Empfehlungen der DGSPJ zum Ausbau des Schulgesundheitssystems durch „school nurses“ in Deutschland - eine Zusammenfassung.

Die "Empfehlungen zum Ausbau des Schulgesundheitssystems durch ,school nurses‘ in Deutschland" wurden vom Fachausschuss ÖGD der DGSPJ erarbeitet und im Februar 2015 durch den Vorstand der DGSPJ als fachliche Stellungnahme veröffentlicht ( http://www.dgspj.de/service/stellungnahmen ). Der nachfolgende Beitrag stellt eine Zusammenfassung der Empfehlungen dar.


Empfehlungen im Überblick

  • Aufgrund der in den letzten 10 Jahren zunehmend hohen Prävalenz chronisch kranker Schülerinnen und Schüler ist die pflegerische und gesundheitliche Betreuung von Kindern im Schulalltag neu auszugestalten. Dies gilt auch vor dem Hintergrund eines längeren täglichen Aufenthaltes von Kindern in Schule (Ausbau von Ganztagsschulen).
  • Durch die Bemühungen zur Umsetzung von Inklusion sind die Schülerinnen und Schüler mit erhöhtem gesundheitlichen Versorgungsbedarf nicht mehr auf einzelne Förder- oder Schwerpunktschulen konzentriert, sondern verteilen sich auf die allgemeinbildenden Schulen. Dort müssen adäquate Voraussetzungen gegeben sein, diesen Bedarfen gerecht zu werden.
  • Um dieser Problematik zu begegnen, sollten die Empfehlungen der WHO, in den Ländern Europas einen "school health service" zu etablieren, auch in Deutschland verstärkt über den Öffentlichen Gesundheitsdienst umgesetzt werden.
  • Zentrale Aufgaben der Schulgesundheitsschwestern wären nach internationalen Erkenntnissen: Case Managerin für chronisch kranke Kinder, erste Ansprechpartnerin bei Unfällen und medizinischen Notfällen, aber auch für alle anderen gesundheitlichen Belange der Kinder, Kümmerer vor Ort: Brückenbauen und Vernetzungsfunktion sowie enge Zusammenarbeit mit dem Team des Kinder- und Jugendgesundheitsdienstes.
  • Aufgrund ihrer Basisqualifikation in der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege ist die Berufsgruppe der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege für diese Aufgaben prädestiniert. Aufbauend auf vorliegende Curricula gibt es bereits Konzepte für eine spezifische Zusatzqualifizierung.
  • In vielen Ländern Europas ist das Versorgungsmodell der "school nurse" seit Jahren etabliert. Zudem bewähren sich in mehreren deutschen Bundesländern erfolgreiche Praxismodelle in verschiedenen Schulformen.
  • Es gibt ein realisierbares Finanzierungsmodell auf der Grundlage einer Mischfinanzierung, so die Ergebnisse der Brandenburger Machbarkeitsstudie [4].
  • Prävention und Gesundheitsförderung – auch im Sinne des neuen Präventionsgesetzes – können mithilfe der Schulgesundheitsschwester wirksamer und nachhaltiger im Setting Schule umgesetzt werden. Entsprechend gilt dies für die schulbezogenen Ziele des Nationalen Impfplans.
  • Nicht zuletzt zahlt sich die Struktur im ÖGD aus, da die enge Kooperation mit Schule bereits langfristig besteht (schulärztliche Untersuchungen, Schulsprechstunden, Impfprävention, Suchtprävention, etc.). Auf die Kompetenz und Erfahrung des ÖGDs in Zusammenarbeit mit Schule kann somit weiter aufgebaut werden.
  • Wesentlich ist die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den Systemen von Gesundheit und Schule. Eine fachliche Einbindung des Kinder- und Jugendgesundheitsdienstes (KJGD) bzw. schulärztlichen Dienstes, der in vielen Bundesländern mit seinen Teams betriebsmedizinische Aufgaben in Gemeinschaftseinrichtungen wahrnimmt, ist daher erforderlich. So kann in einem medizinisch ausgerichteten Team arbeitsteilig sowohl mit dem einzelnen Schüler als auch unter Einbeziehung der Schule systematisch und nachhaltig gearbeitet werden.


Hintergrund und Zielsetzung

Bildungspolitische Zielsetzungen verändern den Schulalltag unserer Kinder und Jugendlichen. Durch die Bemühungen zur Umsetzung von Inklusion sind Kinder mit erhöhten sonderpädagogischen und gesundheitlichen Bedarfen nicht mehr auf einzelne Förderschulen konzentriert, die in der Regel über entsprechende verlässliche Rahmenbedingungen und personelle Ressourcen verfügen. Allgemeinbildende Schulen, die diese Kinder integrieren, benötigen dazu aber weit mehr als rein sonderpädagogische Ressourcen, sondern müssen auch in die Lage versetzt werden, den speziellen gesundheitlichen Bedürfnissen der Schüler gerecht zu werden. Dies gilt besonders vor dem Hintergrund, dass heute Ganztagsmodelle weiter ausgebaut werden und sich damit die Aufenthaltszeit in der Schule auch schon im Primarstufenbereich bis in den Nachmittag ausdehnt.

Allgemeinbildende Schulen stehen heute stärker denn je vor der Herausforderung, eine heterogene Vielfalt von chronisch kranken, entwicklungsbeeinträchtigten und behinderten Kindern angemessen zu fördern [12]. Zwei Fallbeispiele aus dem KJGD sollen das verdeutlichen:

  • Bei Martin wurde in der ersten Klasse ein ADHS diagnostiziert und seit einigen Tagen medikamentös behandelt. Der betreuende Kinder- und Jugendarzt ist auf eine Verhaltensbeobachtung des Schülers während des Unterrichts angewiesen. Auch wenn der Bogen für eine solche Rückmeldung gut vorstrukturiert ist: Dem Klassenlehrer fehlt die Möglichkeit, den einzelnen Schüler hinreichend im Blick zu haben, um eine Antwort geben zu können, die eine Anpassung des multimodalen leitliniengerechten Behandlungskonzepts ermöglicht.
  • Nadine besucht eine Förderschule, die auf die besonderen Bedürfnisse körperlich beeinträchtigter Kinder ausgerichtet ist. Wegen ihrer Grunderkrankung Mukoviszidose muss sie während des täglichen Schulbesuchs dreimal über die Trachealkanüle abgesaugt werden. Dafür kommen wechselnde Mitarbeiter eines ambulanten Pflegedienstes in die Schule. Damit sind aber nicht alle Probleme in Nadines Schulalltag gelöst, die z. B. im Kontakt mit Mitschülern, in der Kommunikation mit Eltern und Lehrern, bei besonderen Schulveranstaltungen etc. auftreten.

Der Morbiditätswandel im Kindesalter bringt zusätzliche Herausforderungen für die Schule mit sich. Die Infektionserkrankungen sind durch psychische Störungen, Entwicklungsdefizite und chronische Erkrankungen abgelöst worden. Die Brandenburger Analysen zur Gesundheit der Einschulungskinder [8] zeigen für das Jahr 2014 folgende schulrelevante gesundheitliche Einschränkungen: Bei 30 % der Kinder wurden schulrelevante Entwicklungsdefizite festgestellt (darunter 20 % Sprach- und Sprechstörungen bzw. 7 % Bewegungsstörungen), 12,8 % der Kinder zeigten eine chronische Erkrankung, 13 % psychische Störungen und bei 3 % der Kinder lag ein starkes Übergewicht bzw. bei 4 % ein erhebliches Untergewicht vor. Die soziale Lage beeinflusst erheblich den Schulstart. Kinder aus Familien mit niedrigem Sozialstatus zeigen häufiger Gesundheitsstörungen als Kinder aus Familien mit hohem Sozialstatus (Abb. 1).

Zu den chronischen Erkrankungen (12,8 % aller Einschüler) zählen sowohl erhebliche Entwicklungsdefizite wie Sprachstörungen, die die Kommunikation des Kindes beeinträchtigten, als auch psychische Störungen (ADS/ADHS, emotionale und soziale Störungen, Enuresis) sowie neurologische und andere somatische Erkrankungen (Tab. 1).

Betrachtet man die Kinder mit niedrigem Sozialstatus [8], so waren diese 2,7fach häufiger betroffen als Schüler aus Familien mit hohem Sozialstatus (24,8 % gegenüber 9,1 %). Darüber hinaus zeigen die Brandenburger Trendanalysen [9] im Zeitraum von 2008 bis 2014, dass eine Zunahme chronischer Krankheiten von 10,5 % auf 12,8 % zu beobachten ist, denen im Schulalltag vermehrt adäquat zu begegnen ist. Beispiele dafür sind der Umgang mit an Asthma erkrankten Kindern beim Sport und bei Schulausflügen oder die Berücksichtigung einer Nahrungsmittelallergie im Rahmen der Schulverpflegung. Hinzu kommen Gesundheitsprobleme, die sich im Verlauf der Schulzeit entwickeln. Daten aus Brandenburg können die Entwicklung der Gesundheit einer Kohorte von Einschulung im Jahr 2005 bis zur 10. Klasse im Jahr 2014 beschreiben. Eine starke Zunahme ist bei folgenden Erkrankungen zu verzeichnen: Sehfehler, Fehlstellungen der Wirbelsäule, Adipositas und allergische Atemwegserkrankungen. Darüber hinaus waren die Zehntklässler präventiv unzureichend versorgt: Es fehlten bei fast 30 % dieser Schüler die notwendigen Auffrischimpfungen gegen Tetanus, Diphtherie und Keuchhusten. Noch prekärer waren die Defizite bei der HPV-Impfung von Mädchen, bei denen 58 % keine Grundimmunisierung erhalten hatten. Auch jüngere Erfahrungen mit schulärztlichen Sprechstunden belegen relevante medizinische und psychosoziale Versorgungslücken der Schüler [11].

Internationale und nationale Erfahrungen zu den Aufgaben der Schulgesundheitsschwester ("school nurse")

Internationale Erfahrungen

In Kanada, den USA, in Australien, aber auch in vielen europäischen Staaten ist die "school nurse" schon lange etabliert und hat sich, so die Erfahrungen, als sehr hilfreich in der gesundheitlichen Versorgung von Schülern in Schulen erwiesen. Die American Academy of Pediatrics unterstrich in ihrem aktuellen Positionspapier von 2014 zur "school nurse" im Schulgesundheitsdienst erneut, dass diese eine Schlüsselrolle in der gesundheitlichen Versorgung von Schülern mit besonderen Gesundheitsbedarfen einnimmt (z. B. Schüler mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen). Die "school nurse" hat dabei die Aufgabe, den Gesundheitszustand zu bewerten, die Gesundheitsprobleme zu identifizieren, die ein Hindernis für den schulischen Bildungsprozess darstellen und einen "Gesundheitsplan" zu entwickeln, um die Probleme in der Schule zu managen. Die "school nurse" gewährleistet auch, dass der individuelle Gesundheitsplan Bestandteil des individuellen Bildungsplanes des Schülers ist und dieser im Konsens mit den Eltern, dem Schüler und dem Schulteam umgesetzt wird. Darüber hinaus ist sie in medizinischen Krisensituationen (Unfälle, Notfälle) erste Anlaufstelle [2]. In Europa sind die skandinavischen Länder und Großbritannien Vorreiter in der Umsetzung. In Schweden, Finnland und Großbritannien ist jede Schule gesetzlich verpflichtet, eine "school nurse" zur gesundheitlichen Versorgung der Kinder zu beschäftigen. Sie verfügt über eine Qualifikation auf Masterniveau. Sie arbeitet im Team mit Lehrern, Schularzt, Schulpsychologen und Schulsozialarbeitern und ist obligater Bestandteil von sogenannten Schulgesundheitsteams. Die "school nurse" ist erste kompetente Ansprechpartnerin für alle gesundheitlichen Belange der Schüler im Schulalltag. In Großbritannien erfüllt die "school nurse" zusätzlich noch die Aufgaben einer "family nurse".

Das Aufgabenspektrum einer Schulgesundheitsschwester lässt sich aus internationaler Sicht wie folgt zusammenfassen:

  • Pflegerische und medizinische Unterstützung chronisch kranker und behinderter Schüler (wie personenbezogene Maßnahmen der Grund- und Behandlungspflege, Verabreichung von Medikamenten);
  • Brückenfunktion zu Gesundheitsversorgungseinrichtungen außerhalb von Schule;
  • erste Ansprechpartnerin bei Unfällen, Krankheitszwischenfällen oder auch akut auftretenden Erkrankungen;
  • erste Ansprechpartnerin und Vertrauensperson ("Kümmerer") für Schüler zu allen Fragen körperlicher und psychischer Gesundheit;
  • Durchführung von Screening-Untersuchungen im Zusammenarbeit mit dem School Health Service;
  • im Sinne von Public Health Gesundheitsbeobachtung der Schülerschaft, Analysen zu spezifischen Bedarfen mit Handlungsempfehlungen zu Maßnahmen;
  • Entwickeln, Anstoßen und Begleiten von Gesundheitsförderangeboten, die am Bedarf in der jeweiligen Schule ansetzen;
  • interdisziplinäre Zusammenarbeit (innerhalb von Schule) und Kooperation mit Partnern außerhalb: Garant für und Akteur in Vernetzung.

Erfahrungen in Deutschland

Im Bundesland Schleswig-Holstein ist die "skolsköterska" als Schulgesundheitsschwester in den dortigen dänischen Schulgesundheitsdienst integriert und so für die dänische Schülerminderheit in diesem Bundesland tätig. Idealerweise arbeitet sie im Tandem mit dem Schularzt und erfüllt wesentliche gesundheitspädagogische Aufgaben. In einigen Bundesländern gibt es an speziellen Förderschulen, in der Regel für körperbehinderte Kinder, eine Gesundheits- und Kinderkrankenpflegekraft. Sie ist direkt vor Ort im Einsatz, jedoch nicht regelhaft in den Schulgesundheitsdienst des Kinder- und Jugendgesundheitsdienstes eingebunden und übernimmt Aufgaben der Grund- und Behandlungspflege und speziellen Krankenbeobachtung.

Einige Gesundheitsämter haben Gesundheits- und Kinderkrankenpflegekräfte in ihren schulärztlichen Diensten etabliert und nutzen diese beispielsweise, um zusammen mit dem Schularzt schulärztliche Sprechstunden durchzuführen oder auch in Schulen Präventionsprogramme (wie die Schließung von Impflücken) umzusetzen.

Einen wesentlichen Impuls, das Erfolgsmodell school nurse weiter in die Fläche zu bringen, gibt die Brandenburger Machbarkeitsstudie unter Beteiligung von Finnland und Polen. Das Projekt resultiert aus einer gemeinsamen Initiative vom Brandenburger "Bündnis Gesund Aufwachsen" und wurde in Trägerschaft des AWO-Bezirksverbands Potsdam umgesetzt. Als Resümee der Machbarkeitsstudie wurde bei der Abschlussveranstaltung 2014 festgehalten: "Die Einführung von Schulkrankenschwestern an brandenburgischen Schulen und nachfolgend bundesweit würde ein niederschwelliges, aufsuchendes System der kinder- und jugendorientierten Gesundheitsförderung und Gesundheitsversorgung bieten, ein Plus an Versorgungssicherheit und eine gesundheits- wie auch bildungsförderliche Investition in die Zukunft im Sinne einer guten gesunden Schule" [4].

Empfehlungen der WHO zur strukturellen Umsetzung der gesundheitlichen Versorgung in Schule

Das regionale WHO-Büro Europa hat im Jahr 2014 in Zusammenarbeit mit dem multinationalen Expertennetzwerk der European Union for School and University Health and Medicine (EUSUHM) ein Dokument zu Kernkompetenzen und Standards der School Health Services (SHS) veröffentlicht. Dieses Konsensus-Papier unterstützt die 53 Mitgliedsstaaten der WHO-Region Europa in der Qualitätssicherung ihres School Health Service (SHS).

Es handelt sich um ein Rahmenkonzept, das den sehr unterschiedlichen Gegebenheiten der verschiedenen Mitgliedstaaten Rechnung trägt. Es sollte in jedem Land Europas als Basis für den gezielten Ausbau bzw. der Qualitätsverbesserung des School Health Service dienen, um den Bedarf der Schulkinder und Jugendlichen an gesundheitlicher Versorgung bzw. Betreuung in Schulen gerecht zu werden. Das Papier richtet sich sowohl an die nationalen gesundheits- und bildungspolitischen Entscheidungsträger als auch an die Umsetzungsebene mit dem Ziel, "to develop and maintain quality services that meet children and adolescents‘ health needs and support institutions that train school health service professionals" [5].

In diesem Dokument werden die erforderlichen Kompetenzen des School Health Service detailliert ausgeführt (siehe Empfehlungen der DGSPJ). Dabei ist das oberste Ziel, sowohl individuelle krankheitsbedingte Lernhindernisse zu beseitigen als auch systemische Hindernisse zu verändern, um den Lernerfolg der Kinder und Jugendlichen positiv zu beeinflussen.

Innerhalb des SHS, so die WHO, sind Schulgesundheitsexperten ("SHS-experts") einzusetzen, um komplexe individuelle wie auch strukturellen Aufgaben wahrnehmen. Fachlich integriert in das schulbezogene Team übernehmen sie Funktionen als "communicator, collaborator, manager, health advocat" in Sachen Schülergesundheit.

Machbarkeit durch den ÖGD in Deutschland

ÖGD und Schule: Schulärztliche Aufgaben und Kooperation

Dem föderalistischen Prinzip folgend regeln die deutschen Bundesländer in ihren Schul- und ÖGD-Gesetzen individuell, wie ihre "Schulgesundheitspflege", ihre "schulärztliche Versorgung", oder wie "betriebsmedizinische Aufgaben in Gemeinschaftseinrichtungen" umgesetzt werden sollen. Schüler sollen vor vermeidbaren gesundheitlichen Schäden bewahrt werden, wenn sie ihrer Schulpflicht nachkommen. Vor diesem Hintergrund erfolgt die Aufgabenzuordnung an den öffentlichen Gesundheitsdienst und wird dort über den KJGD wahrgenommen. Einen breiten Konsens gibt es in Bezug auf die Notwendigkeit, Schulärzte des ÖGDs einzubinden, nicht nur zur Durchführung der Schuleingangsuntersuchungen. Betriebsmedizinische Aufgaben in Gemeinschaftseinrichtungen und zum Teil auch Schulsprechstunden [1, 11] werden durch "Schulärzte" wahrgenommen. Die Erfahrungen aus der Praxis einiger kommunaler Kinder- und Jugendgesundheitsdienste zeigen, dass die Gesundheitsvorsorgeangebote in Gemeinschaftseinrichtungen (z. B. Angebote von Seh- und Hörscreenings, Aufklärung und Beratung zu sexuell übertragbaren Erkrankungen, zur gesunden Ernährung und die Suchtprävention) besonders wirksam und zeiteffizient gestaltet werden können, wenn eine Gesundheits- und Kinderkrankenschwester mit sozialmedizinischer Zusatzausbildung oder eine sozialmedizinische Assistentin eingebunden ist.

"School nurse" – Brücke zwischen Gesundheit und Bildung

Ganz entscheidend beim Ausbau des Schulgesundheitssystems durch Schulgesundheitsschwestern in Deutschland ist, analog zur bestehenden internationalen Praxis, dass die Schulgesundheitsschwester fachlich im schulärztlichen Team des Gesundheitsamtes verankert ist. So kann sie bei der gesundheitlichen und auch pflegerischen Betreuung der Schüler die interdisziplinären Möglichkeiten ihres schulärztlichen Teams im Gesundheitsamt nutzen, um bedarfsgerechte Gesundheitsangebote zu vermitteln. Beispielsweise kann sie bei pädiatrischen Fragestellungen den Schularzt und bei psychischen Problemen des Schülers den kinder- und jugendpsychiatrischen bzw. sozialpsychiatrischen Dienst ansprechen oder bei Suchtproblemen die Sucht- und Drogenberatungsstelle des Gesundheitsamtes zu Rate ziehen.

Durch die breite Vernetzung des schulärztlichen Teams mit den vielfältigen Akteuren in der Kommune hat die Schul gesundheitsschwester gleichzeitig auch den Zugang zu den kommunalen gesundheitsbezogenen bzw. psychosozialen Netzwerkpartnern, aber ebenso zu den Einrichtungen der Jugend- und Sozialhilfe.

Die Schulgesundheitsschwester ist auf der anderen Seite Teil des Schulteams vor Ort. Partner innerhalb der Schule sind die Lehrer, Eltern mit ihren Mitwirkungsgremien, Schulsozialarbeiter, Schulpsychologen, etc.. Durch diese institutionelle Verankerung im ÖGD wäre sowohl die Alltagspräsenz in der Schule als auch die Kontinuität ihrer Arbeit gewährleistet. Letztere ist unabdingbar zur Schaffung einer Vertrauensbasis bei den Schülern.

Die Durchführung von Screeninguntersuchungen (z. B. zu Körpergewicht und -größe, Hör- und Sehvermögen, Impfstatus) oder die direkte Mitwirkung bei den schulärztlichen Untersuchungen oder Sprechstunden erweitert das präventive Angebot des schulärztlichen Dienstes. Die geschulte Beobachtung von Schülern in der normalen Unterrichtssituation ist durch ihre Präsenz in der Schule gut möglich, ebenso wie eine spezielle Krankenbeobachtung im Sinne der Gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen. Die Identifikation und Versorgung besonders vulnerabler oder schwer zugänglicher Kinder und Familien kann ebenfalls besser umgesetzt werden. Die Vernetzung mit anderen Akteuren, so auch mit den medizinischen Versorgungsträgern und der Jugendhilfe, erleichtert das Fallmanagement von chronisch kranken oder behinderten Kindern. Bei Gesundheitsproblemen mit Lern- und Schulalltagsrelevanz kann die Schulgesundheitsschwester direkte erste Ansprechpartnerin sein.

Zukünftiges Aufgabenspektrum der Schulgesundheitsschwester in Deutschland [7, 13]:

  • Gesundheitliche und medizinische Unterstützung chronisch kranker und behinderter Schüler bei der Umsetzung der Inklusion in Schulen (wie personenbezogene Maßnahmen der Grund- und Behandlungspflege, Verabreichung von Medikamenten); 
Erste Ansprechpartnerin bei Unfällen, Krankheitszwischenfällen oder auch akut auftretenden Erkrankungen;
  • Vertrauensperson ("Kümmerer") für Schüler zu allen Fragen körperlicher und psychischer Gesundheit;
  • Durchführung von Screening-Untersuchungen im Zusammenarbeit mit dem Schularzt des ÖGDs;
  • Erstellen eines Gesundheitsprofils der Schülerschaft einer Schule verbunden mit Handlungsempfehlungen zu Maßnahmen;
  • Angebote von Maßnahmen der Gesundheitsförderung in Schule;
  • Vernetzung und Kooperation mit Akteuren außerhalb von Schule zur Verbesserung der Schülergesundheit.

Neue rechtliche Rahmenbedingungen

Was Maßnahmen der Gesundheitsförderung im Setting Schule angeht, ist ein wesentlicher Impuls durch das Präventionsgesetz zu erwarten. Eine Finanzierung wirksamer und auch struktureller Maßnahmen, analog zur bisherigen Förderung der Zahn- und Mundgesundheit, müsste rund um die Schülergesundheit neu definiert werden. Anders als von Gesundheitspolitik gefordert, fließen nur etwa 11 % der Mittel in die Gesundheitsförderung in Lebenswelten wie Kitas, Schulen und Betriebe. Der Spitzenverband der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) hat sich erfreulicherweise auf die Fahne geschrieben, "mit Gesundheit gute Schulen (zu) entwickeln" und dazu im Mai 2013 ein Konzept erstellt [6]. Darüber hinaus kann ein Beitrag zur Verbesserung der gesundheitlichen Chancengleichheit geleistet werden.

Machbarkeit durch Mischfinanzierung

Beispielgebend für unseren Kontext ist die Brandenburger Machbarkeitsstudie, die sich mit den Realisierungsmöglichkeiten von Schulgesundheitsschwestern an Brandenburger Schulen auseinandersetzt. Man schlägt vor, die Finanzierung der Schulgesundheitsschwester nach den Leistungen und zuständigen Leistungsträgern aufzuteilen und empfiehlt eine Mischfinanzierung über die unterschiedlichen Bildungs- und Sozialhilfepartner: Die (Brandenburger) Landesschulgesetzgebung gibt es her, schuleigene Krankenpflegekräfte als "sonstiges Schulpersonal" zu beschäftigen. Eine Kostenübernahme für Schulgesundheitsschwester ist darüber hinaus möglich durch die Krankenkassen nach SGB V, die Pflegekassen nach SGB XI, Sozialhilfeträger nach SGB XII, Jugendhilfeträger gemäß SGB VIII sowie überörtliche Sozialhilfeträger wie Landschaftsverbände. Für Präventionsangebote im Setting ließen sich Pauschalbeträge pro Schüler und Tag von den Krankenkassen einwerben. Vor dem Hintergrund dieser komplexen Bedarfe und Funktionen wurde ein Vollkostenplan erstellt, der nach dem Modell einer anteiligen Mischfinanzierung umgesetzt werden könnte. Ein interessanter Begleitaspekt ist eine Kostenbeteiligung der Arbeitsförderung, da sich für Gesundheits- und Kinderkrankenschwestern, die aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen nicht mehr in der ambulanten oder stationären Pflege tätig sein konnten, ein alternatives Berufsfeld eröffnet [3, 4, 10].

Die Unfallversicherungen in ihrer Mitverantwortung für Sicherheit und Unfallschutz dürften ein Interesse an finanzieller Beteiligung haben, zumal ihre moderne Ausrichtung ganz in diese Richtung weist [6]. Besonders für diese wird es attraktiv sein, eine Fachkraft vor Ort zu wissen, die sich sowohl individuell im Ereignisfall als auch systembezogen einbringen kann. Im Brandenburger Modell wurde die medizinische Nachsorge bei Schulunfällen in das Tätigkeitsprofil der SGS mit aufgenommen, um eine rasche Wiedereingliederung des Schülers in den Schulalltag zu befördern.

Wesentliches für die Praxis . . .
Nutzen von Schulgesundheitsschwestern (SGS)
  • Die Schüler selbst erleben bei professioneller gesundheitlicher Versorgung den Schulalltag angstfreier, sicherer und lernbereiter. Insbesondere gilt dies für Kinder mit chronischen Erkrankungen oder Behinderungen.
  • Wenn man den gesundheitlichen Bedarfen der Schüler (besser) gerecht wird, dürften bessere Lernerfolge zu erzielen sein. Dadurch wird die Chancengleichheit für gute Bildung erhöht.
  • Die Eltern der Kinder werden entlastet, da sie ihre Kinder in der Obhut eines kompetenten "Kümmerers" vor Ort in der Schule wissen.
  • Die Lehrer können sich stärker ihren pädagogischen Aufgaben widmen. Es werden keine Tätigkeiten erwartet, die mit Medikamentengabe, Pflegeleistungen, spezieller Krankenbeobachtung verbunden sind. Dies gilt auch für Situationen, die ein medizinisches Notfallmanagement erfordern.
  • Bei Einverständnis der Sorgeberechtigten werden die primär betreuenden Kinder- und Jugendärzte in Praxis und Klinik Beobachtungen und Expertise der SGS in der Behandlung von chronisch kranken Kindern nutzen können.
  • Inklusionsziele lassen sich besser verwirklichen, insbesondere weil die "Einzelbetreuung" abgelöst wird von einer strukturellen Unterstützung des Systems Schule.
  • Analog zur zahnärztlichen Gruppenprophylaxe eröffnen sich bessere Möglichkeiten, Präventionsmaßnahmen für spezifische Gesundheitsbedarfe der Schülerschaft umzusetzen.
  • Bei Ausbruch von Infektionskrankheiten (z. B. infektiöse oder lebensmittelbedingte Durchfallerkrankungen) steht vor Ort eine kompetente Gesundheitsfachkraft für das Management zur Verfügung. Dadurch sind Maßnahmen zur Unterbrechung von Infektionsketten schneller und gezielter möglich.
  • Unfallrisiken können durch Beratung vor Ort reduziert werden. Individuelle Rehabilitation nach Unfällen oder Krankheiten wird sich im Sinne eines fachlich begleiteten Wiedereingliederungsmanagements besser realisieren lassen. Dadurch dürften sich Schulfehlzeiten verkürzen. Aktivierende Pflege kann alltagsbezogen und alltagsintegriert durchgeführt werden.

Literatur:
1. Akademie für öffentliches Gesundheitswesen (2013) Die Dänen in Schleswig-Holstein – eine Minderheit mit eigenem Schulgesundheitsdienst. Blickpunkt öffentliche Gesundheit 29 (1/13): 8
2. American Academy of Pediatrics (2001) The Role of the School Nurse in Providing School Health Services. Pediatrics 108: 1231
3. AWO Potsdam e. V. (2015) Machbarkeitsstudie in Lang- und Kurzversion www.awo-potsdam.de/files/data/pdf/Machbarkeitsstudie-Schulpflegekraft.pdf
4. AWO Potsdam e. V. (2014) Transnationaler Austausch "Machbarkeitsstudie Innovationskonzept schuleigene Krankenpflegekräfte an allgemeinbildenden Schulen, Abschlussveranstaltung des ESF-Projekts www.awo-potsdam.de/cms/show.php?lid=1214&aid=321
5. Baltag V, Stronski S (2014) European framework for quality standards in school health services and competencies for school health professionals. World health Organization Regional Office for Europe, Kopenhagen
6. DGUV/Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung Spitzenverband (2013) Fachkonzept "Mit Gesundheit gute Schulen entwickeln", BG/GUV-SI 8097
7. DBfK e. V./Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe (2014) Schulgesundheitspflege in Deutschland – ein Konzept für gesündere Schulen. www.dbfk.de
8. Ellsäßer G et al. (2012) Zur Situation chronisch kranker Kinder und Jugendlicher im Land Brandenburg. Inpuncto, Veröffentlichung des Ministeriums für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg. 11. Ausgabe
9. Ellsäßer G (2014) Sozialpädiatrie in Zahlen – ein Blick auf das Land Brandenburg, Gesundheitsberichterstattung des Landes Brandenburg, Potsdam
10. FGKiKP/Familien-Gesundheits- und Kinderkrankenpflege (2013) Lehrplan der Weiterbildung. revidierte Version Göttingen, erstellt unter der Mitwirkung der DRK-Schwesternschaften Kiel und Krefeld
11. Franz A, Reincke M 2014) Das Konzept "Ärztin/Arzt an der Schule" der Landeshauptstadt München. Kinderärztliche Praxis 85 (6): 372 – 374
12. Kocks A 2012) Pflegefall Schule – ein Fall für die Pflege? Die Schwester Der Pfleger 46(7): 1146 – 1149
13. Schmitt S, Görres S (2012) Schulgesundheitspflege in Deutschland? – Eine Übersichtsarbeit zu Aufgaben und Rollen von School Nurses. Institut für Public Health und Pflegeforschung der Universität Bremen. Pflege 25 (2): 107 – 117


Autoren:

Gabriele Ellsäßer¹, Bettina Langenbruch², Ulrike Horacek³ | ¹ Abteilung Gesundheit im Landesamt für Umwelt Gesundheit und Verbraucherschutz Brandenburg; ² Sprecherin des Fachausschusses Kinder- und Jugendgesundheit des Landesverbands Niedersachsen der Ärztinnen und Ärzte im ÖGD; ³ Sprecherin des Fachausschusses ÖGD der DGSPJ; Leiterin des Gesundheitsamts Kreis Recklinghausen


Korrespondenzadresse:
Dr. Ulrike Horacek

Sprecherin des Fachausschusses ÖGD der DGSPJ; Leiterin des Gesundheitsamts Kreis Recklinghausen
Kurt-Schumacher-Allee 1
45657 Recklinghausen
Tel.: 0 23 61/53 41 33

Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2015; 86 (6) Seite 376-385