Ein Fazit der bisher erzielten Ergebnisse aus dem Projekt "Gesundheitsversorgung rumänischer und bulgarischer Kinder in Mannheim". Das Projekt wurde 2017 mit dem Preis für Transkulturelle Pädiatrie der DGSPJ ausgezeichnet.

Den Preis für Transkulturelle Pädiatrie der DGSPJ 2017 hat PD Dr. med. Freia De Bock und ihr Team vom Mannheimer Institut für Public Health, Medizinische Fakultät Mannheim, Universität Heidelberg, für das Projekt "Gesundheitsversorgung rumänischer und bulgarischer Kinder in Mannheim" erhalten. Hier im Folgenden ein Fazit der bisher erzielten Ergebnisse aus dem Projekt.

Kinder mit Migrationshintergrund (MH) – ein Drittel der Kinder in Deutschland und bis zu 50 % derer in Großstädten – haben häufiger Gesundheitsprobleme als Kinder ohne MH. Die Gründe hierfür sind vielfältig und umfassen neben sozioökonomischer Benachteiligung, unterschiedlichem Risikoverhalten, kulturell unterschiedlicher Wahrnehmung von Gesundheit und Krankheit v. a. auch Barrieren im Zugang zu Gesundheitsversorgung und Prävention [1].

Für Risikoerkennung, Prävention und frühe Interventionen bei Kindern sind neben der medizinischen Versorgung in der kinderärztlichen Praxis auch Angebote des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) und der Sozialämter (z. B. Frühe Hilfen, Frühförderung) ausschlaggebend [2]. Es ist davon auszugehen, dass Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund von den verschiedenen Unterstützungssystemen jedoch nicht zufriedenstellend erreicht werden [3], wobei hier genaue Daten fehlen. Die Zugangsbarrieren scheinen auch innerhalb der Gruppe mit Migrationshintergrund unterschiedlich: Gerade durch ausgeprägte und steigende Zuwanderung aus Südosteuropa gibt es in deutschen Großstädten größere Bevölkerungsgruppen, die erstens durch prekäre Beschäftigungs- und Wohnverhältnisse und zweitens durch bestimmte religiöse und kulturelle Zugehörigkeit besonders von Versorgungslücken betroffen sein und sich durch eine spezielle Bedarfslage maßgeblich von der einheimischen Bevölkerung unterscheiden könnten [4]. Für eine migrantensensible und erfolgsversprechende Ausgestaltung der verschiedenen Unterstützungssysteme bedarf es daher einer differenzierten regionalen Analyse der Versorgungslage von Risikogruppen [1].

Am Beispiel der migrationsstarken Großstadt Mannheim wird in unserer Studie ROBUKI die Versorgung der rumänisch/bulgarischen (ROBU) Familien mit Kindern im Vergleich zu Familien mit anderem (türkischem, italienischem und polnischem) Migrationshintergrund (TRITPL) untersucht, sowie deren Bedarfe und Erreichbarkeit.

Rekrutierung der Familien schwierig

Hierzu kombiniert das Projekt quantitative und qualitative Forschungsmethoden (sequential mixed methods design). Die Rekrutierung der oft in prekären Verhältnissen lebenden Familien in Mannheim ist dabei eine Herausforderung.

Neben dem Zugang dieser Gruppe zu gesundheitlichen Versorgungsangeboten der Kinder- und Jugendärzte und des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) wird auch ihre Bedarfslage exploriert. Zusätzlich zu Analysen quantitativer Datensätze (ÖGD-Datensätze der Frühe-Hilfen Angebote und der Schuleingangsuntersuchungen) werden triangulierend in Leitfadeninterviews und Fokus-Gruppen-Interviews Daten von Familien der Zielgruppe (n = 20) und Versorgungsdienstleistern (n = 5) zu subjektiven und objektiven Einschätzungen zu Zugangsbarrieren und Bedarfen der Zielgruppe in Mannheim gesammelt.

Als Basis der quantitativen Untersuchungen dienen Daten des Mannheimer Frühe-Hilfen-Programms "Willkommen im Leben" (WiL), das seit 2010 allen Familien mit Neugeborenen in Mannheim einen Hausbesuch durch eine Kinderkrankenschwester anbietet, sowie die Schuleingangsuntersuchungen (SEU).

Die ersten Ergebnisse der Analysen des WiL-Datensatzes zeigen, dass Kinder mit MH präventive Maßnahmen signifikant seltener in Anspruch nehmen als Kinder ohne MH, wobei hier ROBU MH das Risiko weiter erhöhte (Hebammen OR ROBU/andere = 0,4; CI=[0,2; 0,9]); U3 OR ROBU/andere = 0,08; CI=[0,007; 0,95]). ROBU-Mütter waren trotz Adjustierung für sozioökonomischen Status häufiger jünger als 22 Jahre bei der Geburt des Kindes als Mütter mit anderem MH und es wurde häufiger eine akute Belastungssituation der Mutter festgestellt (11 % vs. 5 %, p < 0,01). ROBU-Familien wurden als bedürftiger bzgl. muttersprachlicher Unterstützung eingeschätzt als Familien mit anderem MH (OR ROBU/andere = 7,7; CI = [1,3; 45,2]).

Miserabler Impf- und Vorsorgestatus

Die ersten Ergebnisse der Analysen der SEU ergeben, dass Familien mit ROBU-MH bezüglich STIKO-konformer Impfungen (z. B. 45 % bei ROBU versus 81 % bei TRITPL, p < 0,001) und termingerechter U-Untersuchungen (47 % ROBU versus 67 % TRITPL, p < 0,001) deutlich schlechter an die Versorgungsstruktur angebunden als Familien ohne MH, aber auch als Familien mit anderem MH.

Die qualitativen Analysen ergeben konfirmierend, dass die Sprachbarriere bei ROBU deutlich höher scheint als bei anderen Familien mit MH. Aus Versorgersicht ergeben sich zudem Hinweise auf Unterstützungsbedarf hinsichtlich gesunder Ernährung, Zahnhygiene und entwicklungsfördernder Freizeitgestaltung. Sowohl aus Familien- als auch aus Versorgerperspektive standen jedoch die prekären Lebensverhältnisse im Vordergrund.

Mittels einer verbindenden Analyse der quantitativen und qualitativen Daten werden weitere Hypothesen für ein differenziertes Verständnis der Versorgungslage der Familien mit Kindern rumänisch-/bulgarischer Herkunft generiert.


Literatur:
1. Schenk, Ellert, Neuhauser (2006)
2. Meier-Gräwe, Wagenknecht (2011)
3. Kügler, Rock, Müller, Grossart (n. d.)
4. Hanganu, Humpert, Kohls (2014)


Korrespondenzadresse
PD Dr. Freia De Bock, MD, MPH

Leiterin Querschnittsbereich "Frühe Prävention und Gesundheitsförderung"
Fachärztin für Kinderheilkunde
Universitätsmedizin Mannheim /Heidelberg
Institute of Public Health, Social and Preventive Medicine

Erschienen in: Kinderärztliche Praxis, 2018; 89 (1) Seite 59-60