Die bisherige Studienlage war eindeutig. Menschen und speziell auch Kinder unter ADHS-Medikation sind deutlich seltener in Unfälle und kriminelle Handlungen verwickelt als Patienten ohne entsprechende Medikation. Doch diese Schutzwirkung scheint heute spürbar nachgelassen zu haben.

Denn die Datenlage stellt sich heute anders dar als noch zu Anfang der 2000er-Jahre. Ging im Jahr 2006 das Risiko für Verkehrsunfälle und kriminelle Handlungen unter ADHS-Arzneien noch um knapp 30 % zurück, sind es heute nur noch rund 15 % – eine glatte Halbierung.

Zu diesem Schluss kommen Forschende vom Karolinska-Institut in Stockholm nach der Analyse von Medikamentenverordnungen sowie ADHS-bedingten Problemen in diversen schwedischen Registern an 250.000 Personen (JAMA Psychiatry 2025; online 25. Juni), die im Zeitraum von 2006 bis 2020 ausgewertet wurden. Dabei verfünffachte sich der Anteil der Kinder mit ADHS-Medikation von 0,6 % (2006) auf 2,8 % (2020).

Neben der faktischen Halbierung von Verkehrsunfällen und kriminellen Handlungen kamen 2006 Selbstverletzungen bei Patienten unter Medikation um 23 % seltener vor als bei Probanden ohne Medikation. 2020 lag der Unterschied nur noch bei 19 %. Eine etwas stärkere Reduktion ergab sich bei der Rate von unfallbedingten Verletzungen von 13 auf jetzt 7 %.

Die Studienautoren ziehen folgende Schlussfolgerung daraus: Da heute deutlich mehr (junge) Menschen mit schwächeren Symptomen und geringeren Beeinträchtigungen mit ADHS-Arzneien behandelt werden als noch vor 20 Jahren, ist auch von insgesamt geringeren therapeutischen Effekten hinsichtlich der Rate an Verkehrsunfällen oder kriminellen Handlungen auszugehen. Kritisch schlussfolgern die Autoren zudem, dass die deutliche Abschwächung der beschriebenen Effekte auch auf eine heute mögliche Überdiagnose und Übertherapie hindeuten könnte.



Autor:
© Hartmut Kreutz
Raimund Schmid


Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2025; 96 (6) Seite 406