Heike Philippi und Rolf Mayer (Hrsg.) ICF-Praxislehrbuch. 1. Auflage 2024. 336 Seiten, Hogrefe Verlag, Göttingen. ISBN 978-3-456861-68-5; 65 Euro

"Dieses Buch dient als Navigationshilfe …" und sei wie ein Kochbuch zu nutzen, schreiben die Autoren in der Einleitung. Die Erwartung, dass es sich um ein typisches Kochbuch mit Rezepten für alle Arten und Formen von Funktions- und Teilhabestörungen handelt und nach der Lektüre das Codieren leicht von der Hand ginge, wird gleich in der Einleitung wohltuend zurechtgerückt. Codieren können sei nicht so wichtig, Verstehen und die Befähigung zu einem guten Umgang mit Kindern und Jugendlichen viel wichtiger. Die Frustrationen im Umgang mit der ICF werden in einem Abschnitt geschildert (und damit Leserin und Leser gut abgeholt), und mit Freude und Schwung geht es nun hinein ins Buch. Insofern ist es ein Kochbuch mit großen Kapiteln zur Geschmacksbildung, zur Herkunft der Zutaten und Ermutigung zur Kreativität geworden.

Die Begründung für dieses Vorgehen erschließt sich rasch: Es macht keinen Sinn und hat vor allem keinen Nutzen für die betroffenen Kinder, Jugendlichen und ihre Familien, wenn die ICF "nur" als neues Klassifikationssystem der WHO genutzt würde.

Im Gegenteil, es geht um eine verbesserte Versorgungsqualität: "Jetzt nutzen wir die ICF, um noch besser zu werden" wird ein Team zitiert. Teilhabeziele können nur dann erfasst werden, wenn auch teilhabeorientiert gearbeitet wird. Wie spreche ich mit Kindern und Jugendlichen über ihre Wünsche und Erwartungen?

Weitere grundlegende und relevante Konzepte werden beschrieben, z. B. Grundlagen des Qualitätsmanagements, der Teilhabeförderung und der Berufsethik – dieser Argumentation und vor allem der etwas vereinfachenden Verknüpfung dieser Konzepte untereinander mag man folgen oder auch nicht. Weitere angrenzende fachliche Diskurse wie gemeinsames Entscheiden, patientenorientierte Behandlung, informierte Einwilligung bei Kindern und Jugendlichen oder Gesundheitsförderung hätten hier ebenso berücksichtigt werden können. Die Rezensentin rät dazu, Kapitel 2.2 im Zusammenhang mit dem Abschnitt Lernen & Implementieren zu lesen, dann passt es besser.

Im zentralen vierten Kapitel werden die Leserinnen und Leser Schritt für Schritt eingeführt, wie partizipativ gearbeitet und die erhaltenen Inhalte im Sinne der ICF strukturiert und ggf. dokumentiert werden können. In dieses Kapitel sind die zentralen Themen wie Klärung des Anliegens und der Aufträge und methodische Hilfen sehr ausführlich und gut verständlich dargestellt. Der enge Bezug zur Technik des motivational Interviewing ist überzeugend gelungen, die Autorin Barbara Guthy hat dazu im Eingangs- und Hintergrundkapitel am Anfang und Ende des Buches beigesteuert. Wichtig ist, dass auch hier bereits "Stolpersteine" und Gründe für Frustrationen angesprochen werden.

Im fünften Kapitel geht es dann tatsächlich um die Mühen der Ebene: Wie könnte das ganze reiche Material, das mit den Kindern und Jugendlichen erarbeitet wurde, in die ICF gegossen werden? Die sehr einleuchtenden Beispiele machen deutlich, dass es viele Möglichkeiten gibt und auch jedes Teammitglied schauen muss, was persönlich passt und mit welchen Werkzeugen am besten gearbeitet werden kann.

Die letzten Kapitel sind der nachhaltigen Implementierung der ICF Praxis in Institutionen gewidmet, hier kann auf den Erfahrungsschatz aus dem Innovationsfonds Projekt PART-Child zurückgegriffen werden. Wenn man hier angekommen ist, wird auch die Bedeutung der Einbettung in ein Qualitätsmanagementsystem klarer.

Insgesamt ein sehr reichhaltiges Buch, das der sozialpädiatrischen Leserschaft über alle Disziplinen hinweg empfohlen wird, insbesondere ein gemeinsames Lesen und Austausch darüber sollte einen wirklichen Qualitätssprung ermöglichen und die Freude, Kompetenz und Kreativität im Team bereichern.



Autor
Prof. Ute Thyen, Lübeck

Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2025; 96 (5) Seite 374