzen), Störung von Konzentration und Aufmerksamkeit sowie schulischem Leistungsabfall und emotionalen und Verhaltensproblemen zu rechnen.

Für die Praxis wird dies bedeuten, dass die psychosomatische Grundversorgung, die psychotherapeutische Intervention und die dem jeweiligen Entwicklungstand entsprechend angepassten Elterngespräche einen noch größeren Stellenwert erhalten werden. Hierzu sind weitere Schulungen und das Bereitstellen von geeigneten – auch mehrsprachigen – Fragebögen und Testverfahren erforderlich.

Der präventive Auftrag ist aber mit dem derzeitigen Zeitbudget und den damit zu erzielenden Punktwerten in keiner Weise zu leisten. Hier besteht dringender Handlungsbedarf, weil die Pädiater nur mit deutlich mehr Zeit – und damit auch besseren Gesprächsziffern – den neuen Bedrohungen und Ängsten auf Dauer gerecht werden können.

Dr. Markus Landzettel, Darmstadt


Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2016; 87 (6) Seite 352