Formen einer Hypothyreose, die nicht zu einer Erhöhung des TSH-Spiegels führen, werden im Neugeborenen-Screening nicht erfasst, z. B. die zentrale Hypothyreose, der Schilddrüsenhormon-MCT8-Transporterdefekt oder die periphere Schilddrüsenhormon-Resistenz. Wie können Sie dennoch diagnostiziert und therapiert werden?

Die Wirkung des Schilddrüsenhormons ist unverzichtbar für die normale geistige und motorische Entwicklung des Kindes. Unbehandelt führt die angeborene, primäre Hypothyreose zum schweren Krankheitsbild des "Kretinismus", der durch geistige und motorische Behinderung, Kleinwuchs, Adipositas und Depression gekennzeichnet ist [1]. Sowohl eine frühzeitige Diagnose mittels Neugeborenen-Screening als auch eine rechtzeitige Supplementierung mit L-Thyroxin ermöglichen den betroffenen Kindern heutzutage eine normale Entwicklung [2, 3].

Leider werden einige Formen der Hypothyreose im Screening nicht erkannt, da sie nicht zu einem Anstieg des TSH-Spiegels im Blut führen. Da diese Formen ebenfalls die Entwicklung der Kinder beeinträchtigen, möchten wir diese Sonderformen hier zusammenfassend darstellen.

Screening-negative Hypothyreose-Formen

Das in Deutschland in den späten 1970er-Jahren eingeführte Screening zur Diagnostik der angeborenen, primären Hypothyreose basiert auf der Messung der TSH-Konzentration in getrockneten Blutproben Neugeborener. Durch die Messung eines erhöhten TSH-Spiegels werden alle Formen der primären Hypothyreose erfasst, die durch einen Defekt der Schilddrüse selbst gekennzeichnet sind und so über die Hypophysen-Achse zu einem Anstieg der TSH-Spiegel führen (Abb. 1 a, b, c). Diese Störungen betreffen sowohl die Schilddrüsenhormon-Synthese als auch die Schilddrüsen-Organentwicklung.

Formen einer Hypothyreose, die nicht zu einer Erhöhung des TSH-Spiegels bei Neugeborenen führen, werden daher im Neugeborenen-Screening nicht erfasst. Hierzu zählt zum einen die zentrale Hypothyreose, die durch ein erniedrigtes oder inaktives TSH bei Defekten der Hypophyse oder des Hypothalamus gekennzeichnet ist. Zum anderen treten Formen der Hypothyreose auf, die durch eine gestörte Wirkung des Schilddrüsenhormons auf die Zielzelle gekennzeichnet sind und periphere Schilddrüsenhormon-Resistenz genannt werden: Hierzu zählen sowohl der Schilddrüsenhormon-MCT8-Transporterdefekt als auch der Schilddrüsenhormon-Rezeptordefekt. Diese "Screening-negativen" Formen der Hypothyreose können in gleicher Weise wie die primäre Hypothyreose schwerste Störungen der Kindesentwicklung bedingen, da jeweils die Wirkung des Schilddrüsenhormons fehlt bzw. nicht ausreicht.

Die Diagnose dieser Hypothyreose-Varianten hängt zuvorderst von der klinischen Einschätzung der Symptome betroffener Kinder durch ihre behandelnden Ärzte und Ärztinnen ab. Da die fehlende Wirkung des Schilddrüsenhormons an den Zielorganen unmittelbar nach der Geburt nur unspezifische Symptome verursacht und die psychomotorische Entwicklung zunächst fast immer unauffällig verläuft, werden diese Formen leider erst spät diagnostiziert. Als erste klinische Zeichen werden eine muskuläre Hypotonie in der U3- und dann eine fehlende Kopfkontrolle bei der U4-Untersuchung bemerkt. Daher gilt es, bei der differenzialdiagnostischen Abklärung dieser Symptome unbedingt an die "Screening-negativen Formen der Hypothyreose" zu denken, da für einige dieser Kinder eine Therapieoption besteht.

Die zentrale Hypothyreose

Alle Störungen, die eine inadäquate TSH-Sekretion der Hypophyse nach sich ziehen, führen zu einer "zentralen" Hypothyreose (Abb. 1 c), da eine normale Schilddrüsenfunktion nur bei ausreichender TSH-Stimulation aufrechterhalten werden kann.

Als Ursachen kann entweder eine isolierte TSH-Defizienz vorliegen, beispielsweise durch einen Defekt des TSHβ-Gens, oder es kann ein kombinierter Hypopituitarismus auftreten, der durch Entwicklungsdefizite der Hypophyse verursacht sein kann. In letzterem Fall kann die Hypothyreose mit zusätzlichen Symptomen einer ADH- oder Cortisol-Defizienz einhergehen [4]. Neben diesen Formen der zentralen Hypothyreose, die als Folge eines Hypopituitarismus auch als "sekundäre Hypothyreose" bezeichnet werden, existieren auch Störungen des übergeordneten Hypothalamus, die durch Fehlen des TRHs eine "tertiäre Hypothyreose" bedingen. Hierbei wird zwar TSH gebildet und sezerniert, aber das Fehlen des Releasing-Hormons (TRH) führt zu einem "bio-inaktiven" TSH, das an der Schilddrüse unwirksam ist [5].

Die Entwicklungsstörungen der Kinder mit einer zentralen Hypothyreose lassen sich klinisch nicht von denen bei der primären Hypothyreose unterscheiden. In beiden Fällen weisen Kinder zunächst eine Muskelhypotonie und eine fehlende motorische Entwicklung in den U3- bzw. U4-Vorsorgeuntersuchungen auf. Da die niedrigen TSH-Spiegel dieser Kinder im Neugeborenen-Screening unerkannt bleiben, müssen die klinischen Symptome bei den U-Untersuchungen zur Diagnose führen.

In der diagnostischen Abklärung einer Muskelhypotonie oder motorischen Entwicklungsverzögerung ist daher die Bestimmung der Schilddrüsenhormone selbst nach normalem Neugeborenen-Screening extrem wichtig. Bei der zentralen Hypothyreose findet sich dann ein erniedrigter T4-Spiegel (gesamt- oder freies T4). Oft, aber nicht obligat, findet man auch eine Erniedrigung des T3-Spiegels (gesamt- oder freies T3). Das TSH ist bei der sekundären Hypothyreose aufgrund eines Hypophysen-Defektes sehr niedrig bzw. beim TSHβ-Gendefekt überhaupt nicht nachweisbar. Bei der tertiären Hypothyreose kann paradoxerweise ein leicht erhöhtes, aber inaktives TSH vorliegen.

Die weitere endokrinologische Diagnostik sollte dann mögliche kombinierte Hypophysen-Defekte ausschließen. Dies geschieht durch die die Bestimmung weiterer hypophysärer Hormone bzw. der Hormonachsen wie der Serumspiegel von ACTH, Cortisol, IGF1-BP3 und Prolaktin, oder durch Funktionstests. Weiterhin sollte eine MRT-Bildgebung der Hypophysen-Hypothalamus-Region erfolgen, um assoziierte ZNS-Fehlbildungen zu erkennen.

Die Behandlung sowohl der zentralen als auch der primären Hypothyreose erfolgt mit L-Thyroxin und ermöglicht den Kindern eine normale Entwicklung. Voraussetzung ist der frühe Beginn der Therapie in den ersten Lebenswochen. Hierfür ist der "richtige" klinische Verdacht in den U3- und U4-Vorsorgeuntersuchungen ausschlaggebend. Da der TSH-Spiegel im Gegensatz zur primären Hypothyreose nicht als individueller Steuerungsparameter der L-Thyroxin-Supplementierung zur Verfügung steht, empfiehlt man, die Kinder in den oberen Normalbereich der Gesamt-T4- bzw. Gesamt-T3-Spiegel einzustellen [6]. Die Therapiesteuerung sollte möglichst in Zusammenarbeit mit einer pädiatrisch-endokrinologischen Einrichtung erfolgen.

Der entscheidende Befund einer zentralen Hypothyreose bei einem Kind mit ersten Entwicklungsstörungen ist der erniedrigte T4-Spiegel bei entweder fehlendem, niedrigem oder nicht ausreichend erhöhtem TSH-Spiegel.

Der MCT8-Schilddrüsenhormon-Transporterdefekt

Bei dem erst 2004 beschriebenen Schilddrüsenhormon-Transporterdefekt (MCT8-Defekt) ist im Körper genügend Schilddrüsenhormon vorhanden, jedoch kann es nicht adäquat in die Zielzellen des ZNS aufgenommen werden [7]. Da das MCT8-Gen auf dem X-Chromosom liegt, sind nur Jungen betroffen. Sie weisen eine der primären oder sekundären Hypothyreose sehr ähnliche Entwicklungsstörung auf. Allerdings ist die Symptomatik deutlich schwerer ausgeprägt und die meisten Jungen erreichen selbst nach Jahren keine Kopfkontrolle. Anders als bei der primären oder sekundären Hypothyreose finden sich im weiteren Erkrankungsverlauf neben der motorischen Entwicklungsstörung noch zusätzliche neurologische Symptome wie eine beinbetonte Spastik und zum Teil schwere Dystonien vor allem der oberen Extremität [8]. Neben diesen motorisch-neurologischen Symptomen sind die Betroffenen weder lethargisch noch depressiv, so wie man es bei einer unbehandelten primären Hypothyreose erwarten würde. Man kann daher davon ausgehen, dass der MCT8-Transporterdefekt nicht alle Hirnregionen in gleichem Maße betrifft und dass das Schilddrüsenhormon die Neurone des limbischen Systems erreicht.

Während die T4- und TSH-Spiegel der betroffenen Jungen meistens im Normalbereich liegen, findet sich eine paradoxe und bisher endokrinologisch nicht verstandene Erhöhung des T3-Spiegels im Serum. Diese hohen T3-Spiegel scheinen in einigen Organen, die nicht vom MCT8-Transport abhängig sind, eine lokale Hyperthyreose zu verursachen. Am Herzen kommt es dadurch zu einer Tachykardie und die Stimulation des Grundumsatzes verursacht eine progrediente Kachexie (Abb. 2 a). Dieses komplexe Krankheitsbild einer X-chromosomalen, motorischen Entwicklungsstörung mit Spastik und Dystonie sowie einer Kachexie wurde bereits 1944 beschrieben und in der Folge nach seinen Erstbeschreibern als "Allan-Herndon-Dudley-Syndrom" (AHDS) bezeichnet. Nach der Entdeckung des MCT8-Defektes konnte auch bei den zuvor als AHDS publizierten Fällen ein MCT8-Schilddrüsenhormon-Transporterdefekt nachgewiesen werden [9].

Auch bei der Diagnostik des MCT8-Defekts (AHDS) steht die Schilddrüsenhormonbestimmung im Serum ganz im Vordergrund: Wir finden bei den Betroffenen einen deutlich erhöhten T3-Spiegel bei gleichzeitig niedrig-normalem T4-Spiegel und normalem TSH-Spiegel. Bei keinem anderen Krankheitsbild findet sich eine derartige Schilddrüsenhormon-Konstellation. Allerdings muss man hierfür unbedingt den T3-Spiegel bestimmen. Bei der allgemein üblichen Bestimmung nur der TSH- und T4-Spiegel würde man die diagnostisch wegweisende T3-Erhöhung übersehen. Dies ist auch der Grund, warum die meisten Patienten bisher erst spät, im Alter von mehreren Jahren, diagnostiziert wurden. Eine weitere diagnostische Schwierigkeit besteht darin, dass die T3-Erhöhung bei Neugeborenen noch nicht vorhanden ist und wir bisher nicht sicher wissen, wann sie während der ersten Lebensmonate auftritt [10]. Die jüngsten bisher diagnostizierten MCT8-defizienten Kinder mit T3-Erhöhung waren 12 Monate. Es kann daher sein, dass in den Monaten davor eine Diagnose mittels T3-Bestimmung nicht gelingt und auch hier eine direkt-genetische Diagnostik erforderlich wäre (siehe unten).

Beim Allan-Herndon-Dudley-Syndrom bzw. dem MCT8-Transporterdefekt wird die Diagnose durch erhöhte T3-Spiegel gestellt, während die T4- und TSH-Spiegel normal sind: Bei der Abklärung einer Entwicklungsstörung müssen daher immer T3-, T4- und TSH-Spiegel gemeinsam bestimmt werden.

Therapeutisch stellt der MCT8-Transporterdefekt eine große Herausforderung dar. Erhöht man die Schilddrüsenhormon-Konzentration im Blut durch Gabe von L-Thyroxin mit dem Ziel, die Transportstörung im ZNS zu kompensieren, steigen die T3-Spiegel massiv an und lösen eine schwere periphere Hyperthyreose mit Tachykardie aus, sodass man diese Behandlungsversuche rasch wieder abgebrochen hat [11].

In den letzten Jahren hatte man große Hoffnungen auf einen Therapieversuch mit dem Schilddrüsenhormon-Analogon "TRIAC" gesetzt. Man ging davon aus, dass TRIAC im Gegensatz zum T3 den Transporterdefekt umgehen und so die Resistenz kompensieren könnte. Erste Studien haben leider gezeigt, dass TRIAC die schwerste neuromotorische Entwicklungsstörung nicht verbessert [12]. Aktuell wird in einer weiteren TRIAC-Behandlungsstudie geprüft, ob ein früherer Behandlungsbeginn bei Kindern unter 2 Jahren einen besseren Effekt erzielen und die periphere Hyperthyreose-Symptomatik mit schwerer Kachexie durch eine Suppression des T3 verbessert werden könnte.

Der Schilddrüsenhormon-Rezeptor-alpha-Defekt

Eine weitere Erkrankung, die Symptome einer angeborenen Hypothyreose aufweist, ohne dass sie im Neugeborenen-Screening erkannt wird, ist der Defekt des Schilddrüsenhormon-Rezeptors alpha [13]. Das Schilddrüsenhormon bindet in den Zielzellen an Rezeptoren, die im Zellkern lokalisiert sind und dort in der Regulation der Gentranskription eine wichtige Rolle spielen. Es gibt 2 unterschiedliche Schilddrüsenhormon-Rezeptoren: Die Schilddrüsenhormon-Rezeptoren alpha und beta. Beide Rezeptoren vermitteln die T3-Wirkung in den Zielorganen wie im ZNS, dem Knochen und dem Darm. In der Hypophyse dagegen wird die Bildung des TSH und damit die Schilddrüsenhormon-Achse allein über den Schilddrüsenhormon-Rezeptor beta reguliert (Abb. 2 c).

Ein Defekt des Schilddrüsenhormon-Rezeptors beta führt daher zu einem Anstieg der Serumspiegel von TSH-, T3- und T4 (Abb. 2 b). Die von einem solchen Defekt betroffenen Patienten haben eher leichte Symptome einer Hyperthyreose bzw. sind in den meisten Fällen sogar asymptomatisch, da sich die Wirkungen der beiden Rezeptoren gegenseitig kompensieren [14].

Wir finden bei den Patienten mit einem Schilddrüsenhormon-Rezeptor-alpha-Defekt eine paradoxe Situation, in der schwere Hypothyreose- Symptome durch eine Rezeptorstörung in den Zielzellen zustande kommen, ohne dass die Schilddrüsenfunktionswerte im Serum verändert wären. Die Diagnose kann daher durch eine Hormonbestimmung im Serum nicht gesichert werden.

Im Gegensatz dazu weisen die erst kürzlich entdeckten Patienten mit einem Schilddrüsenhormon-Rezeptor-alpha-Defekt schwere Hypothyreose-Symptome auf. Diese resultieren aus der fehlenden Wirkung der alpha-Rezeptoren in den meisten Zielzellen. Gleichzeitig sind die Serumspiegel von TSH, T4 und T3 normal, da diese durch Vermittlung des in der Hypophyse normal funktionierenden Schilddrüsenhormon-Rezeptors beta im Normbereich gehalten werden (Abb. 2 c). Die normalen TSH-Spiegel sind dafür verantwortlich, dass auch diese Hypothyreose-Variante nicht im Neugeborenen-Screening erkannt wird.

Aufgrund der normalen Serumspiegel wurde diese Erkrankung erst sehr spät, zum ersten Mal bei einer britischen Patientin entdeckt. Das betroffene Mädchen war viele Jahre mit einem klinischen Hypothyreose-Verdacht erfolglos untersucht worden, da sie keine Auffälligkeiten der TSH-, T4- oder T3-Serumspiegel aufwies. Erst durch eine Gesamtexom-Sequenzierung, bei der alle kodierenden Gene gleichzeitig untersucht werden, konnte man den Defekt des Schilddrüsenhormon-Rezeptor-alpha-Gens diagnostizieren [15].

Die führenden Symptome der Patienten mit einem Schilddrüsenhormon-Rezeptor-alpha-Defekt sind neben der initialen Entwicklungsstörung vor allem Kleinwuchs, Obstipation und Adipositas; ähnlich den unbehandelten, historischen Fällen der primären Hypothyreose. Darüber hinaus findet sich eine Anämie und einige Patienten weisen Hautanhängsel und Nävi auf. Das Spektrum der Symptome ist sehr variabel und man sollte bei jeder Entwicklungsstörung auch ohne weitere Begleitsymptome an einen solchen Schilddrüsenhormon-Rezeptor-alpha-Defekt denken. Letztendlich gelingt aber die Diagnosestellung nur durch eine genetische Untersuchung, da, wie erwähnt, charakteristische Serummarker fehlen. Sollten zusätzliche Symptome wie Obstipation, Kleinwuchs und Anämie vorliegen, kann eine gezielte Gendiagnostik zum Beispiel mit einer Schilddrüsen-Panelsequenzierung erfolgen. Da diese zusätzlichen Symptome aber bei Krankheitsmanifestation (mit Muskelhypotonie und Entwicklungsstörung) bei den U3- und U4-Vorsorgeuntersuchungen noch fehlen können, empfehlen wir in diesem Fall zur Differenzialdiagnose einer Entwicklungsstörung bei negativen Serum-Markern eine frühe Gesamtexom-Sequenzierung durchzuführen. Eine unklare Serumdiagnostik bei entwicklungsgestörten Kindern kann mit hunderten verschiedener seltener genetischer Erkrankungen einhergehen. Diese können heute in vielen Fällen sicher und früh mit Hilfe einer Gesamtexom-Sequenzierung aufgeklärt werden. Daher stellt die Gesamtexom-Sequenzierung den schnellsten und sichersten Weg zu einer frühen Diagnose dieser Erkrankungen dar, ohne dass weitere invasive Diagnoseschritte erforderlich werden [16]; so auch bei der Diagnose des Schilddrüsenhormon-Rezeptor-alpha-Defektes.

Da der Schilddrüsenhormon-Rezeptor-alpha-Defekt durch L-Thyroxin behandelbar ist, sollte eine frühestmögliche Diagnose angestrebt werden. Dies gelingt nicht durch eine Untersuchung der Serum-Parameter, sondern nur durch eine genetische Diagnostik, z. B. einer Gesamtexom- Sequenzierung.

Im Gegensatz zum MCT8-Defekt, bei dem die zusätzliche Gabe von L-Thyroxin zu schweren Hyperthyreose-Symptomen führt, kann man bei Kindern mit Schilddrüsenhormon-Rezeptor-alpha-Defekt die Rezeptor-Resistenz mit L-Thyroxin zumindest teilweise kompensieren. Mehrere Arbeiten berichten sowohl über eine Verbesserung des Wachstums und der motorischen Entwicklung als auch den Rückgang der zum Teil schweren Obstipation [17]. In Analogie zur angeborenen, primären und sekundären Hypothyreose sollte man deshalb mit der Therapie so früh wie möglich beginnen. Eine frühestmögliche Diagnose ist daher auch beim Schilddrüsenhormon-Rezeptor-alpha-Defekt entscheidend.

Wesentliches für die Praxis . . .
  • Bei jedem Kind mit einer Entwicklungsverzögerung bzw. einer Muskelhypotonie sollte man auch trotz zuvor normalen Neugeborenen-Screenings an eine Schilddrüsenfunktionsstörung denken.
  • In der Differenzialdiagnostik der großen Gruppe von Kindern mit Entwicklungsverzögerung bzw. einer Muskelhypotonie empfehlen wir die Durchführung einer vollständigen Schilddrüsenfunktionsdiagnostik mit Bestimmung der TSH-, T4- UND T3-Serumspiegel. Hierdurch lassen sich Kinder mit einer zentralen Hypothyreose und einem MCT8-Defekt diagnostizieren.
  • Ergeben die Serumwerte keine eindeutige Diagnose, sollte gemäß der jüngsten Empfehlungen der humangenetischen Fachgesellschaften [16], vor weiteren invasiven diagnostischen Maßnahmen frühzeitig eine Gesamtexom-Sequenzierung durchgeführt werden.
  • Durch die Gendiagnostik lässt sich auch der im Serum nicht auffällige Schilddrüsenhormon-Rezeptor-alpha-Defekt sicher diagnostizieren.
  • Nach Diagnosestellung können die zentrale Hypothyreose und der Schilddrüsenhormon-Rezeptor-alpha-Defekt durch L-Thyroxin mit zum Teil sehr gutem Erfolg behandelt werden.


Literatur
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Interessenkonflikt
Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Beitrag besteht.

Die Autoren geben an, dass sie durch die DFG im Verbundprojekt „locotact-CRC-296“ unterstützt werden.


Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2023; 94 (3) Seite 196-202