Häufig gestellte Fragen zur Beikost und Antworten aus dem "Ernährungsplan für das 1. Lebensjahr" – zusammengestellt von der wissenschaftlichen Leiterin des Forschungsdepartments Kinderernährung der Universitäts-Kinderklinik Bochum, Professor Mathilde Kersting.
Die Beikost hat im Gegensatz zum Stillen und zur Flaschenernährung in der Wissenschaft noch wenig Beachtung gefunden. Dementsprechend sind die Empfehlungen von Land zu Land und teilweise sogar innerhalb eines Landes unterschiedlich. Die pädiatrische Ernährungsberatung benötigt aber wissenschaftlich aktuelle und praktisch anwendbare Richtlinien. Diese finden sich in Deutschland im "Ernährungsplan für das 1. Lebensjahr" (Abb. 1). Er stammt aus dem ehemaligen Forschungsinstitut für Kinderernährung Dortmund und wird am Forschungsdepartment Kinderernährung (FKE) der Universitätskinderklinik Bochum (siehe Infokasten) fortentwickelt. Beikost (complementary feeding) umfasst definitionsgemäß alle flüssigen und festen Lebensmittel für den Säugling außer Muttermilch, Säuglingsanfangsnahrung und Folgenahrung.
Wann? Argumente für den Zeitpunkt der Beikosteinführung
Die Frage des geeigneten Alters für die Einführung der Beikost wird je nach Blickwinkel differenziert betrachtet. Dass hier aktuell wissenschaftlicher und regulatorischer Klärungsbedarf besteht, mag man daran ablesen, dass die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) im Auftrag der Europäischen Kommission zur Zeit in einem dreijährigen Projekt die wissenschaftliche Evidenz zur Beantwortung dieser Frage bewertet. In Deutschland wird der Diskussionsrahmen im Wesentlichen abgesteckt durch Befürworter des sechsmonatigen ausschließlichen Stillens auf der einen Seite – und der Argumentation der Allergieprävention, wonach eine Verzögerung der Beikost nach viermonatiger Vollstilldauer nicht empfohlen wird, auf der anderen Seite.
Dauer des ausschließlichen Stillens
Die WHO empfiehlt weltweit ausschließliches Stillen (d. h. Muttermilch, ggf. zusätzlich Supplemente von Vitaminen oder Mineralstoffen) in den ersten 6 Lebensmonaten als "Public Health"-Ziel. Randomisierte kontrollierte Studien zur Evidenzsicherung der Empfehlung sind nach wie vor rar. Zwar wurden keine Nachteile des ausschließlichen Stillens in den ersten 6 Lebensmonaten für das Wachstum der Säuglinge beobachtet. Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass bei empfindlichen Säuglingen die Eisenversorgung beeinträchtigt wird. In Deutschland werden schätzungsweise bis zu 15 % der Säuglinge in den ersten 6 Monaten ausschließlich gestillt.
Allergieprävention
Andererseits zeigen neue randomisierte kontrollierte Interventionsstudien bei allergiegefährdeten wie bei nicht gefährdeten Säuglingen, dass eine "frühe" Einführung von Lebensmitteln mit hohem allergenen Potenzial (wie Ei, Weizen, Kuhmilch, Erdnuss) im Alter von etwa 4 – 6 Monaten das Risiko für die Entwicklung einer Nahrungsmittelallergie im Kindesalter vermindern kann. Aus den Daten lässt sich allerdings nicht ableiten, dass Säuglinge generell oder speziell allergiegefährdete Säuglinge schon früh gezielt hochallergene Lebensmittel erhalten sollten. Bestätigt wird aber der Paradigmenwechsel von der über lange Jahre empfohlenen "hypoallergenen" Beikost für allergiegefährdete Säuglinge zur frühen Exposition mit dem Ziel der Toleranzentwicklung für alle Säuglinge.
Essfertigkeiten
Ein übergeordnetes Argument für das geeignete Alter der Beikosteinführung ist die sensomotorische Entwicklung der Kinder. Im Alter von 4 – 5 Monaten verschwindet bei den meisten Kindern der Saug-Schluck-Reflex (Extrusionsreflex), während sich die Fähigkeit entwickelt, Nahrungsbrei mit der Zunge zu transportieren. Mit 5 – 6 Monaten zeigen die Kinder Interessen- und Verweigerungsreaktionen gegenüber dem Essen. Einige Kinder essen Brei bereits mit 4 Monaten, die meisten mit 5 – 6 Monaten, manche erst mit 7 – 8 Monaten.
Diese große interindividuelle Variabilität spricht für das im "Ernährungsplan" vorgesehene Zeitfenster von 4 – 6 Monaten anstatt eines festen Zeitpunktes für die Einführung der Beikost. Dieses Zeitfenster wird von der ESPGHAN bestätigt. Es besagt im Detail, dass Beikost nicht vor dem Beginn des 5. Monats (17. Woche) und nicht später als zu Beginn des 7. Monats (26. Woche) eingeführt werden soll. Mit dieser Flexibilität lassen sich auch andere Argumente für die Beikost vereinbaren und die individuelle Handhabung in der Praxis erleichtern.
Was? Auswahl der Lebensmittel
Kritischer Nährstoff Eisen
Nicht nur beim Thema "vegetarische Ernährung" stellt sich bei der Beikost die Frage nach der Eisenversorgung. Im 2. Lebenshalbjahr, mit Erschöpfung der pränatalen Eisenspeicher und hohem Wachstumsbedarf, ist der Eisenbedarf (pro kg Körpergewicht) höher als jemals sonst im späteren Leben. Im "Ernährungsplan" wird der ersten Beikostmahlzeit (Gemüse-Kartoffel-Fleisch-Brei) deshalb Fleisch (mit zweiwertigem Eisen, Bioverfügbarkeit ca. 20 %) zugegeben. In den nachfolgenden Beikostmahlzeiten (Milch-Getreide-Brei, Getreide-Obst-Brei) wird die geringe Bioverfügbarkeit des dreiwertigen Eisen aus Getreide (ca. 3 %) durch Kombination mit Vitamin-C-reichem Obst erhöht. Dennoch waren in 2 Studien des FKE unter Beratung anhand des "Ernährungsplans" bei etwa 30 % der Säuglinge im Alter von 10 Monaten die Eisenspeicher erschöpft, aber noch ohne Entwicklung einer Anämie oder klinischen Auffälligkeiten.
Zur Nährstoffversorgung von vegetarisch ernährten Säuglingen in Deutschland liegen keine Daten vor. In der Praxis kann zur Abklärung eine individuelle Ernährungsanamnese dienen, im Einzelfall können ergänzende Labordaten notwendig sein, z. B. Eisenstatus.
Sensorische Variation – nicht nur Karotte
In Deutschland war die Karotte generationenübergreifend als erste Beikost das Lebensmittel der Wahl. Argumente waren der süßliche Geschmack (angeborene Süßpräferenz) und die gute Verträglichkeit.
Neue Studien zeigen dagegen, dass eine Variation der Gemüsesorten in der Einführungsphase der Beikost die Akzeptanz von neuen Lebensmitteln im Beikostalter erhöht. Die Offenheit für neue Lebensmittel ließ sich auch im Alter von 6 Jahren noch nachweisen. Eltern können also ermutigt werden, die Gemüsevielfalt im hiesigen Angebot auch für die Beikost von Anfang an zu nutzen.
Wie? Brei oder Fingerfood?
In Elternforen und manchen Hebammenkreisen ist das sogenannte "Baby led Weaning" seit einiger Zeit ein beliebtes Thema. Das Konstrukt des Baby led Weaning wurde von einer britischen Hebamme und Stillberaterin entwickelt und in Büchern auch ins Deutsche übersetzt. Es geht davon aus, dass das Prinzip des Stillens nach Bedarf bei der Beikost fortgeführt wird, in dem das Kind nun aber nicht nur die Menge, sondern auch die Auswahl der Lebensmittel selbst bestimmt und sich selbst füttert. Die Phase der Breifütterung wird somit übersprungen.
Es wird postuliert, dass die frühe Selbststeuerung des Babys beim Essen der Entwicklung von wählerischem Essen im Kleinkindalter vorbeuge. Allerdings fehlt bisher der Nachweis. Die vorliegenden Studien sind für eine ernährungsmedizinische Bewertung des Baby led Weaning wenig hilfreich, da eine saubere Randomisierung in der Praxis kaum umzusetzen ist.
Bei strenger Anwendung des Baby led Weaning besteht die Gefahr multipler Nährstoffdefizite einschließlich Energie. Denn die Fähigkeiten zur Bewältigung fester Nahrung entwickeln sich erst im Verlauf des 2. Lebenshalbjahres. Die Nährstoffversorgung würde somit noch weit bis in das 2. Lebenshalbjahr durch das Stillen bestimmt, während im "Ernährungsplan" die adäquate Nährstoffzufuhr durch die Beikost bei fortgeführtem Teilstillen gesichert wird.
Das Baby led weaning kann aber Denkanstöße für eine Öffnung der Breiempfehlungen im "Ernährungsplan"’ geben. Beikost als Fingerfood und die traditionelle Breieinführung schließen einander nicht aus. Auf diese Weise können sich die Vorteile der Ernährung nach dem "Ernährungsplan" (ausreichende Energie- und Nährstoffzufuhr) und des Baby led Weaning (frühzeitige Gewöhnung an sensorisch vielfältige Lebensmittel) ergänzen.
Oberstes Ziel des neuen Forschungsdepartments Kinderernährung (FKE) ist die Förderung der Gesundheit von Kindern und die Prävention ernährungsmitbedingter Krankheiten wie Adipositas und Diabetes im späteren Leben durch eine gesunde Ernährung von Anfang an. Das FKE gehört seit Anfang 2017 zur Universitätskinderklinik Bochum und kann hier seinen Forschungsradius in die Ernährung von kranken Kindern ausbauen.
Das neue FKE- führt die anwendungsorientierten Forschungsschwerpunkte des ehemaligen Forschungsinstituts für Kinderernährung Dortmund (FKE) zu Ernährung und Prävention bei gesunden Kindern fort
- und verbindet sie jetzt mit der pädiatrischen Ernährungsmedizin und der Versorgung von kranken Kindern in Klinik und Praxis.

Interessenkonflikt: Die Autorin gibt an, dass keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Beitrag bestehen.
Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2018; 89 (5) Seite 345-349