Polio ist hierzulande fast in Vergessenheit geraten, seitdem ein Impfstoff mit abgeschwächten Viren die Erkrankung nahezu ausgerottet hat. Doch nun werden seit Monaten Polioviren im Abwasser mehrerer deutscher Städte gefunden. Welche Gefahr geht davon aus?
Wie das Robert Koch-Institut (RKI) berichtete, wurden in mehreren deutschen Städten Polio-Viren im Abwasser entdeckt. Die nachgewiesenen Erreger vom Typ cVDPV2 stammen von Impfviren, die sich im Laufe der Zeit so verändert haben, dass sie wieder pathogen sind – vor allem für Menschen mit unzureichendem Impfschutz. Nach Einschätzung des RKI erscheint es „zunehmend wahrscheinlicher, dass derzeit in Deutschland zumindest lokal begrenzt eine Übertragung von cVDPV2 stattfindet“. Begründet wird dies mit der langen Dauer des Geschehens – über erste auffällige Wasserproben wurde bereits Ende 2024 in einem Großteil der nun betroffenen Städte berichtet – und dem Nachweis von cVDPV2 an verschiedenen Standorten.
„Die jetzige Situation ist zwar ein Rückschlag, aber aufgrund der hohen Immunisierung in Deutschland muss keine Endemie befürchtet werden“, erklärt Prof. Dr. Uta Meyding-Lamadé, Mitglied der DGN-Kommission Neuroinfektiologie und stellvertretende Vorsitzende der Nationalen Poliokommission des RKI. „Allerdings müssen wir davon ausgehen, dass sich Kinder ohne Impfschutz sowie immungeschwächte Erwachsene ohne Impfschutz nun auch wieder in Deutschland mit Polioviren infizieren könnten.” Eine Infektion bedeutet zwar nicht automatisch eine Erkrankung, neurologische Folgen sind jedoch nicht ausgeschlossen.
Wichtig sei es, den Impfschutz von Kindern zu überprüfen, den die Kinderärztinnen und Kinderärzte ohnehin im Blick haben, aber es gebe immer wieder Fälle, in denen aus verschiedensten Gründen Impftermine nicht wahrgenommen werden und die Kinder nicht ausreichend geschützt seien. Ein besonderes Augenmerk müsse auf Kinder in und aus Krisengebieten gelegt werden, wo notwendige Impfungen oft nicht mehr durchgeführt werden können, betont Meyding-Lamadé.
Eine zweite gefährdete Gruppe sind Erwachsene, deren Immunkompetenz durch angeborene oder erworbene Störungen des Immunsystems oder durch die Einnahme von Immunsuppressiva eingeschränkt ist. Meyding-Lamadé betont, dass es keinen Grund zur Panik gibt, da sich Erwachsene sehr viel seltener infizieren und nur in Ausnahmefällen schwere Verläufe auftreten. Dennoch sollten Ungeimpfte dieser Risikogruppe eine Impfung in Erwägung ziehen und bereits geimpfte Personen sollten prüfen, wann die nächste Auffrischungsimpfung fällig ist.
Auch hier gilt: Regelmäßiges Händewaschen und Handdesinfektion minimieren das Übertragungsrisiko!
Katharina Maidhof-Schmid