Reges Interesse hat das Curriculum „Entwicklungs- und Sozialpädiatrie für die kinder- und jugendärztliche Praxis“ in Sachsen hervorgerufen. Fast die Hälfte der Kinder- und Jugendärzte in Sachsen haben das Zertifikat inzwischen erworben.

Die kinderärztliche Betreuung von Kindern und Jugendlichen mit kognitiven, motorischen, geistigen und/oder emotionalen Auffälligkeiten und Erkrankungen nimmt beim niedergelassenen Kinder- und Jugendarzt immer mehr an Umfang und Bedeutung zu. Deshalb wurde von der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin e. V. (DGSPJ) ein Fortbildungscurriculum „Entwicklungs- und Sozialpädiatrie für die kinder- und jugendärztliche Praxis“ entwickelt, bestehend aus einem 30-stündigen Theorieteil und einem 10-stündigen Praxisteil, das auch von der Bundesärztekammer 2014 offiziell anerkannt wurde.

Zum 01. 10. 2013 wurde für die kinder- und jugendmedizinischen Vertragsärzte eine neue Gebührenordnungsposition (GOP) 04355 in den EBM aufgenommen, die nun bei einer sozialpädiatrisch orientierten eingehenden Beratung, Erörterung und/oder Abklärung einmal im Behandlungsfall abgerechnet werden kann. Zum 01. 01. 2015 kam dann die GOP 04356 hinzu, die im Zusammenhang mit der ersten Ziffer dann abgerechnet werden kann, wenn sich eine weiterführende sozialpädiatrische Versorgung anschließt. Diese GOP 04356 beinhaltet die Erhebung und/oder das Monitoring von lokalisierten oder übergreifenden motorischen, kognitiven, emotionalen und/oder organbedingten Einschränkungen und/oder Auffälligkeiten sowie die Beratung zu weiterführenden Maßnahmen.

Die GOP 04356 kann nun zweimal im Krankheitsfall geltend gemacht werden, d. h., bei Bedarf auch zweimal im gleichen Quartal. Abgerechnet werden können beide GOPs nicht nur bei allen komplexen Behinderungen, sondern auch bei allen Entwicklungsstörungen (ICD-10: F80 – F89) sowie allen Verhaltens- und emotionalen Störungen, beginnend in der Kindheit und Jugend (ICD-10: F90 – F98). Voraussetzung für die Abrechnung der neuen GOP 04356 ist aber der zertifizierte Nachweis über die Teilnahme am Curriculum „Entwicklungs- und Sozialpädiatrie für die kinder- und jugendärztliche Praxis“.

Eine Übergangsregelung erlaubte die Abrechnung der GOP 04356 auch ohne Nachweis der Kursteilnahme bis zum 30. 06. 2016. Seit dem 01. 07. 2016 ist nun allerdings der Nachweis der Kursteilnahme am Curriculum Sozialpädiatrie mittels Zertifikat notwendig, welches der regionalen Kassenärztlichen Vereinigung für die Abrechnung vorzulegen ist.

Aufgrund des geforderten Zertifikatnachweises nach Ablauf der Übergangsregelung war es eine immense Herausforderung, in einer kurzen Zeitspanne entsprechende regionale, aber auch überregionale Fortbildungsangebote zu etablieren und mit Leben zu füllen. Des Weiteren war es schwer, den entsprechenden Fortbildungsbedarf bei den niedergelassenen Kinder- und Jugendärzten zu schätzen, da wenig objektive Zahlen zur Verfügung standen. Der BVKJ und die DGSPJ gingen davon aus, dass etwa ein Viertel bis ein Drittel der niedergelassenen Kinder- und Jugendärzte das Zertifikat innerhalb der 18-monatigen Übergangsphase erlangen wollten.

Bei der Organisation und Durchführung der Kurse waren in unterschiedlichem Ausmaße Vertreter der Sozialpädiatrie sowie der Kinder- und Jugendärzte als Referenten und wissenschaftliche ­Leiter tätig, unterstützt durch die Landesärztekammern sowie die regionalen Kassenärztlichen Vereinigungen.

Zum jetzigen Zeitpunkt kann noch nicht endgültig gesagt werden, ob die Prognose bezüglich der Teilnehmerzahl sowie der ausgestellten Zertifikate bundesweit erreicht worden ist. Für den Freistaat Sachsen liegen aber regionale Zahlen bereits vor, sodass daraus möglicherweise auch eine Hochrechnung abzuleiten ist. Auf Initiative der DGSPJ konnte die Sächsische Akademie für ärztliche Fort- und Weiterbildung der Sächsischen Landesärztekammer (SLÄK) für den kompletten organisatorischen Ablauf gewonnen werden.
Neben der räumlichen und der finanziellen Regelung übernahm die SLÄK auch die Abstimmung mit der KVS bezüglich der Zertifikatsanerkennung, welche letztendlich Grundvoraussetzung für die Abrechnung der GOP ist. In enger Zusammenarbeit zwischen den Sozialpädiatrischen Zentren (SPZs) und dem Vorstand des Landesverbandes Sachsen des BVKJ konnten dann die inhaltlichen Abläufe der Kurse nach Vorgabe der DGSPJ bzw. der Bundesärztekammer organisiert werden.

Theorieteil des Curriculums

Die wissenschaftliche Leitung des 30-stündigen Theorieteils hatten Herr Dr. med. Christoph Kretzschmar (Sozialpädiatrisches Zentrum am Städtischen Klinikum Dresden, Standort Neustadt) gemeinsam mit Herrn Dipl. med. St. Mertens (Vorsitzender des BVKJ-LV Sachsen) inne. Alle Referenten konnten aus der Region gewonnen werden, vorwiegend aus den 8 sächsischen SPZs, aber auch vom Kinder- und jugendärztlichen Dienst), dem BVKJ sowie dem Deutschen Kinderschutzbund und aus der Rehabilitationsklinik für Kinder und Jugendliche in Kreischa-Zscheckwitz. Somit konnten im Zeitraum vom November 2015 bis Juni 2016 insgesamt 4 Theoriekurse mit einem Umfang von jeweils 3 Tagen angeboten werden. Sie fanden für die teilnehmenden Kinder- und Jugendärzte ortsnah in Dresden, Leipzig und Chemnitz statt. Die Kursgröße schwankte zwischen 33 und 45 Teilnehmern. Insgesamt absolvierten somit 143 Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin das Curriculum Sozialpädiatrie.
In Sachsen sind 298 Fachärzte für Kinder- u. Jugendmedizin in der Niederlassung tätig. Demnach hat fast die Hälfte der niedergelassenen Kinder- und Jugendärzte im vorgegebenen Zeitraum bis 30. 06. 2016 das Zertifikat „Entwicklungs- und Sozialpädiatrie für die kinder- und jugendärztliche Praxis“ erhalten.

Praxis-Hospitationsteil

Der 10-stündige Praxis-Hospitationsteil wurde überwiegend in den regionalen SPZs durchgeführt, entweder als individuelle Hospitation, für die meisten Teilnehmer aber als Gruppenhospitation außerhalb der Sprechstundenzeit des SPZs. Hierbei konnten alle Bereiche der sozialpädiatrischen Behandlung in Form eines Stationsbetriebes präsentiert werden, wobei der Schwerpunkt auf der Praxisnähe für den niedergelassenen Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin lag.

Entsprechend des Stufenkonzeptes der Behandlung von Entwicklungsstörungen in der ambulanten Praxis (IVAN-Konzept) wurde der Fokus auf Stufe I – Screening und Stufe II – Basisdiagnostik gesetzt.

Durch die Landesärztekammer Sachsen erfolgte eine Evaluation aller 4 Kurse. Die Referenten wurden durchgehend mit sehr gut bis gut bewertet, ebenso der organisatorische Ablauf. Im individuellen Gespräch mit den Teilnehmern wurde aber auch der Wunsch geäußert, dass eine Streckung des Theorieteils von 3 auf 4 Tage für den Lernerfolg günstiger wäre. Der Hospitationsteil wurde als überaus wichtig für die alltägliche kinderärztliche Praxis eingeschätzt.

Ausblick

Alle Beteiligten, einschließlich der Sächsischen Landesärztekammer, erklärten sich bereit, bei entsprechender Nachfrage – insbesondere auch für Ausbildungs­assistenten zum Facharzt für Kinder- u. Jugendmedizin – das Curriculum in größeren Abständen erneut anzubieten. Von Teilnehmern des Kurses wurde auch der Wunsch geäußert, eine Art „Sozialpädiatrie-Update“ jährlich durchzuführen. Der Vorteil einer solchen Veranstaltung wäre, dass man bei einer Tagesveranstaltung dann auf einzelne sozialpädiatrische Aspekte detaillierter und tiefgründiger eingehen könnte und entsprechende Diagnostik- und Therapieverfahren erlernt werden können.

Dr. Christoph Kretzschmar


Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2016; 87 (6) Seite 401-402